(hpd) Franz M. Wuketits, österreichischer Philosoph mit Schwerpunkt Biowissenschaften, legt mit seinem Buch “Was Atheisten glauben” eine Abhandlung zur Frage der Moralbegründung von Atheisten und Gläubigen vor. Gut verständlich und sachlich vorgetragen liefert der Autor eine überzeugende Begründung dafür, dass Moral nicht notwendigerweise auf religiöse Legitimation angewiesen, sondern ganz im Gegenteil eine säkulare Begründung viel lebensnäher ist.
Geht der Glaube zurück, dann sinkt auch die Moral – dieser Deutung begegnet man heute immer wieder zur Begründung einer Religion. Beachtlich ist hierbei, dass nicht mehr auf die inhaltliche Angemessenheit, sondern die soziale Funktion abgestellt wird. In der Akzeptanz von Moral sehen Gläubige dabei häufig ein Alleinstellungsmerkmal der Religion allgemein oder ihrer besonderen Religion, womit sich dann jeweils die Kritik oder Verwerfung des Unglaubens verbindet: Atheisten gelten in dieser Perspektive zumindest als Relativierer oder gar als Zerstörer der Moral. Doch dem muss keineswegs so sein, wie Franz M. Wuketits in seinem Buch “Was Atheisten glauben” argumentiert. Das Thema irritiert bei diesem Autor zunächst, lehrt er doch an der Universität Wien zwar Philosophie, aber mit dem Schwerpunkt Biowissenschaft. Indessen hat auch diese besondere Perspektive sehr wohl etwas mit der aufgeworfenen Frage zu tun: Ist die Moral das Ergebnis eines konkreten Gebotes von Gott oder Folge evolutionärer Entwicklungen von Menschen?
Mit seinem Buch will Wuketits deutlich “machen, dass der Atheismus eine lebenswerte Daseinsform bietet, die – in humanistischer Perspektive – mit jeder Art der Strenggläubigkeit nicht nur mithalten kann, sondern dieser intellektuell und ethisch sogar überlegen ist” (S. 8). Dabei bedient er sich insbesondere der Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften, und hierbei eben der Evolutionsforschung, die in der dominierenden Religionskritik ansonsten keine so große Aufmerksamkeit finden. Denn eine herausragende Einsicht von Charles Darwin und seinen Nachfolgern bestehe in der Auffassung, wonach in der Entwicklung der Natur keine Absicht und kein Plan auszumachen sei. Demnach bedürfe man auch nicht der Annahme von einem “höheren Wesen”. Wuketits formuliert gar: “Gott ist für die Moral eine überflüssige Hypothese” (S. 104). Denn die Grundlagen der heutigen Auffassungen vom sozialen Miteinander hätten sich in der Folge von säkularen und vor-religiösen Erfahrungen der Kooperation und des Zusammenlebens ergeben.
“Moral, ich meine gelebte Moral, kommt nicht ‘von oben’, sondern ‘von unten’. Sie ergibt sich aus den ganz banalen Erfordernissen des alltäglichen Zusammenlebens …” (S. 94). Insofern sei auch die Gleichsetzung von Amoralismus und Atheismus schlichtweg falsch. Die Menschen verhielten sich aufgrund der unserer Gattung eigenen Verhaltensdispositionen freundlich zueinander. Dem Leben sei ebenso wie dem Universum nicht von einer übergeordneten Instanz ein besonderer Sinn eingegeben. Erst die Einsicht in diese Tatsache eröffne dem Menschen die Perspektive, sich eben selbst in Einstellungen und Handlungen einen Sinn selbst zu geben. Als Haltung des Atheisten benennt Wuketits denn auch folgende Positionen: “Der Atheist will ‘selig’ sein hier und jetzt, er bedarf einer ‘geistlich-geistigen’ Führung nicht und lässt sich nicht mit dubiosen Versprechungen einer ‘besseren Welt’ im ‘Jenseits’ über die Übel im Diesseits hinwegtäuschen; aber er übt sich in Toleranz und will niemandem seinen ‘Unglauben’ aufzwingen” (S. 156).
Letzteres gilt indessen nicht für alle Atheisten. Wuketits nimmt denn auch keine platte Gegenüberstellung nach dem Motto: Atheist gleich gut und Gläubiger gleich unmoralisch vor. Indessen kann dieser Eindruck entstehen, da ja die Gemeinsamkeit der Atheisten lediglich in dem negativen Merkmal der Leugnung der Existenz eines Gottes besteht. Insofern gehörten ebenso humanistische Demokraten (z.B. Betrand Russell) wie totalitäre Diktatoren (z.B. Josef Stalin) zu den Atheisten. Wuketits betont hierbei aber auch immer die nötige Differenzierung: “Und ein Atheist leistet seinen eigenen Überzeugungen keinen guten Dienst, wenn er sie mit jener Verbissenheit vertritt und verteidigt, die er Andersdenkenden vorwirft” (S. 45). Dies ist in der Tat nicht das Anliegen des Autors, der ganz bewusst keine “Kampfschrift” (S. 7) vorlegen wollte. Seine polemikfreie und sachliche Abhandlung ist auch aus diesen Gründen die Lektüre wert. Mitunter driftet Wuketits aber allzu sehr in sein Evolutionsthema ab, bekommt aber dann auch immer wieder die “Kurve” zum Buchtitel.
Franz M. Wuketits, Was Atheisten glauben, Gütersloh 2014 (Gütersloher Verlagshaus), 191 S., ISBN: 9783579085036, 19,99 Euro