Umfragen zeigen, dass sich eine große Mehrheit der Bevölkerung in verschiedenen europäischen Ländern für ein Recht auf Selbstbestimmung am Lebensende ausspricht. Deutlich geringer ist die Zustimmung bei medizinischem Fachpersonal und Parlamentariern. Bei ihnen überwiegt mitunter sogar die Ablehnung von Suizidhilfemöglichkeiten.
In einigen europäischen Ländern befragen verschiedene Institute regelmäßig die Bevölkerung nach ihrer Meinung, was für ein gutes und würdiges Lebensende erlaubt sein muss. Themen der Umfragen sind zum Beispiel, ob die Sterbehilfe auf schwere und unheilbare Krankheiten oder Hilfe in der letzten Lebensphase beschränkt werden soll. Gefragt wird nach der Zustimmung zu aktiver Sterbehilfe, Suizidhilfe oder passiver Sterbehilfe. Nur wenige Analysen erheben explizit die Zustimmung zu Sterbewünschen in früheren Krankheitsstadien oder in Fällen von Lebenssattheit. Da die Fragestellungen variieren, sind die Umfragen allerdings nur bedingt vergleichbar.
In einigen Ländern wurden auch Ärzt:innen oder anderes medizinisches Fachpersonal befragt. In Großbritannien wurden zudem Mitglieder des Parlaments befragt. Bei diesen Gruppen war die Zustimmung zum Selbstbestimmungsrecht deutlich geringer als in der Bevölkerung, im Gegenteil – hier überwog die Ablehnung von Suizidhilfemöglichkeiten. Die potenziellen Helferinnen und Helfer sowie Abgeordnete sind also mehrheitlich noch nicht so weit wie die Bevölkerung, die noch auf ihre Rechte am Lebensende wartet.
Nach dem Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2020, das das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für verfassungswidrig und nichtig erklärte, fragte YouGov in einer Umfrage im Jahr 2021 die Bevölkerung, ob die Straffreiheit des assistieren Suizids befürwortet oder abgelehnt werde. 75 Prozent der Befragten befürworteten die Straffreiheit. 15 Prozent lehnten die Straffreiheit ab und 10 Prozent machten keine Angabe oder wussten es nicht. Damit ist die Zustimmung zur Straffreiheit des assistierten Suizids gestiegen. Im Jahr 2019 hatten sich 69 Prozent dafür ausgesprochen.
Mit diesem Urteil haben die Bürgerinnen und Bürger hierzulande die weitreichendsten Rechte am Lebensende in Europa. Das Recht, sein Leben zu beenden, besteht in jeder Phase des Lebens, egal aus welchem Grund. Im Gegensatz zu anderen Ländern wird hier allen Menschen ein Recht auf Selbstbestimmung über das eigene Lebensende zugesprochen. Anders als in anderen Ländern, die Sterbehilfe am Lebensende zulassen, ist die Selbstbestimmung in Deutschland nicht an bestimmte schwere Krankheiten, unerträgliches und nicht abwendbares Leiden oder an eine begrenzte Lebenserwartung gebunden. Voraussetzung ist lediglich die Freiverantwortlichkeit der Entscheidung.
In der Schweiz sind Fragen der Suizidhilfe nicht nur Gegenstand von Umfragen, sondern auch von Volksabstimmungen. Ein aktuelles Thema ist die Frage, ob Alters- und Pflegeheime verpflichtet werden sollen, Suizidbeihilfe in ihren Einrichtungen zuzulassen. Eine wichtige Frage, die auch in Deutschland im Zusammenhang mit einer gesetzlichen Neuregelung diskutiert wird. Im Kanton Zürich wurde 2022 die Duldung von Sterbehilfe in Alten- und Pflegeheimen für alle Institutionen gesetzlich festgeschrieben. Doch dann drohten zwei Parteien mit einer Volksabstimmung. Daraufhin wurde das Gesetz geändert. Es tritt am 1. Juli 2023 in Kraft. Nun werden nur noch Heime in kommunaler Trägerschaft verpflichtet, Suizidhilfe auf Wunsch der Bewohner:innen zuzulassen. Heime in privater Trägerschaft – das wurde insbesondere von kirchlichen Trägern gefordert – sind von dieser Verpflichtung ausgenommen. Anders im Kanton Wallis: Im November 2022 stimmten 75,8 Prozent der Bürger:innen für ein Gesetz, das alle Pflegeheime verpflichtet, Suizidhilfe in ihren Häusern zuzulassen, wenn Bewohner:innen dies verlangen.
In Frankreich wurde ein Bürgerkonvent eingerichtet, um über mögliche Neuregelungen zu beraten. Eine Umfrage aus dem Jahr 2022 machte deutlich, was die Bürger:innen vom Bürgerkonvent erwarten: 78 Prozent der Franzosen wollten eine Gesetzesänderung zur Legalisierung von Sterbehilfe und assistiertem Suizid.
79 Prozent sagen, dass sie einem Arzt vertrauen würden, der Sterbehilfe befürwortet. 77 Prozent würden einem Arzt vertrauen, der Sterbehilfe anbietet. Darüber hinaus betrachten 82 Prozent der Franzosen Sterbehilfe und medizinisch assistierten Suizid als eigenständige Behandlung am Lebensende.
Nun wurde am 2. April der Abschlussbericht des Bürgerrates veröffentlicht. Demnach befürworten 76 Prozent der Mitglieder die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe gegenüber 23 Prozent, die diese ablehnen. Der Bürgerkonvent schlägt 19 Ansätze für den Zugang zur Sterbehilfe vor.
"Die Rechtfertigung für die Sterbehilfe ist nicht das Leiden, sondern die Freiheit.“ (Javier Velasco, DMD-Vorsitzender)
Nach englischem Recht ist die Hilfe beim Suizid illegal. Im Juni 2021 zeigte eine Umfrage jedoch, dass selbst die Mehrheit der religiösen Briten die Suizidhilfe befürwortet. Rabbi Romain, der Gründer einer Allianz religiöser Führer (Inter-Faith Leaders für Dignity in Dying, kurz IFDiD) sagte dem New Jewish Chronicle, eine YouGov-Umfrage unter mehr als 5.000 Erwachsenen habe ergeben, dass 53 Prozent der Menschen, die einer Religion angehörten, der Meinung seien, dass ihre religiösen Führer keinen Einfluss auf Politiker nehmen sollten, um sie daran zu hindern, das Gesetz zur Suizidhilfe im Jahr 2015 zu ändern. Der Rabbiner fährt fort: "Es gibt keine Heiligkeit im Leiden, nichts Heiliges in der Qual. Wir unterstützen eine Änderung des Sterbehilfegesetzes aufgrund unseres Glaubens und nicht trotz unseres Glaubens."
Der Verband der Allgemeinmediziner (RCGP = Royal College of General Practitioners) hat 2019 seine Mitglieder befragt, wie sich der Verband zu einer gesetzlichen Regelung der Sterbehilfe positionieren soll. 43,4 Prozent waren der Meinung, dass der Verband eine Gesetzesänderung ablehnen sollte. 31,6 Prozent waren dafür, dass der RCGP ein Gesetz unterstützen sollte, das die Sterbehilfe zulässt und regelt. 25 Prozent wollten, dass ihr Verein eine neutrale Position einnimmt. 2 Prozent enthielten sich der Stimme. Damit hat ein deutlicher Umdenkprozess eingesetzt. Noch 2013 hatten sich 77 Prozent der Hausärzte gegen eine Gesetzesänderung ausgesprochen.
Ein ähnliches Ergebnis ergab eine Umfrage unter den Mitgliedern der British Medical Association (BMA). Der Verband lehnt Sterbehilfe seit 2003 offiziell ab. Doch 2020 wendete sich das Blatt. Die Hälfte der befragten Mitglieder befürwortete nun eine Gesetzesänderung, 39 Prozent waren dagegen und 11 Prozent waren unentschieden.
Eine Umfrage von YouGov aus dem Jahr 2021 zeigt, wie weit die Einstellungen der Bevölkerung und der Abgeordneten des britischen Parlaments auseinander liegen. Auf der einen Seite gibt es eine überwältigende öffentliche Unterstützung für den ärztlich assistierten Suizid bei unheilbar kranken Patienten. Fast drei Viertel der Briten (73 Prozent) sind der Meinung, dass das Gesetz dahingehend geändert werden sollte, dass Ärzte einem unheilbar kranken Menschen beim Suizid helfen dürfen. Bei den Parlamentariern sind nur 35 Prozent dieser Meinung. Weitere 35 Prozent der Abgeordneten lehnen eine Liberalisierung ab, aber nur 9 Prozent der Bevölkerung teilen diese Ablehnung. 31 Prozent der Parlamentarier sind sich nicht sicher, gegenüber 17 Prozent in der Bevölkerung.
Bei der Frage, ob diese Hilfe nicht nur unheilbar Kranken im Endstadium ihrer Krankheit, sondern bereits in einem früheren Stadium möglich sein muss, gehen die Meinungen wiederum weit auseinander. In der Bevölkerung sprachen sich 50 Prozent dafür aus, auch dieser Gruppe zu helfen. Bei den Abgeordneten waren es 16 Prozent. Rund ein Viertel (23 Prozent) der Bevölkerung und 51 Prozent der Abgeordneten waren dagegen.
(Rabbi Romain, IFDiD-Gründer)
Der spanische Gesundheitsinformationsdienst Infosalus berichtete im Januar 2021, dass 90 Prozent der Bevölkerung über die Verabschiedung des Stebehilfegesetzes im Abgeordnetenhaus informiert waren. 72,4 Prozent der Spanier befürworten die Erlaubnis der Sterbehilfe, 10 Prozent lehnen sie ab und 5 Prozent sind sogar entschieden dagegen.
Ende 2020 hat der österreichische Verfassungsgerichtshof das Verbot des assistierten Suizids aufgehoben. 80 Prozent der Befragten gaben in einer Umfrage im Auftrag der Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL) an, dass sie diese Entscheidung gut finden. 55 Prozent hätten es begrüßt, wenn das Gericht mehr Freiheiten zugelassen hätte. 32 Prozent wollen im Falle einer Demenzerkrankung durch eine Sterbeverfügung die Beendigung ihres Lebens anordnen können. 23 Prozent möchten, dass auch die aktive Sterbehilfe erlaubt ist. 9 Prozent sind der Meinung, dass Sterbehilfe weiterhin verboten bleiben sollte und 11 Prozent machen keine Angaben. Im Falle einer gesetzlichen Regelung wünschen sich 53 Prozent der Befragten, dass das Parlament das Gerichtsurteil respektiert und ein Gesetz verabschiedet, das das Recht auf Sterbehilfe stärkt. 11 Prozent wünschen ein Gesetz, das den Zugang erschwert, 17 Prozent halten die derzeitige Regelung für ausreichend und ein neues Gesetz für unnötig. Bei der Frage, wer die Hilfe leisten soll, plädieren 64 Prozent für Ärzt:innen, 57 Prozent für professionelle Vereine in Kooperation mit Ärzt:innen und 27 Prozent sprechen sich für Hilfe durch Angehörige beziehungsweise Nahestehende aus. 7 Prozent lehnen alle diese Möglichkeiten ab und 9 Prozent wissen es nicht.
In einer aktuellen Umfrage im Auftrag der Hospizbewegung Baden (Österreich) geben 65 Prozent an, die Rechtslage zum assistierten Suizid in Österreich zu kennen, 36 Prozent kennen sie nicht. Für 38 Prozent käme ein assistierter Suizid für sie selbst grundsätzlich in Frage, 37 Prozent sind sich unsicher und müssten darüber intensiv nachdenken, 18 Prozent lehnen ihn aus religiösen oder anderen Gründen ab, 7 Prozent möchten die Frage nicht beantworten.
93 Prozent der Italiener sind für aktive Sterbehilfe. Dies geht aus einer von der Vereinigung Luca Coscioni bei der SWG in Auftrag gegebenen Umfrage hervor, bei der 1.000 Personen zu diesem Thema befragt wurden. Die Patientenverfügung ist 83 Prozent der Befragten bekannt, aber 71 Prozent wissen nicht, wie man eine Patientenverfügung erstellt. Für 84 Prozent der Befragten liegt der Grund dafür in der mangelnden Information durch die Institutionen und Einrichtungen. Die Hälfte der Befragten bemängelt das Fehlen eines angemessenen Rechtsschutzes und einer adäquaten rechtlichen Regelung in Bezug auf das Lebensende. Auch die Zahl der Befürworter eines Gesetzes zur Regelung der Sterbehilfe nimmt zu. 56 Prozent der Italiener sind unbedingt für ein Gesetz und weitere 37 Prozent für eine Regelung des Zugangs bei bestimmten körperlichen und gesundheitlichen Voraussetzungen. Damit sprechen sich 93 Prozent der Bürger für eine legale Sterbehilfe aus, so viele wie noch nie. Die Vereinigung Luca Cosicioni betont, dass die Italiener damit bewiesen, dass sie den Parteiführern voraus sind und Freiheitsreformen fordern, um über das eigene Leben und den eigenen Tod entscheiden zu können.
Javier Velasco, Vorsitzender des spanischen Vereins Derecho a Morir Dignamente (DMD, auf Deutsch: "Recht auf würdevolles Sterben"), brachte die Einstellung vieler Befürworter:innen des Selbstbestimmungsrechts am Lebensende auf den Punkt. Es kann viele Gründe geben, um Sterbehilfe zu bitten, aber: "Die Rechtfertigung für die Sterbehilfe ist nicht das Leiden, sondern die Freiheit."
Hinweis der Redaktion: Der letzte Absatz wurde am 02.05.2023 um 16:15 Uhr geändert. Vorher war hier von Javier Velasco als Journalist die Rede.
4 Kommentare
Kommentare
Achim A. am Permanenter Link
„Das Recht, sein Leben zu beenden, besteht in jeder Phase des Lebens, egal aus welchem Grund.”
Dazu muss man aber auch sagen, dass dieses Recht für viele freiverantwortliche Menschen nur ein theoretisches sein dürfte. Wer hilft einem jungen und gesunden freiverantwortlichen Menschen beim Suizid? Im Gegenteil würde man diese Gruppe eher am Suzid hindern, wenn nötig auch mit Zwang. Faktisch hat doch nur derjenige das Recht, der einen Suizidhelfer findet, und selbst dann muss das Vorhaben noch diskret behandelt werden.
Hans-Jürgen Bre... am Permanenter Link
Liebe Ulla Bonnekoh,
eine gute aktuelle Übersicht. Vielen Dank dafür.
Herzlichen Gruß aus Lüneburg nach Karlsruhe
Hans-Jürgen Brennecke
Javier Velasco am Permanenter Link
Javier Velasco ist nicht Journalist sondern Vorsitzender der spanischen Sterbehilfe Vereiningung DMD (Derecho a Morir Dignamente).
hpd-Redaktion am Permanenter Link
Vielen Dank für den Hinweis, wir haben es im Text geändert.