Im Jahr 2021 hat der US-Bundesstaat Texas die Optionen für straffreie Abtreibungen massiv eingeschränkt und dazu noch Privatpersonen die Möglichkeit gegeben, Schwangere und Ärzte zu überwachen. Dass dies das Potential zu Missbrauch und Verzweiflung hat, zeigt allein die Verhaftung der Lizelle H. wegen selbst herbeigeführter Abtreibung.
Im Jahr 1973 wurde mit der Grundsatzentscheidung Roe vs. Wade das Recht auf legale und somit auch medizinisch begleitete und sichere Abtreibung in den USA in der Verfassung verankert. Die Gesetzgebung in Texas vom Mai letzten Jahres verstößt dagegen. Sie setzt als letzten Zeitpunkt für einen legalen Schwangerschaftsabbruch das Einsetzen des Herzschlages beim Embryo fest (der hpd berichtete). Zumeist ist der Herzschlag per Ultraschall ab der sechsten Schwangerschaftswoche feststellbar. Einem Zeitpunkt, zu dem die meisten Schwangerschaften noch gar nicht entdeckt wurden. Obwohl das Gesetz im Herbst 2021 kurzfristig gestoppt werden konnte, trat es dennoch Ende des Jahres in Kraft.
Die texanische Regelung sieht nicht einmal Ausnahmen für später entdeckte Schwangerschaften als Konsequenz sexueller Gewalt vor. Einzig medizinische Gründe, wie die Gefährdung des Lebens der Schwangeren, gelten. Wer nicht das Geld und andere Ressourcen hat, den Bundesstaat zwecks legaler Abtreibung zu verlassen, und die Schwangerschaft heimlich beendet sowie Schwangere mit einer gar nicht so seltenen Fehl- oder Totgeburt ihres Wunschkindes können von Privatpersonen angezeigt werden.
So geschehen wohl bei Lizelle H., einer Texanerin Mitte 20, die Anfang April 2022 wegen "self-induced abortion" (selbst herbeigeführter Abtreibung) verhaftet wurde. Lizelle sollte den Tod eines Individuums durch selbst herbeigeführte Abtreibung verursacht haben und wurde dafür zunächst ins Starr-County-Gefängnis in Rio Grande City verbracht. Ihre Kaution wurde auf 500.000 US-Dollar festgelegt (etwa 466.000 Euro).
Zunächst war nicht klar, ob Lizelle vorgeworfen wurde, einer anderen Person bei einem Schwangerschaftsabbruch geholfen oder selbst nach der sechsten Woche abgetrieben zu haben. Zwei Tage nach ihrer Verhaftung konnte sie das Gefängnis verlassen, da ihre Kaution gestellt wurde. Rockie González, Gründerin von Frontera Fund, einer Organisation, die Unterstützung – auch finanzieller Natur – für diejenigen bereitstellt, die im Rio-Grande-Tal eine Abtreibung benötigen, meldete sich laut Deutsche Welle zu Wort und erklärte, dass Lizelle mit einer Fehlgeburt ins Krankenhaus gekommen sei. Das dortige medizinische Personal habe die Polizei verständigt, nachdem sie Informationen zu ihrem Zustand abgegeben habe.
Mitte April erklärte der Bezirksstaatsanwalt, dass es keine Anklage gegen Lizelle geben werde, da sie nach texanischem Gesetz kein Verbrechen begangen habe. Für Lizelle dürfte das ein schwacher Trost sein. Wurde sie doch nicht nur eingesperrt, sondern auch ihr voller Name samt ihrem Bild veröffentlicht.
Mit Lizelles Fall haben sich Befürchtungen erfüllt, die Gegner*innen des neuen texanischen Abtreibungsgesetzes formuliert hatten: Neben der Gefahr schwerer Verletzungen bis hin zum Tod durch illegale, unhygienische Schwangerschaftsabbrüche wurde auch die Beschuldigung nach Fehl- oder Totgeburt genannt. Wer nun nach einer Fehlgeburt medizinische Hilfe im Krankenhaus sucht, findet sich als nächstes womöglich in Untersuchungshaft wieder.
Texas ist jedoch nur ein Beispiel für die Aushöhlung in der Verfassung verankerter reproduktiver Rechte. Auch der Nachbarbundesstaat Oklahoma, welchen Schwangere aus Texas zur legalen Abtreibung aufsuchten, sieht sich jetzt mit einem neuen Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch konfrontiert.
Diese neuen Regelungen sind ein Erbe der Trump-Regierung, welche mit ihrer Besetzung des Obersten Gerichtshofes unter anderem den Weg für die Beschneidung reproduktiver Rechte freigemacht hat. Diese Entwicklung vorausahnend, hatte New York bereits 2019 vorgebaut und den Zugang zu legaler Abtreibung gesichert.