Freier Wille

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Menschenmassen

POTSDAM. (hpd) Branislav Petrovic setzt sich in seinem fast stichpunktartigem und philosophischen Text mit einigen Definitionen auseinander, die ein etwas anderes Bild vom Freien Willen aufzeigen.

Freiheit

Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit. Freiheit ist die Einsicht in die äußeren und inneren Zwänge und Widerstände, der Abbau dieser Beschränkungen und die Schaffung von Bedingungen, welche die innere und äußere Freiheit ermöglichen. Es gibt eine "Freiheit von" und eine "Freiheit zu". Wenn man im Gefängnis oder in einer religiösen Gemeinschaft war und sich davon befreit hatte, hat man die "Freiheit von" erlangt. Die Entscheidung darüber wie man nun sein Leben gestalten, welchen Sinn man seinem Leben geben soll, ist die "Freiheit zu". Freiheit an sich, ohne einen Bezug zur Gerechtigkeit, hat jedoch keinen Sinn, weil man sich die Freiheit nehmen kann, anderen die Freiheit zu rauben. Freiheit steht und fällt ausschließlich im Zusammenhang mit Gerechtigkeit. Es gibt keine Freiheit ohne Gerechtigkeit und keine Gerechtigkeit ohne Freiheit.

Freiheit, Notwendigkeit und Zufall

Die Wirklichkeit (Natur und Gesellschaft) ist durchgängig von Kausalketten bestimmt. Die Ereignisse bei der Kreuzung von Kausalketten befinden sich nicht unbedingt in einem kausalen Zusammenhang, sie können zufällig sein. Die Anfangsbedingungen des Universums sind singulär, sie können nicht in der üblichen Weise aus Randbedingungen abgeleitet werden, sie sind aus diesem Grunde zufällig. Die Evolution bringt durch Zufall und Notwendigkeit (Mutation und Selektion) vorteilhafte Veränderungen mit sich.

In der Thermodynamik und statistischen Mechanik wurden um 1870 Wahrscheinlichkeiten und damit der Zufall in die Physik eingeführt. Max Borns probabilistische Interpretation der Wellenfunktion (1926) ist ein Indiz für einen objektiven, irreduziblen Zufall. Bei der Quantentheorie kann die Zustandsveränderung offenbar nicht durch die deterministischen Bewegungsgleichungen für die Zustandsfunktionen beschrieben werden, sie ist vielmehr ein indeterministischer Prozess, für dessen Ausgang nur Wahrscheinlichkeiten angegeben werden können. Nach den nicht-linearen Differenzialgleichungen des Meteorologen E. Lorenz können geringste lokale Zufallsschwankungen (Flügelschlag eines Schmetterlings) die globale Wetterlage völlig verändern, obwohl die Zustandstrajektoren des Wetters mathematisch eindeutig determiniert sind. Für Quantensysteme gibt es keine eindeutig determinierte Bewegungsbahnen, da nach der Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation Ort und Impuls nicht gleichzeitig mit beliebiger Genauigkeit gemessen und nur Erwartungswahrscheinlichkeiten vorausberechnet werden können.

Der Zufall, der mit diesen statistischen Verfahren in die Naturbeschreibung kommt, ist nicht auf die unvollständige Kenntnis an sich determinierter Naturabläufe zurückzuführen, vielmehr handelt es sich nach der Quantentheorie und den Experimenten zu den EPR-Korrelationen um einen Grundzug der Quantenwelt. Der Zeitpunkt des Zerfalls des nächsten radioaktiven Atoms aus einer Stoffmenge ist nicht vorhersagbar, er geschieht zufällig. In einem Universum ohne Zufall gibt es keinen freien Willen, weil alle Ereignisse determiniert und vorhersehbar sind.

Eine unfreie Entscheidung resultiert aus inneren bzw. äußeren Zwängen. Die freie Entscheidung (freier Wille) resultiert aus der Überwindung von inneren und äußeren Zwängen und ist eine Synthese aus bewussten und unbewussten, notwendigen und zufälligen Faktoren. Notwendigkeit und Zufall schließen sich nicht aus, sie durchdringen sich vielmehr gegenseitig und befinden sich in einem dialektischen Wechselwirkungszusammenhang.

Der Wille

Der Wille (im Unterschied zu Trieb, Instinkt, Begehren) ist eine psychische Instanz mit drei Funktionen: 1. "Willensgrund", Streben, Motiv, Beweggrund einer zu treffenden Wahl, 2. "Willensakt", Entscheidungsvermögen, der Entschluss und 3. "Willenshandlung" und das Durchsetzungsvermögen, die Ausdauer ein Ziel zu verfolgen.

Willensfreiheit

Der unbewusste Wille befindet sich im Wechselwirkungsfeld von Fühlen (Unterbewusstsein) und Denken (Bewusstsein) und wird zu einem freien Willen als Resultierende aus dem Bewusstwerdungsprozess von Fühlen, Denken und Handeln (Fühlen, Wollen, Denken, Handeln). Um sich des unbewussten Willens bewusst zu werden, muss ich erkennen, was ich will; um erkennen zu können, muss ich erkennen wollen. Wollen und Können bedingen sich gegenseitig. Wer nicht erkennen will, der kann auch nicht erkennen. Die Bedingung des freien Willens ist, analog zu Freiheit, die Einsicht in die inneren und äußeren Zwänge und Widerstände, der Abbau dieser Beschränkungen und die Schaffung von Bedingungen, die einen freien Willen ermöglichen.

Die Willensfreiheit realisiert sich schließlich in der Praxis durch die Entscheidungs- und Handlungsfreiheit bzw. durch die Abwägung von Gründen und Gegengründen, der daraus entstehenden rationalen Entscheidung und aus dieser erfolgenden Handlung. Menschen, die die Willensfreiheit verneinen, unterliegen inneren bzw. äußeren Zwängen, die ihren Willen fesseln, infolge dessen können sie auch nicht von einer Willensfreiheit reden, weil sie diese nicht kennen bzw. verdrängen.

Ganz manifest offenbart sich der Zusammenhang von Willensfreiheit, Zwang und Verdrängung bei Menschen, die psychischen Zwängen unterliegen (Neurose, Psychose, Schizophrenie...). Menschen, die behaupten, dass es keinen freien Willen gibt, sind im besten Falle in Bezug auf sie selbst im Recht, die Verallgemeinerung dieser Behauptung ist jedoch falsch. Menschen, die behaupten, dass die Liebe nicht existiert, dass sie nicht lieben können oder nicht lieben wollen, sind vielleicht in Bezug auf sie selbst im Recht, die Verallgemeinerung dieser Behauptung ist jedoch falsch. Menschen, die sich von einer Sucht (Internet, Spielautomaten, Alkohol, Drogen, Nikotin...) oder von einer anderen repressiven Struktur befreit haben, haben im Überwindungsprozess, der inneren und äußeren Zwänge, ihren Willen befreit und ihn somit als freien Willen erfahren. Menschen denen ein fremder Wille aufgezwungen wurde, die fremdbestimmt und unterdrückt wurden und die sich von dieser Unterdrückung befreit haben, haben in ihrem Befreiungsprozess ihren unfreien Willen zum freien Willen aufgehoben.

In dem Augenblick, in dem wir unsere inneren und äußeren Grenzen überschreiten, erfahren wir uns Selbst, wir erfahren die Selbstüberwindung, wir verlieren die Ketten und gewinnen unseren freien Willen. Wer sich nicht bewegt, der spürt seine Ketten nicht!

Der unfreie Wille wird also durch die Aufhebung der inneren und äußeren Schranken bzw. durch den Selbstüberwindungsprozess zum freien Willen aufgehoben. Die innere Freiheit des Menschen besteht in der Freisetzung und die äußere im Vollzug seines Willens. Die Leugnung des freien Willens resultiert aus einer repressiven bzw. religiösen Ideologie. Diese religiös reaktionäre Ideologie äußert sich in der allgemein bekannten Redewendung: "Der Mensch denkt und Gott lenkt". Der Mensch kann tun und denken was er will, das nützt ihm gar nichts, denn er ist nicht frei und hat demzufolge auch keinen freien Willen. Er hat lediglich die Illusion von Freiheit und vom freien Willen. Ausschließlich Gott, als vollkommenes Wesen, ist frei und hat einen freien Willen und aufgrund dessen lenkt er die Geschicke der Menschen. Paulus und Augustinus haben die Unfreiheit des Willens für die christliche Religion festgeschrieben. Die heidnischen Philosophen (Kelsos, Porphyrios...) haben von Beginn an die Widersprüche des Christentums dargelegt und damit die Absurdität dieser Religion erwiesen. Die Bücher der Kritiker wurden von den Christen konsequent verbrannt.

Die philosophische Kritik ist jedoch bei den christlichen Theologen, die eine Widerlegung der Kritik versucht haben, erhalten geblieben. Um sich gegen Kritik zu immunisieren haben die Autoren der Bibel und auch die späteren Theologen stets mehrere Bibelstellen geschaffen um sowohl jeden Sinn als auch jeden Unsinn sowohl zu belegen als auch widerlegen zu können. Die scheinbar theoretisch abstrakte Lehre von der Unfreiheit des freien Willens, resultiert aus konkreten, manifesten, repressiven gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen der Wille der Menschen, aufgrund der inneren und äußeren Abhängigkeit und der daraus resultierenden Ohnmacht, gefesselt ist. Der Mensch denkt und der Staat lenkt. Menschen, die entfremdet bzw. fremdbestimmt sind, sollen ihr Schicksal, entfremdet und fremdbestimmt zu sein, akzeptieren. Denn, wenn es keinen freien Willen gibt, dann gibt es auch keine Entfremdung, keine Fremdbestimmung und auch keine Willfährigkeit.

Demzufolge ist auch eine Veränderung der gesellschaftlichen Zustände nicht notwendig. Wenn jemand mental und emotional davon überzeugt ist, unterdrückt, entfremdet und fremdbestimmt zu sein; wenn er darunter leidet, seinen eigenen Willen aufgeben und sich einem fremden Willen beugen zu müssen; dann hat derjenige eine falsche Vorstellung, er bildet sich das alles ein. Derjenige, der glaubt einen freien Willen zu haben, der muss sich von dieser eingebildeten und falschen Vorstellung verabschieden und funktionieren so wie es alle anderen auch tun. Denn Gott hat jedem Menschen eine Funktion zugewiesen und der Sinn des Lebens liegt darin, diese Funktion zu erkennen, darin aufzugehen und dankbar für die unendliche Gnade Gottes zu sein. Du bildest dir nur ein, dass du leidest und dass es dir schlecht geht, befreie dich von diesen falschen Vorstellungen, gebe deinen Kampf gegen vermeintlich repressive Verhältnisse auf und füge dich deinem Schicksal, füge dich dem Willen Gottes, dann wird es dir gut gehen und du wirst glücklich!

Die Bibel gibt Anweisungen wie der Wille der Kinder zu brechen ist, mit Prügel und Schlägen. Wer sein Kind liebt, der züchtigt, der schlägt es. Warum wollen die Autoren, dass Kinder geschlagen werden? Die Kinder haben einen ursprünglichen, unverfälschten freien Willen und eine angeborene Wissbegierde und Wissenslust. Jedes gesunde Kind ist imstande in kürzester Zeit unzählige Fragen zu stellen und die Erwachsenen bisweilen damit gänzlich zu überfordern. Um die christlichen Lügen den Kindern einzutrichtern, muss ihr Wille und ihre Wissbegierde gebrochen, indem sie geschlagen werden. Den Kindern wird ihr freier Wille und die Wissbegierde weggeprügelt und die christliche Lüge eingeprügelt.

Die Autoren der Bibel, die selbst geprügelt worden sind, die Opfer waren, predigen die Prügelstrafe und ziehen aus den Prügeln der Anderen ihre sadistische Lust. Aus den Opfern sind längst Täter geworden. An dieser sadomasochistischen Struktur hat sich bis in die Gegenwart hinein nichts verändert. Die modernen Christen, die sich dem Vorwurf, ihre Kinder zu prügeln, entziehen wollen, zwingen ihre Kinder tagelang in einen dunklen Keller oder drücken den Kopf der Kinder ins Wasser, bis sie, wegen Luftmangel, zusammenbrechen. Die Kinder werden so lange misshandelt, bis sie willfährig sind, bis ihre freier Wille gebrochen wurde. Beide Foltermethoden hinterlassen keine körperliche Spuren. Die Aussage, "er ist ein gebrochener Mensch bedeutet, dass der freie Wille dieses Menschen gebrochen wurde.

Die raffinierte Methode liegt darin, die Kinder durch soziale Isolation zu misshandeln. Den Kindern wird zunächst erzählt, dass sie, wenn sie nicht an Jesus glauben, sie in die Hölle kommen. Die Kinder kommen dann in den christlichen Kindergarten, in die christliche Schule und in das christliche Internat. Die Kinder werden in der Weise manipuliert, dass sie sich stets in einem christlichen sozialen Umfeld bewegen, damit sie nicht mit Menschen in Berührung kommen, die von Teufel besessen sind und somit nicht mit teuflischen Gedanken infiziert werden können. Der Staat und die Religion lebten stets in einem symbiotischen Herrschaftsverhältnis. Der Staat benutzte die Religion um, die Menschen zu blenden, zu dominieren und auszubeuten und die Religion benutzte den Staat um die Menschen auszubeuten, zu dominieren und zu blenden. Schließlich gibt auch die Sprache einen Aufschluss über das Problem des freien und des unfreien Willens: Es gibt Handlungen, die man "freiwillig" und Handlungen, die man "unfreiwillig" tut. Seiner inneren Stimme folgen, heißt, seinem freien Willen folgen. Die Frage ist, ob man seinem freien Willen folgt oder willfährig ist.

Die Lehre von der Unfreiheit des Willens ist einerseits ein Vehikel und Affirmation der repressiven gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse und andererseits eine Ideologie, um diese repressiven Verhältnisse zu verschleiern und zu festigen. Denn, der Schein bestimmt das Bewusstsein. Wer den freien Willen leugnet, leugnet zugleich die menschliche Freiheit und wer die Freiheit leugnet, leugnet zugleich die Möglichkeit einer Selbstbestimmung. Der freie Wille ist wie alle anderen menschlichen Vermögen durch die Wirklichkeit bedingt. Es gibt selbstredend keinen absolut freien Willen, genauso wenig wie es die absolute Wahrheit oder die absolute Freiheit gibt. Es gibt jedoch einen sehr wertvollen, die Würde des Menschen bildenden, durch die Natur und die Kultur bedingten, freien Willen.

Selbstbestimmung

Erkenne dich Selbst! Selbsterkenntnis, Selbstbewusstsein, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung bedingen sich gegenseitig und befinden sich in einem Wechselwirkungsprozess. Selbsterkenntnis ist die Erkenntnis der eigenen Anlagen, Fähigkeiten, Schwächen, Stärken, Kräften, Grenzen und die Möglichkeiten des eigenen Vermögens. Selbstbewusstsein ist das bewusste Sein des eigenen Selbst, der Prozess des Sich-selbst-findens in Natur und Gesellschaft. Selbstbestimmung ist die Fähigkeit in Überwindung von inneren und äußeren Widerständen, durch die Freisetzung des Willens, durch Bildung und Selbstbildung bzw. durch die kritische Konstruktion der Zusammenhänge der Wirklichkeit, sich selbst zu bestimmen und damit das eigene Leben selbst aktiv zu gestalten. Der, durch die Natur und Gesellschaft bzw. durch die äußeren und inneren Zwänge, unfreie Wille wird durch die Aufhebung dieser Zwänge frei gesetzt und wird damit zum freien Willen.

Im gleichen Sinne wie es die Erkenntnis und die Freiheit gibt, gibt es auch den freien Willen. Wer den freien Willen leugnet, leugnet zugleich die Freiheit, wer Freiheit leugnet, leugnet zugleich die Möglichkeit der Selbstbestimmung, wer die Selbstbestimmung leugnet, leugnet zugleich die Möglichkeit der Selbstverwirklichung. Ohne Freiheit kein freier Wille, ohne freien Willen keine Selbstbestimmung, ohne Selbstbestimmung keine Selbstverwirklichung.

Aus der Erkenntnis über den freien Willen resultiert die humanistisch politische Forderung nach der Aufhebung repressiver Verhältnisse und nach der Emanzipation des Menschen.

Branislav Petrovic