Das Buch "Briefe ins Nichts?" von Thomas Ebersberg ist ein kleines Taschenbuch, das Briefe des Autors an prominente Journalisten, Rundfunkredakteure, Philosophen oder etwa Theologen und Kirchenvertreter zusammenstellt und auch ausführliche Briefwechsel mit einigen von ihnen dokumentiert.
Anlässe zu den Briefen waren stets deren Aussagen in Zeitungen, Sendungen oder Interviews, die den Autor zu kritischen Anmerkungen reizten. Dabei geht es überwiegend um Fragen des christlichen Weltbildes. Das mag zunächst nicht besonders interessant erscheinen, haben doch wohl die meisten Leser dieser Seiten hier längst ihre Auffassungen dazu entwickelt und gefestigt.
Der Grund, weswegen ich hier dieses Büchlein dennoch sehr empfehle, folgt aus der bemerkenswerten Art und Weise der Auseinandersetzung, die stets schnell auf die wesentlichen Punkte zu sprechen kommt. Es gibt kaum längere monologe Ausführungen, die Diskussion erfolgt in vielen Fällen in Dialogform, wodurch auf eine Aussage des Gegenübers unmittelbar die Antwort erfolgt. Auch wenn es teilweise fiktive Dialoge sind, sie orientieren sich eng an den Aussagen der jeweils kritisierten Persönlichkeiten. Auf diese Weise entsteht eine sehr lebendige, geradezu kurzweilige Kontroverse um die eigentlichen zentralen Aussagen der christlichen Lehre. Die "Waffen" in diesen Auseinandersetzungen seitens des Autors sind schlicht und einfach: Logik, Lebenserfahrung und solide Bibelkenntnisse. Und er, der diese Waffen elegant florettartig einsetzt, ist ein Ex-Jesuit, der schließlich weiß, wovon er spricht.
Wer sind seine Gegner im Geiste? Zum Beispiel der Journalist und Literaturkritiker Ulrich Greiner, Mitwirkender in der Zeit-Redaktion "Glauben und Zweifel", die Redakteurin des Deutschlandfunks Christiane Florin, bekannt durch die morgendliche Sendung "Von Tag zu Tag – Aus Religion und Gesellschaft", der Astrophysiker und Philosoph Harald Lesch, der Philosoph Peter Sloterdijk, der Theologe Hans-Martin Barth oder etwa Kardinal Reinhard Marx und Bischof Heinrich Bedford-Strohm, neben vielen weiteren mehr oder weniger prominenten Persönlichkeiten aus dem deutschen Kulturleben, insgesamt vierzig an der Zahl. Es handelt sich somit um eine illustre "Gegnerschaft", allesamt Vertreter des christlichen Weltbildes, der der Autor und Ex-Jesuit Thomas Ebersberg seine Sicht prägnant und überzeugend entgegensetzt.
"Wer möchte auf all diese tröstlichen und zugleich verlockenden Perspektiven verzichten?"
Wie geht er vor bei seiner Auseinandersetzung? Nun – er seziert die Texte und Interview-Aussagen seiner Briefpartner und stellt zum Beispiel fest, dass trotz der behaupteten Einmaligkeit des christlichen Glaubens dieser doch nur den Mustern alter Opfer-Mythen folgt oder dass so manche eigenwillige oder sagen wir: vermeintlich glaubensrettende Aussage der frommen Damen und Herren in klarem Widerspruch zur Bibel steht. Vor allem aber kontrastiert der Autor die Aussagen seiner Briefpartner über Gott, die Bibel und ihren Glauben mit seinen eigenen, ganz persönlichen Erfahrungen. Man spürt als Leser dabei, wie geradezu verzweifelt die Anhänger des christlichen Glaubens durch kühne Interpretationen absolut überkommener Bibeltexte oder durch Ausweichen in säkulare Themen wie Bewahrung der Schöpfung oder Eintreten für die Klimaziele, die mit der eigentlichen christlichen Botschaft nun überhaupt nichts zu tun haben, versuchen, ihren Glauben an eine aus mythischen Zeiten kommende Lehre durch "Modernisierung" zu retten.
Am Beispiel der brieflichen Auseinandersetzung mit dem Professor für Systematische Theologie und Religionsphilosophie aus Marburg, Hans-Martin Barth, inzwischen emeritiert, möchte ich zeigen, dass sich die Lektüre dieses Büchleins wirklich lohnt, dass die Briefe nicht "ins Nichts" geschrieben wurden, sondern in aller Kürze und Prägnanz eine sehr substantielle Religionskritik darstellen und zudem spannend zu lesen sind.
In seinem ersten Brief an Barth stellt sich der Autor zunächst kurz vor. Nach diesen Vorbemerkungen zu sich als einst gläubiger Jesuit und Katholik markiert Ebersberg in wenigen Worten die fünf Essentials des christlichen Glaubens wie folgt (S. 163):
"Gläubige Menschen – und vor allem Theologen – stellen gewöhnlich die Prämissen ihres Glaubens nicht infrage. Erbsünde, Offenbarung, Auserwählung, Opfertod und Paradies – diese 'Glaubenswahrheiten' oder '-geheimnisse' werden von den Theologen/Innen bestenfalls neu interpretiert, nicht aber auf ihre 'Fragwürdigkeit' überprüft. Verständlich, denn was steht auf dem Spiel? Die 'Liebesbotschaft' des Gottes Jahwe, der jeden einzelnen von uns, egal, was ihm zustößt, angeblich 'liebt', die finale Gerechtigkeit per 'Jüngstes Gericht' und das Happyend für die 'Guten' in einem Jenseitsparadies, was so viel bedeutet wie: nur 'pro forma' sterben, 'tot' sein und dann doch 'ewig leben' – also letztlich die Hoffnung auf 'Unsterblichkeit' –, wer möchte auf all diese tröstlichen und zugleich verlockenden Perspektiven verzichten?"
Ebersberg geht dann auf das Barth'sche Gottesbild ein, das er als philosophisch-abstrakt, poetisch und bis zur Unkenntlichkeit aufgelöst kennzeichnet, Gott als eine Instanz, die "weder ist noch nicht ist". Der Autor fragt wohl zu Recht, wie zu einem solchen "Gott" eine Beziehung aufgebaut werden kann, eine Kommunikation von Person zu Person stattfinden soll. Ihm – Ebersberg – sei eine solche Kommunikation trotz größter Bemühung während seiner Jesuitenzeit nicht gelungen. Eine Beziehung ohne echte Kommunikation ist seiner Meinung nach unmöglich, widerspricht der Conditio humana.
Bei aller Kritik an den christlichen Glaubensvorstellungen, jenem Jesus attestiert er dank dessen "unerhörter" Gleichsetzung von Gottes- und Nächstenliebe eine positive Rolle innerhalb der Mythengeschichte.
Was ist mit den Millionen Menschen, die vor Jesus lebten?
Ein Letztes soll noch angesprochen werden. Das Versprechen der "Auserwähltheit", wenn man denn an Gott und Jesus glaubt. Ebersberg fragt: was ist mit den Millionen Menschen, die vor Jesus lebten und von dieser Religion noch nichts wissen konnten? Was ist mit den Milliarden Menschen, die heute und zukünftig auf dieser Erde leben und nie eine Chance hatten und haben werden, etwas von der christlichen Religion und ihrem Gott zu erfahren? Sie sind von den Möglichkeiten der Erlösung und des Paradieses ausgeschlossen. Welch ein "Egozentrismus" – so klagt Ebersberg –, das Heilsgeschehen auf sich und den eigenen Kulturkreis zu beschränken. Zudem rücke der Gedanke der "Auserwähltheit" und der "Gnade des Glaubens" diesen Gott unweigerlich in den Ruch der Willkür und Ungerechtigkeit.
Weiterhin empfiehlt er dem Theologen, sich öfter mal Naturfilme anzusehen. Dann würde ihm deutlich werden, dass in diesen sogenannten "Naturparadiesen" allein dank des brutalen Grundprinzips des Lebens "Töte, um zu überleben!" von "Paradiesen" nicht die Rede sein könne. Das Geschehen in der Natur lasse sich mit einem "Gott der Liebe" als Schöpfergott kaum vereinen.
Am Ende seines religionskritischen Buches versucht der Autor – zu Recht! –, seine Kriterien auch an die zu den Religionen alternative säkulare Weltanschauung, den Humanismus heutigen Verständnisses, anzulegen. Als prototypischen Vertreter nimmt er sich hierzu Michael Schmidt-Salomon mit einigen seiner Thesen vor. In diesem Zusammenhang ist für ihn zum Beispiel der Transhumanismus eine ebenso utopische Vorstellung, wie sie in ähnlicher Weise den Religionen zugrunde liegt. Die Diskussion hierüber leidet allerdings wohl an unterschiedlichen Vorstellungen von dem, was jeweils unter Transhumanismus, Willensfreiheit und Determinismus verstanden wird.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass fast jede Zeile dieses kleinen Buches ein Argument enthält, das die Fragwürdigkeit, die Unglaubwürdigkeit, letztlich die Substanzlosigkeit der christlichen Lehre bloßlegt. Das alles in eleganter Sprache, unpolemisch, aber ohne Scheu, gelegentlich auch Tacheles zu reden, prägnant auf den Punkt gebracht. Für mich eines der besten, weil argumentationsreichsten religionskritischen Bücher der letzten Zeit: leicht lesbar, mitunter geradezu vergnüglich in der Art der Auseinandersetzung, voller direkter und versteckter Argumente. Aus dem Munde eines Mannes, der Philosophisches und Theologisches so wunderbar verständlich erläutern kann.
Somit: Eine absolute Leseempfehlung für drei oder vier Nachmittage.
Thomas Ebersberg: Briefe ins Nichts?, 2022, 274 Seiten, Taschenbuch, Book on Demand, 10,99 Euro, E-Book 7,49 Euro, ISBN 978-3-7543-8457-2