Das texanische "Fetal Heartbeat Law", das Abtreibungen ab der Feststellung eines Herzschlags beim Fötus verbietet, ist vorerst an den Klippen der Justiz zerschellt. Bundesrichter Robert Pitman urteilte am Mittwoch zugunsten des US-Justizministeriums, das gegen das texanische Gesetz geklagt hatte. In seiner Urteilsbegründung zerreißt Pitman die texanische Argumentation und nennt sie eine "Absurdität". Doch das Urteil ist lediglich ein Etappenssieg im Kampf um reproduktive Rechte.
Am 1. September trat in Texas "S.B. 8", das restriktivste Abtreibungsgesetz der gesamten USA, in Kraft. Personen, die einen Fötus abtreiben wollen, medizinisches Personal, das diesen Eingriff durchführt und generell alle, die auch nur mittelbar dabei unterstützen, können von Zivilist*innen verklagt werden, im Erfolgsfall winken den Klagenden Geldprämien von bis zu 10.000 US-Dollar.
Gegen dieses Gesetz hatte das US-Justizministerium Klage eingereicht. Präsident Joe Biden nannte es einen "bizzaren Plan", welcher "selbsternannte Gesetzesvollstrecker" hervorbringe und "verfassungsrechtliches Chaos" stifte. Weniger diplomatisch kann ein US-Präsident den Begriff "Selbstjustiz" wohl nicht ausdrücken.
Der Ausgang dieses Rechtsstreits wurde von zahlreichen Pro-Choice-Organisationen und Aktivist*innen mit Spannung erwartet, ist er doch Teil eines übergeordneten Ringens um Grundrechte. Und die Urteilsbegründung hat es in sich: "Der Staat unternimmt den halbherzigen Versuch, darzulegen, dass schwangere Personen noch immer eine Abtreibung vornehmen könnten. Doch seine Argumentation zeigt nur, wie effektiv das Verbot ist", schreibt Pitman. Texas zitiert nämlich nur eine einzige seit dem 1. September erfolgte Abtreibung nach Feststellung des Herzschlags und die wurde durchgeführt von Dr. Alan Braid, der unter dem Titel "Warum ich Texas' extremes Abtreibungsverbot missachtet habe" in der Washington Post selbst einen Kommentar über diesen Fall schrieb.
Der Staat Texas argumentiert also mit einem Arzt, der wissent- und willentlich eine Straftat beging, um darauf hinzuweisen, dass es nun unmöglich ist, legal einen Fötus abzutreiben, dafür, dass es doch immer noch möglich sei, Föten abzutreiben. Texas' Verteidigung der Verfassungskonformität des eigenen Gesetzes ist also, dass es missachtet wird. "Die Absurdität dieses Gedankengangs spricht für sich", so Pitman weiter.
Per richterlicher Anordnung ist die Durchsetzung von "S.B. 8" vorerst passé, was bedeutet, dass texanische Gerichte keine Klagen deswegen mehr annehmen dürfen. Einige Kliniken haben bereits im Vorfeld angekündigt, wieder Abtreibungen durchzuführen, sollte Pitman das Gesetz annulieren. Doch damit gehen sie ein großes Wagnis ein, sollte ein Berufungsgericht das Gesetz wiederum für gültig erklären. Dann wären alle in der Zwischenzeit erfolgten Schwangerschaftsabbrüche potentiell justiziabel.
Es könnte also noch dauern, bis Schwangere nicht mehr die Grenze zu einem anderen Bundesstaat überqueren müssen, um abzutreiben. Eine Klinik im Nachbarstaat Oklahoma berichtete während des Prozesses von einem steilen Anstieg der Anfragen aus Texas, die sich mehr als verdoppelt hätten. Eine andere Klinik schilderte, dass Menschen nun bis zu acht Stunden fahren würden, um zu ihnen zu gelangen.
Texas hat derweil Berufung gegen Pitmans Urteil eingelegt. Damit wandert der Fall zum "möglicherweise konservativsten Berufungsgericht des Landes". Der Kampf um die reproduktiven Rechte der US-Amerikaner*innen geht in die nächste Runde.