Gutachten über Missbrauch im Bistum Mainz: Über 400 Betroffene

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Mainzer Dom
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Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf sprach von "erschreckenden Ergebnissen" des jetzt veröffentlichten Gutachtens über sexuellen Missbrauch von Minderjährigen durch Kirchenleute im Bistum Mainz. Sie erinnern an das, was kürzlich auch aus Essen bekannt wurde. Das Papier geht von mindestens 401 Betroffenen und 181 Beschuldigten aus, darunter 65 Prozent Kleriker.

Gerade einmal zwei Wochen nach der Essener Missbrauchsstudie zeichnet das Mainzer Gutachten dasselbe Bild von einer Kultur des Verharmlosens und Wegschauens, die solche Taten seit 1945 ungeahndet geschehen ließ.

"Das Bistum als verantwortliche Institution hat durch unangemessenen Umgang und mangelnde Kontrolle in vielen Fällen sexuellen Missbrauch begünstigt", schreiben die Autoren um den unabhängigen Regensburger Anwalt Ulrich Weber. In fast vierjähriger Arbeit werteten sein Team und er rund 25.000 Seiten Aktenmaterial aus, führten 246 Gespräche und Korrespondenzen mit Betroffenen, Verantwortlichen und Beschuldigten und befragten Mitglieder von Pfarrgemeinden und Caritas-Einrichtungen.

Ausführlich widmet sich das Gutachten der Rolle von Kardinal Hermann Volk, Bischof von Mainz zwischen 1962 und 1982, sowie seinem Nachfolger Karl Lehmann, der von 1983 bis 2008 amtierte. Zur Amtszeit von Volk habe die Kirche vornehmlich das Ziel verfolgt, "kein 'öffentliches Ärgernis' hervorzurufen", teilweise sei das Melden von Missbrauchsfällen sogar aktiv verhindert worden. Die Beschuldigten konnten laut dem Gutachten mit "Solidarität und Hilfsbereitschaft" der Kirche rechnen und mussten nur selten eine kirchenstrafrechtliche Verfolgung befürchten. Hingegen sei "ein Blick für das Leid der Betroffenen […] nicht vorhanden" gewesen.

Erst im Verlauf von Lehmanns Bischofsamt hätten sich erste Ansätze einer Sensibilisierung gezeigt, die sich jedoch auf Lippenbekenntnisse beschränkten. So seien die 2003 eingeführten Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz zum Umgang mit dem Missbrauch von Minderjährigen durch Geistliche im Bistum Mainz nur lückenhaft umgesetzt worden, kritisiert das Gutachten. Bischof Lehmann habe das Problem, anders als die Leitlinien forderten, nie als "Chefsache" betrachtet. "Seinen mit eigenen Worten formulierten Anspruch für den Umgang mit sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche und im Bistum Mainz hat er selbst zu keiner Zeit erfüllt", heißt es im Gutachten über Lehmann.

Der amtierende Mainzer Bischof Peter Kohlgraf nennt die Studie einen "Meilenstein" in der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals und räumt "große Verfehlungen und Versäumnisse" seiner Vorgänger ein. Er verwendet auch das Wort "Verbrechen". Er kündigte an, die Studie sei nicht Abschluss dieses Prozesses. Auch für Betroffene ist die Sache noch nicht erledigt. Matthias Katsch, Mitbegründer und Sprecher der Betroffenenorganisation Eckiger Tisch, forderte vom rheinland-pfälzischen Landtag die Einrichtung einer unabhängigen Kommission, die die Verbrechen aufklären soll.

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