(hpd) Der Politikwissenschaftler Abderrahman Aresmouk will mit seinem Buch die Bedingungsfaktoren für die Entwicklung des Islamismus im Land erörtern. Er bleibt indessen überwiegend beschreibend an der bisherigen Sekundärliteratur orientiert und lässt bei allem Informationsgehalt doch eine klare und systematische Problemstellung vermissen. Besprechung einer analytisch nicht ganz geglückten Studie.
In Algerien konnten Islamisten bereits Anfang der 1990er Jahre breite gesellschaftliche Akzeptanz verbuchen. Ihr legalistischer Weg an die Macht über Wahlen wurde seinerzeit repressiv gestoppt. Allein von daher verdient die politische Entwicklung im Land, sowohl bezogen auf die Dynamik der islamsitischen Bewegung wie die staatlichen Reaktionen, gesondertes Interesse. Eine Arbeit zum Thema legte der Politikwissenschaftler Abderrahman Aresmouk mit dem Titel „Islamismus im Maghreb als Herausforderung für die EU-Sicherheitspolitik. Das Beispiel Algerien“ vor. Er will darin herausfinden, in „wie weit die Politik der dortigen wie der westlichen Herrschaftseliten Islamismus und Islamischen Fundamentalismus begünstigt sowie in welchem Maße das Regierungshandeln dazu beiträgt, eine hiermit verbundene Gefahr zu verringern oder erst heraufzubeschwören“ (S. 5). Dabei sollten nach einer „deduktiven Methode“ (S. 9) zuvor aufgestellte Hypothesen entlang der Fachliteratur zum Thema geprüft werden.
Historischer Hintergrund
Nach Erörterung zum „Islamischen Fundamentalismus“ als umstrittenen Begriff zur Analyse des Phänomens und einer Deutung des Islamismus als Oppositionsbewegung gegen die prowestliche Modernisierung konzentriert sich Aresmouk zunächst auf die historisch-politische und sozio-ökonomische Entwicklung. Dabei thematisiert er auch das Spannungsverhältnis von säkularistischem Nationalstaat und religiöser Rechtfertigungslogik und von autoritärem Obrigkeitsstaat und islamischem Gleichheitsideal.
Erst danach geht es um das Ringen der nationalistisch-säkularen FLN an der Macht und der islamistisch-fundamentalistischen FIS in der Opposition um die Dominanz in Gesellschaft und Politik. Hierbei findet neben den ideologischen Differenzen die staatliche Repression besondere Aufmerksamkeit. Dem folgen Ausführungen zur Entwicklung nach dem Arabischen Frühling 2011 hinsichtlich der ideologischen Folgen der Demokratisierung und der Perspektive der EU-Sicherheitspolitik auf den Islamismus in Algerien.
Bilanzierend formuliert Aresmouk: Das algerische Beispiele verdeutliche, „dass die mit dem Islamismus einhergehende oppositionelle politische Einstellung in erster Linie gegen die eigenen Herrschaftselite gerichtet ist, die sich seit dem antikolonialen Befreiungskrieg gegen Frankreich und erst recht seit der staatlichen Unabhängigkeit Algeriens im Islam legitimiert.“
Hoher Informationsgehalt
Hinsichtlich der politischen Ausdifferenzierung des untersuchten politischen Lager in Ideologie, Organisation und Strategie schreibt Aresmouk: „Während dieses Bürgerkrieges offenbarte sich, dass auch das bewaffnete islamistische Lager in Zielen und Vorgehensweise keine geschlossene Fraktion bildete, sondern einerseits aus gemäßigten Islamisten, die lediglich die Symbole der autoritären Staatsmacht angriffen und selbst dieser gegenüber sich dialogbereit zeigten, und andererseits aus radikalen Islamisten, die nicht nur Polizei und Militär, sondern in stärkerem Maße die weniger radikalen Strömungen innerhalb des algerischen Islamismus als Opfer ihrer Anschläge auswählten, bestand“ (S. 318f.). Aresmouk macht zutreffend auf diese Ausdifferenzierung des islamistischen Lagers aufmerksam.
Der Informationsgehalt seiner Darstellung ist hoch, wodurch man immer wieder treffende Einschätzungen findet. So zum Beispiel: „Jene Tendenz zu Autoritarismus und Antipluralismus, ausgehend von der politischen Instrumentalisierung des Islam, zeigte sich sowohl bei den postkolonialen maghrebinischen Herrschaftseliten als auch bei ihrer vornehmlich islamistischen Opposition“ (S. 75f.).
In der Gesamtschau könnte die Studie in Analyse und Systematik indessen weitaus mehr liefern. Sie orientiert sich für eine Dissertation ungewöhnlich stark an der Sekundärliteratur, wobei deren Ausführungen entgegen der Ankündigung doch nicht systematisch geprüft werden. Fragestellungen und Hypothesen bleiben unterentwickelt. An der Aussage zu einem Teilbereich, der Islamisten, welche sich mit „Demokratie, Pluralismus und Teilhabe an modernen Erungenschaften ... arrangieren“ (S. 250) wollten, darf darüber hinaus begründet gezweifelt werden.
Abedrrahman Aresmouk: Islamismus im Maghreb als Herausforderung für die EU-Sicherheitspolitik. Das Beispiel Algerien. Erschienen 2014 im Tectum-Verlag. 333 S., 39,95 €