Besorgniserregender Trend in den USA

Katholische Bistümer flüchten in die Insolvenz, um Entschädigungszahlungen an Missbrauchsopfer zu umgehen

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Symbolbild
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Die Auswirkungen, denen sich die Opfer sexuellen Missbrauchs stellen müssen, sind tiefgreifend und langanhaltend. Kein Geldbetrag kann das erlittene Leid der Betroffenen auslöschen, aber finanzielle Entschädigungen können ihnen helfen, die psychologischen und emotionalen Auswirkungen des Missbrauchs zu mildern und therapeutische Unterstützung zu erhalten. In einigen US-Bundesstaaten haben Opferverbände und die Kinderschutzbewegung erfolgreich Gesetzesänderungen in Bezug auf Verjährungsfristen und Entschädigungsbeträge durchgesetzt. Als Gegenreaktion wählen katholische Diözesen in diesen Staaten trotz Immobilienbesitz den Weg in die freiwillige Insolvenz, um den Entschädigungszahlungen zu entgehen.

Die Entscheidung, den Weg der Insolvenz einzuschlagen, um Missbrauchsopfer mit begrenzten finanziellen Mitteln abzufinden, wirft Fragen in Bezug auf die moralische Integrität der katholischen Kirche in den USA auf. Kritiker rügen empört, dass diese Vorgehensweise nicht mit dem Prinzip der Nächstenliebe, das sich die katholische Kirche auf ihr Banner schreibt, vereinbar sei. Das schweizer katholische Medienzentrum berichtet hingegen, dass der Erzbischof der Diözese San Francisco, Salvatore J. Cordileone, die Anrufung des Insolvenzgerichts mit der finanziellen Integrität der Diözese rechtfertigt. Der beim Insolvenzericht beantragte "Schutz vor den Gläubigern" soll es ihr erlauben, die "heilige Mission für die Gläubigen und die Menschen in Not fortzusetzen". Dass aber die Opfer des Missbrauchs durch katholische Geistliche "Menschen in Not" sind und sie zum Zeitpunkt des Missbrauchs in aller Regel noch zum Kreis der "Gläubigen" zählten und eben aus diesen Gründen an erster Stelle der "heiligen Mission" stehen oder zumindest Teil von ihr sein sollten, kommt in den medial publizierten Überlegungen des Erzbischofs nicht vor.

Rund 500 Zivilklagen seien ihm seit Inkrafttreten der Assemly Bill No. 218, auch bekannt als "California Child Victims Act", zugestellt worden, berichtet der Erzbischof in einer Aussendung. Diese Rechtfertigungsschrift beginnt bereits mit einer irritierenden Formulierung: "Brief an die Gläubigen von Erzbischof Salvatore J. Cordileone […]". Ob man daraus zu schließen hat, dass sich Erzbischof Cordileone bereits als neuer Religionsstifter mit eigener Gläubigenschar ansieht, muss im Dunkeln bleiben, doch steht zweifelsfrei fest, dass er die Konfrontation mit den liberalen Kräften in den katholischen Reihen sucht. Im Jahre 2022 machte der Erzbischof Furore, als er die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, eine der ranghöchsten Politikerinnen des Landes, wegen ihrer Haltung in der Abtreibungsfrage vom Empfang der Kommunion ausschloss. Cordileone befahl allen Priestern seiner Diözese, der katholischen Politikerin die Teilnahme an der Eucharistie zu verweigern, solange sie sich nicht öffentlich von ihrer liberalen Position zum Schwangerschaftsabbruch distanziert und danach die Beichte empfangen habe.

Seinen Entschluss für den Gang zum Insolvenzgericht habe er nach "langem Nachdenken, Gebeten und Beratungen mit (...) Finanz- und Rechtsberatern" getroffen, klärt der Erzbischof in seinem Brief auf. Das Insolvenzverfahren sei der beste Weg, eine mitfühlende und gerechte Lösung für die Überlebenden von Missbrauch zu bieten, stellt eine weitere Behauptung dar. Eine höchst kritikwürdige These, denn tatsächlich wäre der beste Weg für die Missbrauchsopfer die unkomplizierte und unverzügliche Begleichung der geltend gemachten Forderungen gewesen, selbst wenn man dafür den gesamten Immobilienbesitz verkaufen muss.

Die ungeschmückte Wahrheit ist, dass der Erzbischof der Diözese San Francisco seit Jahren an der Speerspitze jener katholischen Phalanx steht, die mit sämtlichen juridischen Tricks versucht, Entschädigungszahlungen an die Missbrauchsopfer zu verhindern. Es waren der Erzbischof Cordileone und acht weitere kalifornische Bischöfe, die zuerst bei den kalifornischen Gerichten, hierauf auch beim Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten mit einer Petition den California Child Victims Act als vermeintlich verfassungswidrig bekämpften. Das Gesetz bietet den traumatisierten Opfern, die seit Jahrzehnten mit den Folgen des sexuellen Übergriffs in der Kindheit ringen, rechtliche Erleichterungen, um finanzielle Entschädigungen für Therapien einzufordern. Unter anderem wird die Frist für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen auf 40 Jahre erhöht. Die Klägergruppe um Erzbischof Cordileone, die sich durch den Gesetzgeber diskriminiert fühlte, scheiterte vor Gericht in allen Instanzen.

Die katholische Kirche ist für Gläubige, nicht für Gläubiger da

Nachdem im April 2022 der Oberste Gerichtshof die Petition endgültig abschoss, starteten die katholischen Amtsträger die nächste juridisch abgestimmte Aktion, die Flucht in die Insolvenz. Laut Bericht der Catholic News Agency wurde landesweit in mehr als zwei Dutzend Diözesen Insolvenz angemeldet. Für die Betroffenen ein heftiger Schlag ins Gesicht. Viele von Ihnen mussten sich erst überwinden, ihre Forderungen geltend zu machen. Auch noch als Erwachsene fühlen sie Scham und sie fragen sich, ob man ihnen glauben wird. Sie belastet die Kritik, dass sie sich nicht als Kind gegen den Missbrauch gewehrt haben. Der ganze Vorfall wird wieder bewusst und schmerzt aufs Neue, am Ende gibt es einen lächerlichen Insolvenzbetrag. Faktum ist daher: Für die katholische Amtskirche in den USA besitzen rechtliche Verantwortung für die Verbrechen in den eigenen Einrichtungen und Commonsense bei moralischen Verpflichtungen keinen Stellenwert. Werte, auf die sich Humanisten auf der ganzen Welt verständigt haben, werden durch die Selbsterhöhung, eine "heilige Mission" erfüllen zu müssen, von den Bischöfen außer Kraft gesetzt.

Erzbischof Cordileone geht mit seiner Blockadepolitik noch weiter: Die Diözese San Francisco ist die einzige in Kalifornien, die noch keine Liste jener Geistlichen veröffentlicht hat, denen sexueller Missbrauch von Kindern vorgeworfen wird. Dabei hatte Erzbischof Cordileone schon im Jahr 2018 der Öffentlichkeit versprochen, genau dies zu tun. Mit der Nichterfüllung seines Versprechens bringt der Geistliche neuerlich Kinder in Gefahr und beschützt die Täter, meint Anwalt Jeff Anderson, der 125 Missbrauchsopfer in Kalifornien vertritt.

Der Betroffenenanwalt behauptet auch, dass die Erzdiözese ihre wahren Vermögenswerte verheimliche. Wenn aber nicht im Verkauf von Immobilienbesitz, worin zeigt sich dann die christliche Solidarität für die traumatisierten Opfer des Missbrauchs durch Priester? In der Erzdiözese San Francisco jedenfalls nicht in ausreichendem Ersatz der Heil- und Therapieaufwendungen und auch nicht in einer angemessenen finanziellen Entschädigung für das erlittene Leid. Folgende Worte des Trostes hat der Erzbischof in seiner Aussendung für die Opfer bereit:

"Auch wenn die meisten dieser Sünden vor vielen Jahrzehnten begangen wurden, wird es ein Zeichen christlicher Solidarität sein, wenn wir täglich gemeinsam den Rosenkranz beten, jede Woche eine Stunde in der Anbetung vor dem Allerheiligsten verbringen und freitags für die Überlebenden des Missbrauchs, für die Mission unserer Erzdiözese und für die Ausrottung dieses schändlichen Verbrechens aus unserer Gesellschaft als Ganzes fasten."

Der Erzbischof verspricht Rosenkranzgebete und freitags Fasten statt der dringend benötigten und moralisch wie rechtlich geschuldeten finanziellen Entschädigung. Zynischer hätte man aus Sicht der Missbrauchsopfer die Zahlungsverweigerung nicht beschönigen können.

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