Städte hinterfragen kirchliches Arbeitsrecht (2)

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Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/die Grünen im Stuttgarter Gemeinderat

STUTTGART. (hpd) Keine diskriminierenden Sonderrechte mehr für kirchliche Einrichtungen – das beschlossen der Rat in Osnabrück und in Stuttgart. Beide wollen als Auftraggeber nicht länger hinnehmen, dass die Beschäftigten unter kirchlicher Trägerschaft nicht die vollen Rechte wie bei städtischer und privater haben.

 

Hallo Peter Pätzold,

im Beschluss des Stuttgarter Gemeinderats wird die Verwaltung aufgefordert, alle freien Träger zu einem Gespräch über deren Einstellungs- und Beschäftigungskriterien einzuladen. Und zwar mit dem Ziel, dass die bei der Stadt üblichen Kriterien erfüllt werden. Was hat sich denn seit dem Beschluss vom 10. Februar in Stuttgart getan? Liegen schon Ergebnisse vor?

Peter Pätzold: Es liegen noch keine Ergebnisse vor, da es auch noch kein gemeinsames Gespräch mit allen Beteiligten gegeben hat. Die Grünen haben schon Gespräche mit den beiden Kirchen geführt, um sich auszutauschen und die gegenseitigen Standpunkte abzuklären. Dabei wurde auch über die rechtlichen Einschätzungen und den hier in Stuttgart praktizierten Umgang mit dem Thema gesprochen. Die Gespräche verliefen in einer freundlichen und sachlichen Atmosphäre.

 

Inwiefern wird es möglich sein, auf lokaler Ebene etwas zu ändern?

Zuerst wird man bei den Gesprächen sehen, wo denn genau die Probleme bzw. Unterschiede entstehen, denn es gibt eine Seite der praktischen Umsetzung und eine der Theorie.

 

Gehen wir einige Schritte zurück: Dass alle im Rat vertretenen Parteien einen solchen Beschluss fassen, ist doch recht bemerkenswert. Wie kam es zu dazu?

Alle Fraktionen wollten sich dem Thema Förderung der Freien Träger öffnen und die im Raum stehenden Fragen in einem Gespräch bzw. einer Diskussion auch ansprechen und lösen. Daher auch die Frage nach der Gleichbehandlung.

 

Stehen denn alle Parteien noch hinter dem Beschluss oder gab es schon Rückzieher bzw. Relativierungen?

Bisher hat niemand den Beschluss, Gespräche zu führen, zurückgezogen.

 

Welche Unterstützung erhält die „Stuttgarter Initiative“? Welche würden Sie sich noch weiter wünschen?

Die Diskussion wurde angestoßen und ruht aber jetzt in der Zeit der Kommunalwahl, die ja zusammen mit der Europawahl am 25. Mai stattfinden wird. Danach wollen alle Beteiligten dieses Thema in Ruhe und gemeinsam diskutieren und lösen.

 

Wo sehen Sie Unterschiede zur „Osnabrücker Initiative“?

Wir versuchen erst einmal vor Ort, das Thema zu diskutieren und die genauen Unterschiede und Streitpunkte auch in den einzelnen Bereichen herauszubekommen und festzulegen. Danach kann man sehen, wo denn die Unterschiede sind. Vor allem weiß man dann auch, wie die einzelnen Träger die Dinge umsetzen und handhaben, denn das ist nicht immer so klar bzw. unterscheidet sich auch manchmal in der Anwendung. Zu den Osnabrücker Kolleginnen und Kollegen gab es bislang noch keinen Kontakt, da es zuerst eine Frage für die Fraktionen untereinander ist, wie man damit umgeht und welche Mehrheitsforderungen aus diesen Gesprächen erwachsen.

Mehr als Anregen, Prüfen und Appellieren kann eine Stadt nicht, da sie sich nicht über Bundesgesetze wie das AGG und das BetrVerfG hinwegsetzen kann. Eine mögliche Strategie wäre jedoch eine Art lokale Antidiskriminierungsrichtlinie. Ein Gutachten von Prof. Dr. Fasselt belegt, dass zum Beispiel auf kommunaler Ebene Maßnahmen zur sogenannten positiven Diskriminierung formuliert werden könnten. Zum Beispiel könnte man das Einhalten des Tarifrechts als Vergabekriterium nutzen oder dass sich die Vielfalt der Stuttgarter Bevölkerung im Personalschlüssel widerspiegeln möge.
Die Fraktion SÖS/Linke im Stuttgarter Gemeinderat weist außerdem auf die Unterzeichnung der EU-Charta für Geschlechtergleichstellung und der Charta der Vielfalt durch Stuttgart hin, die für städtische Angestellte gelten. Sehen Sie in Anknüpfung daran Möglichkeiten, zu diskriminierungsfreien Vorgaben bei der Stuttgarter Auftragsvergabe?

 

Die Stadt hat schon diskriminierungsfreie Vorgaben und Vergabekriterien.  Die Frage ist ja, welche durch höhere rechtliche Regelungen und Gesetze aufgehoben werden und welche nicht.

Bislang gelten hier folgende Kriterien, ich zitiere: Nach § 11 AGG hat der Arbeitgeber die Stelle inner- wie außerbetrieblich so auszuschreiben, dass er keinen Bewerber wegen seines Geschlechts, seiner Rasse oder ethnischen Herkunft, seiner Behinderung, seiner Religion oder Weltanschauung, seiner sexuellen Identität oder seines Alters benachteiligt. Ausnahmen sind nur dann zulässig, wenn das genannte Merkmal (oder sein Nichtvorliegen) eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für die Tätigkeit selbst oder die Bedingungen ihrer Ausübung darstellt.

 

Wie geht es weiter?

Wir erwarten noch vor dem Sommer eine Diskussion und Gespräche mit den Freien Trägern, das war die Aufgabe auch an die Verwaltung.

Das Interview führte Corinna Gekeler

 

Die Osnabrücker und Stuttgarter Beschlüsse im Detail:

Der Rat der Stadt Osnabrück fasste auf gemeinsamen Antrag der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, SPD, Die Linke, UWG/Piraten am 12.11. 2013 folgenden dreiteiligen Beschluss:

1. Der Rat der Stadt Osnabrück hält auch in Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft die Gewährleistung der vollen ArbeitnehmerInnenrechte sowie die Beschränkung des besonderen Tendenzschutzes auf den Bereich der religiösen Verkündigung für erforderlich. Deshalb fordert er den Bundesgesetzgeber auf, den § 9 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) entsprechend zu ändern und den § 118 Abs. 2 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) zu streichen.

2. Die Verwaltung wird beauftragt, mit den von der Stadt finanzierten kirchlichen Einrichtungen Gespräche zu führen, die zum Ziel haben, dass diese bis zu einer entsprechenden Gesetzesänderung freiwillig auf die derzeit noch bestehenden Sonderrechte im Umgang mit den bei ihnen Beschäftigten verzichten.

3. Die Verwaltung wird beauftragt zu prüfen, ob bei künftigen Verträgen mit Einrichtungen/externen Trägern (konfessionsgebunden und konfessionsneutral) Vereinbarungen bezüglich der arbeitsrechtlichen Regelungen der dort Beschäftigten getroffen werden können. Ziel dieser Vereinbarung soll die Gewährleistung der vollen ArbeitnehmerInnenrechte in allen von der Stadt finanzierten Einrichtungen sein.

 

Der Stuttgarter Gemeinderat beschloss am 10.02.2014, die Verwaltung möge alle freien Träger zu einem Gespräch über deren Einstellungs- und Beschäftigungskriterien einladen. Und zwar mit dem Ziel, dass die bei der Stadt üblichen Kriterien erfüllt werden.

Die Grünen (Stuttgarts größte Fraktion) stellte den Antrag zusammen mit allen anderen vertretenen Parteien, d.h. (der Größe nach) mit den Fraktionen der CDU, SPD, Freien Wählern, FDP und SÖS/Die Linke.

Man strebt Transparenz über die Bedingungen bei kommunal finanzierten Arbeitsplätzen an und möchte einen Dialog mit den kirchlichen Einrichtungen über deren gängige Einstellungspraxis.

Trotz dieses parteiübergreifenden Vorstoßes wurde auf Protest der kirchlichen Träger hin inzwischen eine Präambel zur weltanschaulichen Neutralität für Träger in Ganztagsschulen gekippt, was jedoch nicht direkt mit dem Beschluss vom 10.02.2014 zusammenhängt.

 
Mehr zu Stuttgart:
http://www.lust-auf-stadt.de
http://hpd.de/node/18106
http://hpd.de/node/17958
http://www.stuttgarter-zeitung.de

Mehr zu Osnabrück:
http://hpd.de/node/17195
http://hpd.de/node/17196
http://fraktion-gruene-os.de
 
Mehr zu München:
http://www.aks-muenchen.de