Der Kampf um die geistige Freiheit ist ein mühsamer Weg, er bringt aber eine unschätzbare irdische Befriedung.
Der Glaube ist ein psychologisches Phänomen, das uns begleitet wie unser Schatten an einem sonnigen Tag. Bei diesem Stichwort denken wir meist an den religiösen Glauben. Doch wir kultivieren täglich einen Glauben, der viel mit unserem Alltag und wenig mit Spiritualität oder Metaphysik zu tun hat.
Gefühlt glauben wir stündlich. Nicht an Gott, sondern an uns selbst. Wir müssen dauernd glauben, dass wir die Anforderungen, die permanent an uns gestellt werden, meistern können. Wir brauchen den Glauben aber auch, um uns auszudrücken und die Welt zu verstehen.
"Ich glaube, dass ..."
Wenn wir beispielsweise eine Meinung zu einem Problem haben, unsere Ansicht aber nicht beweisen können und wir unsicher sind, beginnen wir unsere Erklärung mit dem Satz: "Ich glaube, dass …"
Der Glaube im alltäglichen und säkularen Sinn ist tief in unserem Unbewusstsein verankert. Er gehört quasi zu unserer DNA. Davon profitieren die Verkünder des religiösen und spirituellen Glaubens.
Dieser Glaube ist zwar eine andere Spielweise, uns im Grundsatz aber sehr vertraut. Es braucht also keinen geistigen Salto, um die spirituelle Form des Glaubens anzunehmen und in unser Bewusstsein zu integrieren.
Dieser Prozess ist für viele attraktiv, weil Religionsgemeinschaften den Glauben an das Göttliche für wahr halten und ihn den Gläubigen als letzte Überzeugung und als unumstößliche Wahrheit präsentieren. Außerdem können die Geistlichen ihren Anhängern verlockende Angebote machen. Sie versprechen vollmundig das ewige Leben. Und sie bieten nicht nur Zuversicht bezüglich des Jenseits, sondern spenden auch Trost im Diesseits.
Der religiöse Glaube ist deshalb primär ein Rezept, um den Gläubigen die Furcht vor der Vergänglichkeit und die Angst vor dem Tod zu nehmen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass im Zug der Individualisierung und Säkularisierung viele Leute die christlichen Heilsvorstellungen als nicht besonders plausibel oder zeitgemäß betrachten.
Trotzdem ist für viele von ihnen Gott nicht zwingend tot. Sie kultivieren den Glauben an eine göttliche Instanz weiter, um die Hoffnung auf eine Fortsetzung des Lebens nach dem Tod nicht begraben zu müssen. Ihr individueller Gott, den sie nach Belieben modellieren, ist eine Art Rückversicherung.
"Nützt es nichts, so schadet es auch nicht"
Sie gehen die Frage nach Gott und dem Jenseits pragmatisch an und begegnen den Zweifeln mit der Haltung: "Nützt es nichts, so schadet es auch nicht."
Für Leute, die den Drang nach der geistigen Freiheit haben, ist diese Haltung ein Taschenspielertrick. Sie wollen sich nicht mit einfachen Antworten zufrieden geben und ihre Zweifel und Ängste betäuben. Vielmehr sehen sie in den religiösen Heilskonstrukten zu viele Widersprüche und Ungereimtheiten.
Religiöse Dogmen hinterfragen
Die Themen Religion, Metaphysik und Lebenssinn sind ihnen viel zu wichtig, um die religiösen Dogmen unhinterfragt nachzubeten. Sie suchen einen philosophischen Ansatz, diese existentiellen Fragen anzugehen.
Wer sich auf diesen beschwerlichen Weg macht, das Leben zu ergründen, wird in der Regel schnell Zweifel an den traditionellen religiösen Vorstellungen bekommen. Die meisten von ihnen werden den Glauben an einen Gott, eine Erlösung und ein Leben nach dem Tod aufgeben oder verlieren.
Dafür finden sie die geistige Freiheit, die eine unschätzbare irdische Befriedung bringt.
Übernahme mit freundlicher Genehmigung von watson.ch