Die Feindschaft gegen Juden prägt auch zahlreiche islamistische Diskurse. Die Charta der Hamas fordert einen Palästinenserstaat – und ruft zur Erreichung dieses Ziels ganz offen zur Tötung von Juden auf.
Die Feindschaft gegenüber den Juden und der Zerstörungswille gegenüber Israel prägen zahlreiche islamistische Diskurse. Hierbei handelt es sich keineswegs um ein neues Phänomen. Neu hingegen ist die kritische Aufmerksamkeit in der westlichen Öffentlichkeit für solche Positionen. Anhand der programmatischen Charta der Hamas soll aufgezeigt und untersucht werden, wie sich judenfeindliche Positionen im islamistischen Diskurs wiederfinden. In dem Text von 1988, der mittlerweile auch in einer deutschen Übersetzung vorliegt, findet man die grundlegenden Auffassungen und Ziele der Organisation. Hierzu gehören auch Kommentare zu den Juden und Israel, welche als erklärte Feinde der Hamas gelten. Hier sollen dazu zwei Fragen beantwortet werden: Aus welchen geistigen und kulturellen Traditionen leiten sie sich ab? Und: Welche Konsequenzen verbinden sich damit bei einer Umsetzung für die Juden und den Staat Israel?
Diesen Artikel veröffentlichte hpd-Autor Armin Pfahl-Traughber bereits 2011 auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung. Er macht auf die antisemitische Ausrichtung der Hamas aufmerksam, welche bereits in ihrer Entstehungscharta indirekt die Vernichtung des Staates Israel forderte und ebenso indirekt Morde an Juden legitimierte. Später veröffentlichte die Hamas noch eine andere Charta, ohne aber dieses Grundlagendokument zu verwerfen. Die aktuellen Anschläge gegen Juden und israelische Einrichtungen stehen im Einklang mit dem hier analysierten Text.
Die Hamas als islamistische Organisation
"Hamas" steht in der arabischen Sprache für "Eifer" oder "Engagement". Gleichzeitig handelt es sich um eine Abkürzung für "Harakat al-muqawama al-islamiya" ("Bewegung des islamischen Widerstandes"). Das Emblem der Organisation zeigt unter anderem eine Karte vom heutigen Israel mit dem Gaza-Streifen und Westjordanland, was vollständig für das zukünftige Palästina beansprucht wird. Damit artikuliert sich bereits eine politische Grundposition der Organisation, die als palästinensischer Zweig der Muslimbruderschaft erstmals 1987 unter ihrer heutigen Bezeichnung öffentlich auftrat. Zunächst beschränkte man sich auf soziale Arbeit und religiöse Propaganda. Erst nach der ersten Intifada ging die Hamas zur Gewaltanwendung über, was sich auch in zahlreichen Selbstmord-Anschlägen zeigte. Bei den Wahlen 2006 erhielt man als Partei die absolute Mehrheit der Mandate im palästinensischen Legislativrat.
Der Text der Hamas-Charta als Quelle
Bei der am 18. August 1988 erstmals veröffentlichten Charta der Hamas handelt es sich um einen Text, der in der hier zitierten deutschsprachigen Übersetzung zwanzig eng bedruckte Seiten umfasst. Die mit Kapitelhinweisen und Seitenzahlen im Folgenden belegten Zitate entstammen folgender Übersetzung: "Charta der Islamischen Widerstandsbewegung Hamas" (aus dem Arabischen von Lutz Rogler [Redaktion INAMO, Berlin], in: Helga Baumgarten, Hamas. Der politische Islam in Palästina, München 2006, S. S. 207-226.) Zwischen der Präambel und dem Schlusswort finden sich fünf Kapitel mit 34 einzelnen Artikeln. Dabei entspricht die formale Stringenz der Strukturierung des Textes aber nicht unbedingt auch einer inhaltlichen Stringenz, das heißt entgegen der Ankündigung in den einzelnen Überschriften findet man darunter auch Positionen zu ganz anderen politischen Fragen. Der Text der Charta der Hamas steht unabhängig vom Ausmaß seiner Verbreitung für das politische Selbstverständnis der Organisation.
Das Bild von Israel und Palästina im Text
Die Hamas postuliert, "dass das Land Palästinas ein islamisches Waqf-Land für die Generation der Muslime bis zum Tag der Auferstehung ist". Dies meint, dass es sich bei Palästina um eine Art fromme Stiftung, um ein islamisches Land handelt. In dieser Perspektive steht die Region vollständig im Besitz der Muslime und zwar als Ergebnis einer göttlichen Vorgabe. Dies bedeutet für die Hamas denn auch: "Weder darf es oder ein Teil von ihm aufgegeben werden noch darauf oder auf einem Teil von ihm verzichtet werden ..." (S. 212, Artikel 11). Dazu seien weder Organisationen, Regierende noch Staaten berechtigt. Jede Abweichung von diesem Grundprinzip deutet man als Verstoß gegen Gottes Willen. Dies meint letztendlich auch, dass ein Existenzrecht Israels niemals anerkannt werden kann, da es in dieser Sicht gegen die diesbezügliche Deutung des Islam spreche. Als tagespolitische Konsequenz ergibt sich aus dieser Auffassung die Ablehnung jeglicher Friedenslösungen und -verhandlungen.
Die gewaltsame Zerschlagung Israels als Ziel
Das beschriebene Bild von Israel und Palästina bedingt aber nicht nur eine Ablehnung von Friedensgesprächen, sondern auch die Grundposition zur Zerschlagung des Staates Israel. Dies deutet sich in der Charta bereits bei der Skizzierung des exklusiven Selbstverständnisses an: "Die Islamische Widerstandsbewegung ist eine einzigartige palästinensische Bewegung, die Gott ihre Treue gibt, den Islam zur Lebensweise nimmt und dafür wirkt, Gottes Banner auf jedem Fußbreit Palästinas zu hissen ..." (S. 210, Artikel 6). Im Kontext dieser Auffassungen findet man im Text auch immer wieder die Forderung nach einem "Dschihad", wobei hiermit der Aufruf zum gewalttätigen Kampf gemeint ist. So heißt es etwa: "Der Patriotismus ist aus Sicht der Islamischen Widerstandsbewegung ein Teil des religiösen Glaubens, und es gibt im Hinblick auf den Patriotismus nichts Weit- und Tiefgehenderes, als wenn, nachdem der Feind seinen Fuß auf das Land der Muslime gesetzt hat, der Dschihad gegen ihn zu führen" (S. 213, Artikel 12) ist.
Die antisemitische Dimension der antizionistischen Positionen
Die vorgenannten Auffassungen und zitierten Passagen sind keineswegs lediglich antizionistisch gegen Israel. Sie sind auch antisemitisch gegen die Juden gerichtet. Als ein erstes Indiz dafür kann schon die Wortwahl gelten, benennt der Text die feindlichen Akteure doch gerade nicht als "Israelis" und nur selten als "Zionisten". Vorherrschend ist die Formulierung "Jude" für den jeweiligen Feind. Darüber hinaus heißt es an einer Stelle: "Israel ist mit seinem jüdischen Charakter und seinen Juden eine Herausforderung für den Islam und die Muslime" (S. 222, Artikel 28). Auch direkte Aufforderungen zur Gewaltanwendung im Text lassen deren antisemitischen Charakter erkennen: "Der Gesandte Gottes ... sagt: 'Die Stunde (der Auferstehung) wird nicht kommen, bis die Muslime gegen die Juden kämpfen. Die Muslime werden sie töten, bis sich der Jude hinter Stein und Baum verbirgt, und Stein und Baum dann sagen: Muslim, Oh Diener Gottes! Da ist ein Jude hinter mir. Komm und töte ihn', außer der Gharqad-Baum, denn er ist ein Baum der Juden" (S. 211, Artikel 7).
Propagierung antisemitischer Verschwörungsvorstellungen
Bestärkt wird die Auffassung, wonach es sich bei der Charta der Hamas um einen antisemitischen Text handelt, noch durch die darin enthaltenen Verschwörungsvorstellungen. Dabei macht die Hamas das behauptete konspirative Wirken von Juden für viele negative Entwicklungen verantwortlich: "Sie streben danach, gewalttätige und mächtige materielle Reichtümer anzuhäufen und sich ihrer zur Verwirklichung ihres Traums zu bedienen. So erlangen sie durch das Vermögen die Kontrolle über die internationalen Medien ... Durch das Vermögen lösten sie Revolutionen in verschiedenen Teilen der Welt aus, um ihre Interessen zu verwirklichen und Gewinne zu erzielen. Sie standen hinter der französischen Revolution, den kommunistischen Revolutionen und den meisten Revolutionen hier und da, von den wir gehört haben und hören" (S. 218, Artikel 22). Die zitierten Behauptungen entstammen dem Agitationsarsenal des europäischen Antisemitismus, hatte man doch bereits vor den Nationalsozialisten von einer "jüdisch-freimaurerischen Verschwörung" gesprochen.
Berufung auf die "Protokolle der Weisen von Zion"
Die Auffassungen in der Charta erinnern an die "Protokolle der Weisen von Zion", eine antisemitische Fälschung, welche die Existenz einer weltweiten jüdischen Konspiration behauptet. Die Hamas beruft sich auf diese Schrift sogar in aller Deutlichkeit: "Das zionistische Vorhaben ist grenzenlos, und nach Palästina streben sie nach der Expansion vom Nil bis zum Euphrat. Wenn sie das Gebiet völlig verschlungen haben, zu dem sie vorgedrungen sind, trachten sie nach einer weiteren Expansion und so fort. Ihr Vorhaben steht in den 'Protokollen der Weisen von Zion', und ihr gegenwärtiges Handeln ist der beste Beleg für das, was wir sagen" (S. 224, Artikel 33). Die Hamas unterstellt demnach nicht nur das jahrhundertelange Bestehen einer jüdischen Verschwörung, sie beruft sich hierbei auch offen auf die wohl bedeutendste antisemitische Hetzschrift des 20. Jahrhunderts. Obwohl bereits seit Beginn der 1920er Jahre bekannt war, dass es sich um eine Fälschung handelte, fanden die "Protokolle" auch nach 1945 vor allem in der arabischen Welt weiter Verbreitung.
Kontroverse Einschätzungen zur Bedeutung der Charta
Die antisemitischen und antizionistischen Grundpositionen im Text der Charta der Hamas sind durch die vorstehenden Ausführungen und Zitate deutlich geworden. Gleichwohl gibt es bezüglich der Bewertung und dem Stellenwert des Textes auch andere Stimmen: Danach sei kein Mitglied zu deren Lektüre verpflichtet und die Charta habe für die palästinensische Gesellschaft nur wenig Relevanz. Der Hinweis auf den Text diene westlichen Kritikern als Grundlage für eine Dämonisierung der Hamas (Helga Baumgarten). Dieser Hinweis kann aber allenfalls für die Einschätzung der Breitenwirkung ein Argument sein. Die Bewertung des Inhalts ändert sich dadurch nicht. Immerhin hat sich die palästinensische Organisation diesen Text als eigenes Programm im Sinne eines politischen Selbstverständnisses gegeben. Die Charta ruft ganz offen zur Tötung von Juden als Mittel auf, um das Ziel eines islamischen Palästinenserstaates zu erreichen. Die Bewertung solcher Forderungen als Ausdruck eines eliminatorischen Antisemitismus ist deshalb angemessen.
Schlusswort und Zusammenfassung
Bilanzierend können die oben gestellten beiden Fragen wie folgt beantwortet werden: Die Grundlagenwerke des Islams und Erklärungen der Muslimbruderschaft sind für die Hamas die ideengeschichtlichen Bezugspunkte in der Vergangenheit. Darüber hinaus knüpft die Hamas in ihrer Charta an das Agitationsarsenal des europäischen Antisemitismus an, was sich aus der ausdrücklichen Berufung auf die "Protokolle der Weisen von Zion" ergibt. Was die konkreten Folgen des Antisemitismus und Antizionismus im Text angeht, so lässt sich aufgrund der klaren und offenen Wortwahl der Hamas konstatieren: Die Juden und der Staat Israel sollen bis zur Vernichtung und Zerschlagung gewalttätig bekämpft werden. Die früheren Wellen von Selbstmordattentaten auch und gerade gegen zivile Einrichtungen und Personen in Israel können als ein direkter Ausdruck dieser grundlegenden Position gelten. Der Text lässt demnach sowohl am Antisemitismus und Antizionismus wie am Gewaltbezug und Vernichtungswillen der Hamas keinen Zweifel.
Literatur
- Baumgarten, Helga: Hamas. Der politische Islam in Palästina, München 2006.
- Croitoru, Joseph: Hamas. Der islamische Kampf um Palästina, München 2007.
- Misha, Shaul/Sela, Avraham: The Palestinian Hamas. Vision, Violence and Coexistence, New York 2000.
- Nüsse, Andrea: Muslim Palestine. The Ideology of Hamas, London 2002.
- Pfahl-Traughber, Armin: Antisemitismus und Antizionismus in der Charta der "Hamas". Eine Textanalyse aus ideengeschichtlicher und menschenrechtlicher Perspektive, in: Martin H. W. Möllers/Robert Chr. van Ooyen (Hrsg.), Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2010/2011. Erster Halbband, Frankfurt/M. 2011, S. 197-210.
Dieser Text wurde erstmalig unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE – Namensnennung – Nicht-kommerziell – Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlicht.
Erläuterung zum Titelbild: Wahlplakat der Hamas in Ramallah. Auf dem Plakat heißt es: "Palsetine From Sea to Rever" (sic!). Gemeint ist, dass Israel von der Landkarte verschwinden muss, damit ein islamischer Gottesstaat zwischen Mittelmeer (Sea) und Jordan-Fluss (River) entstehen kann.
8 Kommentare
Kommentare
David Z am Permanenter Link
Danke. Guter Artikel.
Ziemlich beschämend, wie lange das Problem der Hamas schon bekannt ist und sich noch nicht mal bei uns in D, dem Täterland von 33-45, kaum etwas gebessert hat. Immer noch sind nicht unerhebliche Teile von Politik und Medien auf Tuchfühlung mit der Hamas und indirekt im Unterstützungsmodus: entweder aufgrund naiv ignoranter Inkompetenz oder durch eine anti-jüdische Agenda. Eine andere Erklärung kann ich nicht erkennen.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Diese entsetzlichen Glaubensbotschaften werden noch die Halbe Welt in Schutt und Asche
Ansichten über deren erfundenen Gott mit Gewalt durchzusetzen, dies ist absolut Lebensfeindlich und wird früher oder später die Menschheit zerstören.
Roland Fakler am Permanenter Link
Auf der anderen Seite wird auch die Landnahme der Juden, an mehreren Stellen der hebräischen Bibel göttlich gerechtfertigt.
Daraus können wir schließen: Religionen wirken hassverstärkend. Sie sind unfähig irdische Probleme zu lösen, mehr noch: Sie machen irdische Probleme unlösbar für alle Ewigkeit. Da gibt es nur eine Hoffnung: Aufklärung und Säkularismus!
A.S. am Permanenter Link
Sie bringen es auf den Punkt.
So langsam frage ich mich, ob unsere Regierungseliten latent antisemitisch sind, allen verbalen Beteuerungen zum Trotz. Denn sie geben viel Geld nach Gaza.
Ist die Israel-Freundschaft Deutschlands nur geheuchelt? Wenn Reden und Tun derart auseinanderklaffen wie in der Nahostpolitik, drängt sich ein derartiger Verdacht geradezu auf.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Es gibt nie eine schuldige und eine unschuldige Seite, es sind immer zwei Seiten einer Medaille, leider sieht immer nur eine Seite sich im Recht und die andere als die bösen, so entstehen unlösbare Konflikte aus der U
David Z am Permanenter Link
Ich denke, es ist nicht unpassend festzustellen: Israel ist aufgeklärter und säkularer als ein palästinensischer Staat je wäre.
SG aus E am Permanenter Link
Da ‹Roland Fakler› die Aufklärung erwähnte (s.o.) und auch deutsche Politiker sich in der Regel als aufgeklärt sehen: Bundeskanzler Scholz, konfessionsfrei, ließ verlautbaren: "Die Sicherheit Israels ist deutsche
"Immanuel Kant stellte der Staatsräson das Prinzip der Gerechtigkeit gegenüber." (2)
Politische Bildung zu palästinensischen und israelischen Parteien ist wichtig. Die deutsche Politik würde ich aber auch gerne diskutieren. Bleibt die Frage: Was ist gerecht?
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(1) https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/pressestatement-von-bundeskanzler-scholz-zur-lage-in-israel-am-8-oktober-2023-in-berlin-2228218
(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Staatsräson#Kritik
David Z am Permanenter Link
Stellen Sie unsere geschichtlich bedingte Verantwortung für Israel in Frage?
Was gerecht ist, kann ich Ihnen sagen:
- Gerecht ist, wenn ein Kollektiv nach mehreren verlorenen Angriffskriegen und kontinuierlicher Terror-Bedrohung seines Nachbarn diesem Gebiete abtritt.
- Gerecht ist, wenn sich ein regelmäßig Geschädigter sich der Quelle seiner Schädigung zu entledigen versucht, nachdem man regelmäßig Frieden angeboten hat.
Ich bin auch kein Freund von politischer Nibelungentreue. Diese hat D in den 1.WK gerissen. Aber selbst ohne "Israelische Staatsräson" ist eine Positionierung an der Seite Israels eindeutig vernünftig und gerecht. Glauben Sie allen ernstes, das Leid in der Region würde weniger, wenn es einen dritten palästinensischen Staat gäbe? Reicht ihnen die Blaupause Gaza nicht?
Ohne Israel versinkt die Region im Chaos, noch größer und unvorstellbarer, als es jetzt schon der Fall ist. Gleichermaßen zum Leid von Israelis und Arabern.