"Es wird sich etwas ändern"

 

Darauf wollte ich gerade kommen: In Osnabrück gab es 2013 eine Initiative, die meiner Meinung nach viel mehr Publicity verdient hätte: Der Stadtrat kritisierte in einem Beschluss das kirchliche Arbeitsrecht und regt an, bei den in kirchlicher Trägerschaft befindlichen Sozialeinrichtungen, die ja trotzdem durch die Stadt finanziert werden, die Einhaltung der Arbeitnehmerrechte, wie sie gesetzlich vorgeschrieben sind, einzufordern. Haltet ihr diese Initiative für erfolgversprechend?

Corinna Gekeler: Die Initiative ist toll und sollte unbedingt bekannter werden. Bemerkenswert ist, dass hier Linke, Grüne und SPD gemeinsam kirchenkritische Politik betreiben – auch ein Novum, wenn ich mich nicht irre. Für erfolgversprechend halte ich den Vorstoß jedoch eher nicht. Im ersten Teil des Beschlusses räumt der Osnabrücker Stadtrat ein, dass das Problem vom Bundesgesetzgeber geklärt werden muss. Auf dessen Antwort bin ich zwar gespannt, aber zielführender wäre das Anregen einer Bundesratsinitiative gewesen, schließlich regieren SPD und Grüne ja in Niedersachsen zusammen. Im zweiten Teil geht es um den freiwilligen Verzicht der kirchlichen Einrichtungen auf ihre vermeintlichen Rechte. Auch das stimmt wenig optimistisch, könnte aber zu interessanten Rechtfertigungen der Privilegien führen. Drittens sollen die Verwaltungsangestellten und Beamten der Stadtverwaltung prüfen – was an sich schon ein bemerkenswerter Vorgang sein dürfte –, ob man bei zukünftigen Verträgen nicht "die Gewährleistung der vollen ArbeitnehmerInnenrechte" verlangen kann. Ohne klare Vorgaben der lokalen Politik dürfte man aber schnell zu einem negativen Ergebnis kommen. Genau diese Vorgaben scheint man hier aber nicht formulieren zu wollen. Man könnte nämlich Maßnahmen zur sogenannten positiven Diskriminierung formulieren, wie RechtsexpertInnen ausführen. Zum Beispiel könnte man das Einhalten des Tarifrechts als Vergabekriterium nutzen oder dass sich die Vielfalt der Osnabrücker Bevölkerung im Personalschlüssel widerspiegeln möge.

Vera Muth: Da arbeitsrechtliche Fragen auf Bundesebene geregelt sind, wird der Stadtratsbeschluss natürlich keine direkte Auswirkung auf die Situation der Beschäftigten haben. Aber ich bin immer dafür, aktiv zu werden und auf Unrecht aufmerksam zu machen. Und daher wünsche ich mir, dass sich noch mehr Städte zu einem solchen Schritt entschließen. Denn von Osnabrück ging ja ein starkes Signal aus: Schaut hin, in den Sozialeinrichtungen in kirchlicher Trägerschaft sind die Grundrechte der Angestellten nicht gewährleistet, hier besteht Handlungsbedarf. Die Entscheidung des Stadtrats hat dazu beigetragen, viele Menschen erstmals auf die Thematik aufmerksam zu machen und das Problembewusstsein geschärft. Besonders interessant finde auch ich die Idee der Vergabekriterien. Träger können nur die werden, die Antidiskriminierungsrichtlinien einhalten und das Grundgesetz wahren. Nachahmung also dringend empfohlen.

 

Wie schätzt ihr die Entwicklung innerhalb der deutschen Politik, konkret innerhalb der Parteien in Deutschland ein? Im aktuellen Bundestag stellen die Parteien, die sich einer Reform des kirchlichen Arbeitsrechts verschrieben haben, die Mehrheit.

Vera Muth: CDU und CSU sind den Kirchen scheints derart verpflichtet und pflegen wohl eine solch altmodische Auslegung ihres Glaubens, dass sie sich weiter zur Diskriminierung von Konfessionslosen, Andersgläubigen und Homosexuellen bekennen. So wird Deutschland weiterhin die Anforderungen der Antidiskriminierungsrichtlinie der EU nicht erfüllen. Bei den Linken, den Grünen und der SPD hingegen ist ein Bewusstsein dafür entstanden, dass zum Beispiel die Entlassung einer Kindergärtnerin, die sich nach einer Scheidung ein zweites Mal bindet, ein Unrecht ist. Dieses Bewusstsein kommt von der Basis der Parteien und ich gehe daher davon aus, dass die Änderung des Kirchlichen Arbeitsrechts vielen Mitgliedern ein Herzensanliegen ist, das sie solange auf der Tagesordnung halten werden, bis sich hier etwas verändert hat.

Corinna Gekeler: Ich würde gerne noch einmal auf die europäische Ebene schauen. Die Kirchenklausel im deutschen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist ja bekanntlich wesentlich kirchenfreundlicher als die EU-Vorgabe es vorsieht, was die Europäische Kommission überprüfen kann. Dazu muss sie aber von den Zuständen bei deutschen kirchlichen Arbeitgebern erfahren. Im EU-Parlament gibt es eine "European Parliament Platform for Secularism in Politics", die im Juni 2013 die GerDiA-Sprecherin Ingrid Matthäus-Maier, Vera Muth und mich zu einer Veranstaltung speziell zum kirchlichen Arbeitsrecht in Deutschland eingeladen hatte. Wir konnten wichtige Details zur Praxis der Rechtsauslegung der sogenannten Kirchenklausel darlegen, die den Anwesenden verdeutlichte, inwiefern Deutschland von den EU-Vorgaben abweicht. Ein Vertreter der Kommission wusste z. B. von den diskriminierenden Ablehnungen, Kündigungen und Urteilen gar nichts.

Es ist also sinnvoll, sich im Rahmen der Europawahl im Mai 2014 für kirchenkritische Politik einzusetzen. Zumal wir wissen – und anhand der oben erwähnten EU-Vorgaben nachweisen konnten – dass es in Brüssel eine massive und sehr gut ausgestattete Kirchenlobby gibt. Verbesserungen des Diskriminierungsschutzes werden seit Jahren von Deutschland blockiert, das sollte nicht so weitergehen.

 

Ver.di hat sich ja deutlich positioniert - und soweit ich weiß, auch die GEW. Für mich sieht das so aus, als gäbe es derzeit die Möglichkeit einen "Big Point" zur Trennung von Staat und Kirche zu setzen. Teilt ihr diese Einschätzung?

Corinna Gekeler: Ver.di, DGB und GEW haben ganz hervorragende Beschlüsse zur Abschaffung der diskriminierenden Privilegien gefasst. Vor allem Ver.di thematisiert zunehmend nicht nur Streikrecht und Tarifverträge. Ich werde dort als Expertin für Loyalitätspflichten gesehen, durfte hierzu einen Beitrag im Ver.di-Buch "Streik in Gottes Häusern" schreiben und auf der Ver.di-Kundgebung zur EKD-Synode am 9. November 2013 in Düsseldorf reden. Auf einer Veranstaltung in Köln forderte der Zuständige der GEW-NRW konkret Betroffene auf, sich zu melden, damit man sie unterstützen kann. Dass das mit der Einzelfall-Beratung und dem sehr wichtigen rechtlichen Beistand bei Ver.di noch nicht überall vor Ort klappt, konnten wir auf Bundesebene deutlich machen und zu fachlichen Entwicklungen beitragen.

Vera Muth: Die Gewerkschaften arbeiten intensiv daran, dem dritten Weg ein Ende zu bereiten und zumindest für den Bereich der Diakonie sieht es auch so aus, als könnte man endlich Lohndumping und Leiharbeit einen Riegel vorschieben. Wenn es mit kirchlichen Trägern erst einmal Tarifverträge gibt, kann darin auch geregelt werden, für wen die Loyalitätspflichten gelten und für wen nicht.

Verändern wird sich auf alle Fälle etwas. Ob es ein "Big Point" für die Trennung von Staat und Kirche wird, wird sich zeigen. Es könnte auch sein, dass es ein "Little Point" für innerkirchliche Reformen wird, wenn am Ende nur die Geschiedenen, die sich wieder verheiraten wollen, nicht mehr entlassen werden – ansonsten aber alles beim Alten bleibt. Oder es wird ein "Big Point" für die interreligiöse Zusammenarbeit, wenn zukünftig auch Muslime in christlichen Einrichtungen angestellt werden, Konfessionslose aber weiterhin diskriminiert werden... die Ausweitung der Beschäftigung auf Angehörige der monotheistischen, "abrahamitischen" Religionen, das ist nun wirklich kein antidiskriminierender Fortschritt.