Vergangene Woche wurde bekannt, dass ein Missbrauchsbetroffener das Erzbistum Köln auf 800.000 Euro Schmerzensgeld verklagt. Die Betroffeneninitiative Eckiger Tisch begrüßt die Klage.
Eckiger Tisch begrüßt die Versuche, angemessene Entschädigungen für Betroffene einzuklagen, ausdrücklich. Zwölf Jahre haben wir auf allen möglichen Wegen versucht, eine angemessene Entschädigungsleistung für die Betroffenen zu erreichen. Deshalb stehen wir jetzt möglicherweise an einer Wendemarke und werden demnächst eine Welle von Verfahren gegen Bistümer und Ordensgemeinschaften sehen.
Von Anfang an hat die Kirche alles unternommen, um solche Forderungen abzublocken. Stattdessen hat man den Begriff "Anerkennungsleistungen" erfunden. Dieser Ausdruck beschreibt die Lage exakt: die Kirche anerkennt, dass den Opfern Unrecht widerfahren ist, aber sie weigert sich, Verantwortung dafür zu übernehmen und eine echte Entschädigung anzubieten, also Schmerzensgeld und Ausgleich für den im Leben der Betroffenen angerichteten Schaden.
Wir wissen, wie wenig opferfreundlich das deutsche Justizsystem bei Entschädigungen in der Vergangenheit war, wie hoch andererseits die finanziellen Belastungen für Betroffene sein können, die klagen wollen. Auch deshalb haben wir bislang davor gewarnt, die Hoffnung auf den Klageweg zu setzen, da die Verfahren lange dauern könnten und der Ausgang, wie stets vor Gericht, am Ende unsicher ist. Viele Opfer sind aber schon in ihrer zweiten Lebenshälfte oder haben ihr Lebensende vor Augen. Ihnen läuft die Zeit davon. Auch dazu hat die Kirche aktiv beigetragen, indem sie Täter geschützt, Opfer mundtot gemacht und im Schweigen gehalten hat.
Die zentralen Fragen eines Klageverfahrens sehen wir positiv: die Amtshaftung der Institution für ihre Priester und die Mitverantwortung für das Nichthandeln beziehungsweise den aktiven Täterschutz ist weitgehend unstrittig, die zahllosen Verbrechen, die von Serientätern begangen wurden und es so einfacher machen, Taten nachzuweisen als dies in anderen Konstellationen der Fall ist, werden Klagen erleichtern. Und auch die Verjährung ist nach Überzeugung verschiedener Juristen nicht wirklich ein Problem: erstens ist zweifelhaft, ob sie denn wirklich schon rechtlich wirksam eingetreten ist. Schließlich konnte vor einem Jahrzehnt niemand davon ausgehen, einen Anspruch gegen die Kirche zu haben oder gar durchsetzen zu können. Und dann muss in Zivilrechtsverfahren die Einrede der Verjährung auch ausdrücklich erhoben werden. Dass die Kirche dies wagt, ist angesichts einer immer kritischeren Öffentlichkeit zu bezweifeln. Und es würde die Diskussion darüber eröffnen, in Deutschland wie in zahlreichen US-Bundesstaaten die zivilrechtliche Verjährung für eine gewisse Zeit gesetzlich aufzuheben, um ein "window of opportunity", eine Gelegenheit also, für Klagen zu schaffen.
Die in dem aktuellen Fall in Köln geforderte Schmerzensgeldsumme erscheint uns angesichts der Lebens- und Leidensgeschichte des Betroffenen als eine eher noch zurückhaltende Forderung. Auch deshalb wurde in dem Empfehlungspapier, das von Experten und Betroffenen 2019 erarbeitet und den Bischöfen vorgestellt wurde, auch eine moderate sechsstellige Summe von 300.000 Euro als mögliche pauschale Entschädigung vorgeschlagen, wahlweise ein abgestuftes System mit Beträgen zwischen mindestens 40.000 und bis zu 400.000 Euro. Wobei wir darauf hingewiesen haben, dass eine solche Abstufung immer auch einen hohen Aufwand bei der individuellen Zumessung in tausenden von Einzelfällen verursachen würde. Jedenfalls sind sechsstellige Entschädigungen angesichts von beschädigten Lebensläufen und Biografien der Opfer absolut angemessen.
Man lese sich nur mal die Aufzählung der Schmerzensgeldaspekte durch, die dem Gesetz und der Rechtsprechung folgend in den Empfehlungen genannt werden: neben der Tat oder den Taten selbst sind da insbesondere die Folgen für die physische und psychische Gesundheit, das Beziehungs- und Sexualleben, die Bildungskarriere und das Berufsleben bis hin zur Belastung durch den langen Kampf um Gerechtigkeit – dem steht die hohe kriminelle Energie der Täter und ihrer Beschützer gegenüber, das ganze System des Täterschutzes, das in Bistümern und Ordensgemeinschaften über Jahrzehnte etabliert wurde. Auch der Gedanke von "punitive damages", also einer abschreckenden Wirkung hoher Schmerzensgelder, ist keineswegs abwegig, um Anreize für eine nachhaltige Veränderung im Verhalten der Institution im Umgang mit dieser Art von Verbrechen zu schaffen.
Entscheidend wird aber sein, ob die Politik diesem Prozess weiterhin abwartend gegenübersteht oder endlich Vorschläge erarbeitet, wie die Wiedergutmachung zu Lebzeiten der Opfer organisiert werden kann. Dies hatte der Runde Tisch und die erste unabhängige Beauftragte der Bundesregierung Christine Bergmann schon 2011 gefordert. Bei der Aufarbeitung haben wir da in jüngster Zeit etwa im Koalitionsvertrag eine gewisse Bewegung bei der Aufarbeitung gesehen. Ähnliches steht bei den Hilfen und Entschädigungen noch aus.