Unter einsamen Jugendlichen sind antidemokratische Einstellungen verbreiteter. Einsame Jugendliche glauben häufiger an Verschwörungserzählungen, billigen eher politische Gewalt und neigen eher zu autoritären Einstellungen als nicht-einsame Jugendliche. Zudem zweifeln viele Jugendliche an der Demokratie – einsame sogar noch etwas häufiger als nicht-einsame. Das sind die Ergebnisse einer repräsentativen Studie des Berliner Think Tanks Das Progressive Zentrum.
Ein erheblicher Anteil der Jugendlichen fühlt sich demnach einsam. Knapp jede:r zweite Jugendliche leide manchmal oder immer unter emotionaler Einsamkeit, fühlt sich also ausgeschlossen (47 %) oder von anderen Menschen isoliert (47 %). Über die Hälfte (55 %) der 16- bis 23-Jährigen in Deutschland sagt, dass ihnen immer oder manchmal Gesellschaft fehlt. Viele der Befragten geben an, dass sie sich durch die Corona-Pandemie häufiger einsam gefühlt haben (56 %). Das Einsamkeitsempfinden junger Menschen hat eine Relevanz für die Demokratie: Die Studie zeigt, dass antidemokratische Einstellungen wie eine Verschwörungsmentalität, autoritäre Einstellungen und die Billigung politischer Gewalt unter einsamen Jugendlichen verbreiteter sind.
Etwa stimmen 58 Prozent der einsamen Jugendlichen der Aussage zu, dass die Regierung wichtige Informationen vor der Öffentlichkeit verheimlicht (Nicht-Einsame: 47 %), ein Indikator für Verschwörungsmentalität. Etwa 20 Prozent der einsamen Jugendlichen weisen hohe Zustimmungswerte zu autoritären Einstellungen auf, im Gegensatz zu 14 Prozent der nicht-einsamen. Sie stimmen also Aussagen zu wie "Ich bewundere Menschen, die die Fähigkeit haben, andere zu beherrschen" (Einsame: 46 %, Nicht-Einsame: 35 %). Ein Drittel der Einsamen gibt an, einige Politiker hätten es verdient, wenn die Wut gegen sie auch schon mal in Gewalt umschlägt. Von den Nicht-Einsamen stimmt dieser Aussage ein Viertel zu. Nur sehr geringe Unterschiede zeigen sich in Bezug auf populistische Einstellungen.
"Diese Untersuchung zeigt, dass Einsamkeit bei Jugendlichen ein demokratiegefährdendes Potenzial haben kann. Politik, Wissenschaft, Sozialarbeit und weitere zivilgesellschaftliche Akteur:innen sind dringend gefordert, Einsamkeits- und Extremismusprävention vernetzt zu denken und Jugendliche in der Teilhabe an der Demokratie zu bestärken", so Paulina Fröhlich, Co-Studienleitung und Leiterin des Schwerpunkts "Resiliente Demokratie" des Progressiven Zentrums.
Insgesamt sind Jugendliche von der Demokratie nur bedingt überzeugt: Nur 57 Prozent halten sie für die beste Staatsform, einsame Jugendliche sehen sie sogar noch etwas kritischer. Weiterhin glaubt nur rund ein Viertel (26 %) der Jugendlichen insgesamt, die Politik tatsächlich beeinflussen zu können. Obwohl viele klare politische Meinungen haben, herrscht eine gewisse Positionierungsangst bei Jugendlichen ("Ich vermeide es, mit Freunden und Bekannten über Politik zu sprechen, um nicht in Streit zu geraten"), die bei einsamen Jugendlichen deutlicher ausgeprägt ist (51 %, nicht-einsame: 37 %).
Keine Strategie zum Umgang mit Einsamkeit wird von den Jugendlichen überwiegend als hilfreich empfunden. Einsamkeitserfahrungen werden tendenziell individualisiert, und Bewältigungsstrategien werden vor allem in der eigenen Person gesucht. Drei Viertel (74 %) der einsamen Jugendlichen verbringen zum Umgang mit ihrer Einsamkeit mehr Zeit online, auf Social Media oder in Onlinespielen. Knapp die Hälfte davon gibt an, dass sie dies hilfreich findet. Weniger als die Hälfte der Jugendlichen mit Einsamkeitserfahrung sucht professionelle Hilfe.