Götter, Religionen und die Politik

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Gerhard Czermak

FRIEDBERG. (hpd) Der einem breiten Publikum bekannte liberal-protestantische F.W. Graf, Prof. für Systematische Theologie und Ethik in München, hat neuerdings gleich zwei Bücher publiziert, die sich mit weltweiten Fragen der Religionen befassen. Die aktuellen gesellschaftspolitischen Religionsthemen liegen ihm besonders am Herzen, wie insbesondere das von ihm allein verfasste Buch “Götter global” wieder einmal beweist.

Graf schreibt gewohnt klar und verständlich und bietet eine Fülle an konkreter aktueller Information, wobei das Thema Supermarkt der Religionen nur den Teil einer thematisch viel breiteren Darstellung ausmacht. Sein Ausgangspunkt und die Schlussüberlegungen gelten der Sorge um die weltweit nötige Zivilisierung von Religion.

Der erste Abschnitt gilt den Glaubensfakten wie der unglaublichen Vielfalt der Christentümer mit vielen tausenden selbständigen Gemeinschaften und zahlreichen internen Differenzierungen. Man erfährt etwa, dass heute in Nigeria aufgrund von Missionierung über doppelt so viele Protestanten leben als in Deutschland. Er verweist auf das schnelle, zum Teil explosionsartige (Südkorea) Wachstum des Christentums in Asien, trotz vielfachen Missionsverbots, und legt Gründe dafür dar. Dazu gehöre auch die massive Urbanisierung, etwa in China. Der Theologieprofessor bescheinigt den Christentümern “starke innere Spannungen und evidente Widersprüchlichkeit” (S. 20), was sie recht anpassungsfähig mache (indigene Sonderentwicklungen).

Cover: Götter global
 

Der Islam weise bei ebenfalls starkem Wachstum immer neuen internen Streit auf, die Furcht vor einer islamischen Übermacht in Europa sei aber ideologische Propaganda. Auch Fragen der Konversionen und Dissidenten werden erörtert. Dagegen wird die Problematik der Konfessionslosen, die in Indonesien komplett verboten seien, aber so gut wie ausgeblendet. Graf geht auf die neue Disziplin der “Religionsökonomie” ein, die sich mit Religion als Phänomen von Angebot und Nachfrage bei einem permanenten Überbietungswettbewerb befasst. Das betrifft weitgehend die “harten”, fundamentalistischen Glaubensweisen und führt, so Graf, im Internet zu einer “Produktion von gewalttätiger Religion” (S. 32).

In einem umfangreichen Abschnitt macht Graf “Deutungsangebote”. Es geht z.B. um abgrenzende Profilbildung der religiösen Anbieter, Anpassungsflexibilität (Beispiel: semantische Umschaltprozesse der katholischen Kirche in der Menschenrechtsfrage: von polemischen Ausfällen gegen liberale Zeitströmungen bis zur Hüterin der Menschenrechte im bioethischen Diskurs), konfessionsinterne Auseinandersetzungen, die umstrittene Legitimität des staatlichen Rechts, Religionsgeographie, juristische Religionskonflikte, den permanenten Konkurrenzkampf theologischer Schulen, Gewalt, Sexualität, Ausfransungserscheinungen im Monotheismus, gruppenspezifische Theologien (Milieutheologien).

In einem Abschnitt zu Deutschland verurteilt Graf die falsche Rede vom “jüdisch-christlichen Erbe” und vom “christlichen Abendland”. Er geht auf die immer bunter gewordene religionskulturelle Vielfalt ein. Einerseits fordert er erfreulicherweise, unser Staat dürfe sich schon aus Eigeninteresse “nicht zum Partner oder gar Komplizen nur eines religiösen Akteurs machen”, andererseits geht er auf die Nichtreligiösen dabei nicht ein. Die religionspolitischen europäischen Sonderwege behandelt das Buch nur allzu kursorisch und teilweise auch schief (Beispiel: Laizismus).

Zu Recht hebt Graf die Gefahr der “theokratischen Versuchung” der Kirchen im Staat hervor. Ein Abschnitt befasst sich mit der weltweiten Ökumene und ihren großen internen Problemen einschließlich der zahlreichen freiheitsfeindlichen Einflussnahmen russisch-orthodoxer Kirchenfunktionäre.

Ökumenische Aktivitäten wie die katholisch-protestantische Erklärung zur Rechtfertigungslehre (1999) sieht Graf mit Eberhard Jüngel (“Schummelökumene”) und Anderen recht skeptisch. Ein besonderes Augenmerk gilt der Selbstglobalisierung des Protestantismus. Besonders lesenswert dabei ist die sehr intensive Auseinandersetzung mit den sich fast explosionsartig ausbreitenden “Pfingstchristen”, unterschiedlich nach Voraussetzungen und Inhalt in Nord- und Südamerika sowie Afrika. Die kritische Auseinandersetzung mit der “kreationistischen Internationale” umfasst nicht weniger als 35 Seiten, die fast schon alleine die Anschaffung rechtfertigen. Recht instruktiv, auch historisch, sind die Erläuterungen zu den “Heiligen Kriegen”. Besonders verdienstvoll ist dabei die aktuelle Darstellung der komplexen Verhältnisse in Pakistan.

Nach einer Zusammenfassung zum Thema “fundamentalistische Herausforderung” schließt der Band mit Anmerkungen zur bedrohten Kultur der Toleranz und dem Erfordernis, Religion intern zu domestizieren. Von einer inneren Affinität des christlichen Menschenbilds zur parlamentarischen Demokratie könne keine Rede sein, theokratische Utopien fänden sich historisch bei allen drei klassischen monotheistischen Religionen. Graf setzt seine langfristige Hoffnung trotz der weltweit vorherrschenden demokratiewidrigen Aspekte der Religionen auf deren zwingend nötige interne Zivilisierung, um sie im Verhältnis zum säkularen, weltanschaulich neutralen Staat wenigstens kompatibel zu gestalten. Er hegt aber keine aktuelle Hoffnung auf eine baldige Abschwächung der global zahllosen Religionskonflikte.

Das sehr informationshaltige Buch (mit einem allerdings irreführenden Untertitel) fasziniert trotz seiner leider überbordenden Thematik und es brilliert mit besonders griffigen Formulierungen. Wegen der sehr kritischen Beurteilung des Phänomens Religion wirkt die Arbeit nicht wie die eines Theologen. Sie beschreibt hauptsächlich die äußeren Aspekte von Religion und ihre Auswirkungen, ohne die subjektiven Motive ausreichend zu berücksichtigen. Wie die Selbstzivilisierung der Religionen in Angriff genommen werden könnte, erläutert der Autor leider nicht. Nur punktuell (S. 249) spricht er abstrakt vom Erfordernis der Religionskritik und einer vernunftgeleiteten Aufklärung.