Parallelwelten im Zoo

(hpd) Neulich diskutierte die Lyrikerin Sabine Scho öffentlich mit dem zukünftigen Berliner Zoodirektor Andreas Knieriem über die Zoos in unserer Gesellschaft. Nun wird sie am 15. März Deutschland beim Poesie-Festival in Umeå vertreten, der Europäischen Kulturhauptstadt 2014. Anlass ist ihr jüngstes Buch “Tiere in Architektur”, mit dem sie zum Exportschlager avancierte.

 

Manchmal helfen Alliteration und Oxymoron der Erkenntnis auf die Sprünge. “Gerechte Hege erbaut uns heute mehr als gebaute Hegemonie”, schreibt Sabine Scho in ihrem einleitenden Essay zu einem Foto- und Prosaband, der von Parallelwelten handelt, von Spiegelungen und Projektionen. Von der Sehnsucht nach dem Paradies und der Standardisierung der Architektur in den Zoologischen Gärten durch die Event-Kultur. Und von der Einsamkeit des Zoobesuchers.

Ausgangspunkt ihrer Erkundungen sind Fotografien. Sabine Scho, die gerade sieben Jahre in São Paulo verbrachte, fotografierte vor allem in amerikanischen Zoos, aber auch in Berlin, wo sie wohnt. Nicht die Tiere rückt sie ins Zentrum, sondern ihre artifiziellen Domizile. Die leeren Zoogehege des alten Zoos von San Francisco, in denen einst dreidimensionale Landschaftsbilder gebaut wurden und heute die Obdachlosen kampieren. Die futuristische von Berthold Lubetkin entworfenen Rutschbahn des Pinguin-Geheges im Londoner Regent´s Park aus den Dreißigern, aber auch die Sea World Adventure Parks, die überall auf der Welt ähnlich aussehen.

Und dann und wann ein Elefant, ein Tiger oder ein Kamel. Sabine Scho schreibt von der Suche der Zoo-Flaneurin nach dem Blickkontakt mit dem Tier, das sie gewöhnlich schlicht ignoriert. Mensch und Tier, durch altmodisches Gitter oder Glas und Trockengraben getrennt, leben in verschiedenen Welten. Und bleiben in verschiedenen Welten. Sind diese auch noch so ineinander verschachtelt. Der Mensch schafft Illusionen des Natürlichen vor allem für sich selbst – wie ein Leguan sein “grünes Grab” empfindet, werden wir nie entdecken. Wir erinnern uns an Thomas Nagels berühmte Frage “What is it like to be a bat?/ Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?”

“Was wissen Tiere von sich, wenn sie sich nicht spiegelleicht erkennen? Sind sie dann niemand und wäre Sich-niemand-Sein denn so schlimm?”, sinniert Sabine Scho angesichts von Elefanten, die bekanntlich einen Farbtupfer am eigenen Ohr im Spiegel erkennen können. Inmitten falscher hinduistischer Tempel mit gigantischen Götzengesichtern vermag Selbstvergessenheit, indem man sich aufs Ohr legt, auch ein Vorteil zu sein.

Vor dem eigenen Bild im Spiegel zu entzücken, könnte dagegen zu gefährlichen Irrtümern führen. Das Lichtbild eines Kraken, dessen Arme sich auf der Bassinscheibe vervielfachen, inspiriert Scho zu einem phantastischen kleinen Prosastück, in dem ein Krake sich nach einem in der Liebe sich doppelnden Ich-Dasein sehnt und vor lauter eigenen Spiegelarmen den Hai verkennt. Ein bisschen klingt das wie bei Ringelnatz.

Das All-Einheits-Gefühl mit dem Sein ist nur über den Umweg über das Zitat möglich. Walter Benjamins Fischotter, dessen Becken bei sintflutartigen Regenfällen mit den Kanalsystem der Großstadt verbunden ist, stand Pate bei einer überbordenden Projektion eigener höchst zwischenmenschlicher Liebesträumereien. Inspiriert durch den Anblick eines solchen Marderpärchens in einer Blechschüssel, die es zum Nest erkor.

Franz Kafkas transformierter Affe schrieb als Konsul Peter seinen “Bericht für eine Akademie” mit seinem Blut. Die Aufnahme eines Affen mit tiefer Schnittwunde im Schenkel, zugezogen im Kampf mit einem Artgenossen, lässt auch die Einsamkeit der Tiere als Gegenbild im Kopf entstehen, die nadelfeine Injektionen bei Versuchen jahrelang zwischen Tod und Leben halten. “Etwas besseres als den Tod finden wir überall” - “…in Bremen vielleicht…” Können Affen sich nach dem Tod sehnen? – wir wissen es nicht.

Simone Guski

 

Sabine Scho: “Tiere in Architektur. Texte und Fotos”, KOOKBOOKS, Berlin 2013, 126 S. 19,90 Euro