Eine behauptete Mäßigung hält einer kritischen Prüfung nicht stand

Auch die zweite Charta der Hamas 2017 forderte Israels Vernichtung

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Symbolbild
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Die erste Charta der Hamas von 1988 rief indirekt zur Ermordung von Juden und zu Israels Vernichtung auf. Die zweite Charta von 2017 gab sich bei vielen Fragen gemäßigter. Dass sich die Hamas aber nicht gewandelt hat, ist spätestens seit ihren jüngsten Massakern bekannt. Eine kritische Einsicht dazu hätte man schon vor sechs Jahren haben können. Ein heutiger Blick in die damals neue Charta macht dies deutlich.

Die Charta der Hamas, die bei der Gründung der islamistischen Organisation 1988 zustande kam, enthielt leicht erkennbar überaus problematische Positionen: Verklausuliert wurde gar mit religiösen Bezügen die Tötung von Juden verlangt. In ähnlicher Form trat man gegenüber dem israelischen Staat für dessen Vernichtung ein. Darüber hinaus fanden sich darin antisemitische Konspirationsvorstellungen, als Quelle wurden sogar die gefälschten "Protokolle der Weisen von Zion" genannt. Dabei bediente man sich gar aus dem Arsenal der NS-Propaganda, was auch Erwähnung in den wenigen kritischen Einschätzungen fand. Einige israelische Botschaften stellten den Charta-Text auf ihre Website, um die antisemitische Ausrichtung der Hamas zu dokumentieren. Dennoch blieb die Charta nur wenigen Interessierten bekannt, wenngleich damit das öffentliche Ansehen der Hamas in ein schlechtes Licht gerückt wurde. Damit einhergehende Eindrücke in Kombination mit organisationsinternen Konflikten um die richtige Strategie führten dann dazu, dass die Hamas 2017 eine neue Charta für ihr politisches Selbstverständnis veröffentlichte.

Blickt man vergleichend auf die alte und die neue Charta, so lassen sich einige inhaltliche Veränderungen ausmachen: Die Hamas berief sich nicht mehr auf die Muslimbruderschaft, die Islamisten als politische "Mutterorganisation" gilt. Man wolle einen souveränen und unabhängigen Palästinenserstaat etablieren, in den Grenzen von 1967 mit der Hauptstadt Jerusalem. Eine Gleichsetzung oder Identifizierung von Juden und Zionisten erfolgte ebenfalls nicht mehr, abgelehnt werde die israelische Besatzung und nicht die jüdische Religion. Allgemein erweckte die neue Charta den Eindruck von Friedfertigkeit und Mäßigung. Doch wie angemessen war und ist eine solche Deutung? Die 42 Artikel der neuen Charta stellten tatsächliche einen neuen Text dar, es handelte sich gegenüber der alten Charta nicht um eine bloße Ergänzung oder Überarbeitung. Unklar blieb damals aber die Einordnung des alten Textes. Denn von einer inhaltlichen Distanzierung von den dortigen problematischen Positionen konnte ebenso wenig die Rede sein wie von selbstkritischen Reflexionen. Dominierten inhaltliche Gemeinsamkeiten oder strategische Motive?

Man merkt der Ausrichtung in der neuen Charta an, dass es um politische Anerkennung und öffentliche Wirkung gehen soll. Die formale Mäßigung im Text hatte somit ein klares Ziel: Nicht um eine ideologische Änderung, sondern um strategische Täuschung ging es ihr. Spätestens die Hamas-Massaker im Oktober 2023 veranschaulichten dies aller Welt.

Liest man die Artikel der ganzen Charta, so lassen sich in entscheidenden Fragen sehr wohl Kontinuitäten ausmachen. So heißt es etwa in Artikel 14: "Das zionistische Projekt ist ein rassistisches, aggressives und separatistisches Projekt … Und der israelische Staat ist das Werkzeug dieses Projekts und sein Fundament." Die Aussage bezieht sich auf Israel, unabhängig von der Frage der Grenzen von 1967 oder den Siedlungsprojekten. Es geht um eine grundsätzliche Delegitimation des Staates. Entsprechend gilt in Artikel 18 die Gründung von "Israel" als illegal, was auch die bewusst gesetzten Anführungszeichen den Lesern veranschaulichen sollen. Und in Artikel 20 kann man lesen: "Hamas lehnt jede Alternative zu einer kompletten und vollständigen Befreiung von Palästina ab, vom Fluss zum Meer." Die auch häufig bei Demonstrationen in Europa gerufene Parole findet sich auch noch an anderen Stellen. Sie macht eine deutliche Aussage, die sich gegen die Existenz des israelischen Staates richtet. Er soll zugunsten eines souveränen Palästinas nicht mehr existieren, was man sich schwerlich ohne einen Vernichtungskrieg vorstellen kann.

Bezüglich des genauen Agierens äußert sich auch die neue Charta nicht. Es hießt aber in Artikel 23: "Widerstand und Jihad für die Befreiung von Palästina bleibt ein legitimes Recht …", was eben auch entsprechende Gewalttaten als Handlungsstil miteinschließt. Nach Artikel 25 entsprächen alle Methoden legitimen Rechten, auch der "bewaffnete Widerstand". Es ist hier jeweils von Befreiung die Rede, auch vom Widerstand. Beide Bezeichnungen sind positiv konnotierte Wörter. Sie stehen für Gewaltanwendung – ohne Grenzen. Die Charta nimmt keine Einschränkungen vor, alle Handlungen in diesem Sinne wären demnach möglich. Insofern bestehen diesbezüglich zwischen der alten und neuen Charta keine grundlegenden Differenzen. Lediglich die Formulierungen weisen in ihrer Schärfe gewisse Unterschiede auf. Daher kann hinsichtlich der bedeutsamen Frage der Auffassung zum Existenzrecht des israelischen Staates keine Mäßigung konstatiert werden. Allein die bekannte Forderung "vom Fluss bis zum Meer" bedingt eine entsprechende gewaltgeprägte Vernichtungsabsicht. Ein eliminatorischer Antizionismus prägt die Hamas.

Andere Bekundungen in der neuen Charta können diesen Eindruck schwerlich verwerfen, denn die angesprochenen Bestandteile des eigenen Politikverständnisses entsprechen nicht der Realität. So gibt es auch Ausführungen zum "palästinensischen politischen System", das nach Artikel 28 auf der "Grundlage von Pluralismus, Demokratie, nationaler Partnerschaft, Akzeptanz des Anderen und der Bereitschaft zum Dialog" bestehen soll. Angestrebt werde nach Artikel 20 die Ausrichtung palästinensischer Institutionen nach "demokratischen Prinzipien", insbesondere nach "freien und fairen Wahlen". Es stellt sich hier aber die Frage, warum die Hamas seit Jahren keine Wahlen durchführt. Es stellt sich ebenfalls die Frage, warum in Gaza die Hamas-Regierung eben nicht von Pluralismus geprägt ist. Man merkt der Ausrichtung in der neuen Charta an, dass es um politische Anerkennung und öffentliche Wirkung gehen soll. Die formale Mäßigung im Text hatte somit ein klares Ziel: Nicht um eine ideologische Änderung, sondern um strategische Täuschung ging es ihr. Spätestens die Hamas-Massaker im Oktober 2023 veranschaulichten dies aller Welt.

Frühere Darstellungen des Verfassers zur Hamas:

  • Antisemitismus und Antizionismus in der Charta der "Hamas". Eine Textanalyse aus ideengeschichtlicher und menschenrechtlicher Perspektive, in: Martin H. W. Möllers/Robert Chr. van Ooyen (Hrsg.): Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2010/2011, Erster Halbband, Frankfurt/M. 2011, S. 197-210.
  • Die palästinensische Hamas – eine islamistische Organisation zwischen Regierungspartei, Sozialpolitik und Terrorismus, in: Rauf Ceylan/Michael Kiefer (Hrsg.), Der islamische Fundamentalismus im 21. Jahrhundert. Analyse extremistischer Gruppen in westlichen Gesellschaften, Wiesbaden 2022, S. 157-172.

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