Eine fowid-Untersuchung

Wer sind die Konfessionsfreien?

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Der Anteil der konfessionsfreien Menschen in Deutschland ist in den vergangenen Jahrzehnten stetig gewachsen und übersteigt inzwischen den der beiden großen Kirchen. Damit gewinnen die Werte und Positionen dieser Gruppe weiter an Einfluss in der Gesellschaft. Eine dreiteilige Analyse der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) hat jetzt die Einstellungen und weltanschaulichen Orientierungen der Konfessionsfreien untersucht.

Die Mehrheit der Menschen in Deutschland gehört keiner religiösen Konfession an. Doch wer sind diese Konfessionsfreien? Welche Werte, Weltanschauungen und politischen Überzeugungen vertreten sie? Wie hat sich diese Gruppe in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt und wie unterscheiden sich frühere Kirchenmitglieder von denjenigen, die nie einer Konfession angehört haben?

Diesen Fragen widmet sich die Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) in einer dreiteiligen Artikelserie (Teil 1, Teil 2, Teil 3), verfasst von Carsten Frerk und Michael Schmidt-Salomon (Teil 2: Carsten Frerk). Die Untersuchung basiert auf den Daten der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS), die seit 1982 alle zwei Jahre erhoben werden. In zehnjährigem Abstand stehen Fragen zu Religion und Weltanschauung im Mittelpunkt der Befragung, zuletzt 2012 und 2023. Im Folgenden sollen einige zentrale Ergebnisse vorgestellt werden.

Ausgetretene und "Autochthone"

Der Anteil der Konfessionsfreien in der Bevölkerung hat sich zwischen 1982 und 2023 von 8 auf über 40 Prozent erhöht. Bedeutende Faktoren für die Zunahme sind die Wiedervereinigung 1990 und der anhaltende Trend zur Säkularisierung in der gesamten deutschen Gesellschaft.

Die Mehrheit der Konfessionsfreien ist getauft und erst später aus der Kirche ausgetreten. Besonders hoch war der Anteil bei der Befragung 1982, die sich noch auf die damalige Bundesrepublik beschränkte. Damals waren 86 Prozent der Konfessionsfreien Ex-Kirchenmitglieder, nur 14 Prozent hatten nie einer Konfession angehört (Autochthone). Nach der Wiedervereinigung haben sich die Anteile stärker angeglichen, sodass die Befragung 2023 ein Verhältnis von 60 Prozent Ausgetretenen zu 40 Prozent Autochthonen ergab.

Im Zeitverlauf zeigt sich zudem, dass stets die jeweils jüngste Altersgruppe die höchste Quote von Autochthonen aufweist. 1992 waren dies vor allem in der DDR Geborene, zehn Jahre später, 2002, machten sich zusätzlich die Jahrgänge 1973 bis 1984 bemerkbar; Frerk nennt sie "Kinder der '1968er-Generation'". Seit 2012 hingegen steigt der Anteil der Ausgetretenen. In diese Zeit fallen auch der Missbrauchsskandal in den Großkirchen und seine mangelhafte Aufarbeitung durch die Verantwortlichen, die viele Menschen zum Austritt bewogen haben.

Mehrheitlich für individuelle Selbstbestimmung

2023 stellten die Konfessionsfreien die größte Gruppe unter den 30- bis 49-Jährigen. Sie verorten sich mehrheitlich im politischen Spektrum der Mitte bis links und leben häufiger in Städten als auf dem Land, wobei sich das Stadt-Land-Gefälle seit 1982 deutlich verringert hat.

In zentralen gesellschaftspolitischen Fragen sind Konfessionsfreie häufig deutlich progressiver als Kirchenmitglieder: Bereits 1982 sprachen sich 55 Prozent gegen das traditionelle Rollenbild ("Kinder, Küche, Kirche") aus. 2012 hatte sich dieser Anteil auf 88 Prozent erhöht, 2023 betrug er 87 Prozent. Noch stärker zeigt sich der Trend in der Gesamtgesellschaft, wenn auch mit geringeren Zustimmungsquoten: Zwischen 1982 und 2018 stieg die allgemeine Ablehnung der traditionellen Frauenrolle von 30 auf 80 Prozent. Die Autoren Frerk und Schmidt-Salomon werten diese Entwicklung im Kontext des wachsenden Anteils von Frauen mit hohen Bildungsabschlüssen und Berufsqualifikationen. "Diesen sozio-ökonomischen Bedingungen können sich auch Kirchenmitglieder nicht entziehen", schreiben sie.

Beim Thema Schwangerschaftsabbruch vertreten die Konfessionsfreien über die Jahre hinweg eine deutlich progressivere Position als alle anderen Gruppen. 1982 äußerten sich 57 Prozent von ihnen pro Recht auf Abtreibung, wenn die Frau dies wünscht. 2023 waren es bereits 81 Prozent. Im selben Zeitraum stieg die Befürwortung in der Gesamtbevölkerung von 28 auf 67 Prozent (bei Katholiken von 21 auf 54 Prozent, bei Evangelischen von 31 auf 68 Prozent).

Neben dem Schwangerschaftsabbruch ist die ärztliche Sterbehilfe ein zweites intensiv diskutiertes Thema im Bereich der individuellen Selbstbestimmung. Auch hier äußert sich die überwiegende Mehrheit der Konfessionsfreien zustimmend. In der jüngsten Befragung von 2023 bewerteten insgesamt 88 Prozent Sterbehilfe als "weniger schlimm" oder "gar nicht schlimm". Unerwartet für die Autoren zeigten ausgerechnet die ehemaligen Kirchenmitglieder eine höhere Billigung der Sterbehilfe als die Autochthonen. Nach Ansicht von Frerk und Schmidt-Salomon könne man dies durchaus als Hinweis darauf verstehen, dass es auch andere Vorbehalte gegen Sterbehilfe gebe als nur religiöse. Beachtung verdient zudem die hohe Zustimmung in der Gesamtbevölkerung für das selbstbestimmte Lebensende (81 Prozent).

Atheisten und Jenseitsgläubige

Andererseits zeigt die Untersuchung, dass ein Teil der Konfessionsfreien religiösen Vorstellungen anhängt. 2023 glaubten 11 Prozent an "den Himmel" und 5 Prozent an "die Hölle". 20 Prozent hatten eine kirchliche Eheschließung, 37 Prozent haben getaufte Kinder. Jedoch gab die überwiegende Mehrheit von 88 Prozent an, dass Religion bei der Erziehung der eigenen Kinder keine Rolle spiele.

83 Prozent der Konfessionsfreien bejahten bei derselben Befragung ein "naturalistisches Weltbild", demzufolge das Leben letztlich durch die Naturgesetze bestimmt wird. Dieser Anteil ist seit 1982 (86 Prozent) weitgehend konstant geblieben.

Mit 61 Prozent bezeichnete sich 2023 die Mehrheit der Konfessionsfreien als Atheisten, (Getaufte: 58 Prozent, Autochthone: 65 Prozent). Allerdings bekannten sich viele dennoch zum Glauben an "irgendein höheres Wesen oder eine höhere Macht" (Getaufte: 23 Prozent; Autochthone: 18 Prozent). Zudem gaben 25 Prozent an, dass sie an ein Leben nach dem Tod glauben – trotz des weitgehenden Bekenntnisses zu einem weltanschaulichen Naturalismus. Der Anteil der jenseitsgläubigen Konfessionsfreien ist in den letzten Jahren gestiegen: 2002 waren es erst 16 Prozent. Fundierte Aussagen über die Gründe bleiben künftigen Untersuchungen vorbehalten. Eine mögliche Erklärung bringt Frerk dennoch zur Sprache: Durch die erhöhten Kirchenaustrittszahlen hat sich der Anteil der religiös sozialisierten Personen in dieser Gruppe erhöht. Zu vermuten sei, dass einige von ihnen den Wunsch nach einem Weiterleben im Jenseits beibehalten hätten.

Düstere Zukunft für die Kirchen

Wenig überraschend ist, dass nur ein geringer Teil der Konfessionsfreien den Kirchen Vertrauen entgegenbringt. Besonders schlecht schneidet die katholische Kirche ab: 1984 gaben 79 Prozent der Konfessionsfreien an, ihr nicht zu vertrauen. 2023 waren es bereits 92 Prozent. Gegenüber der evangelischen Kirche stieg der Anteil im selben Zeitraum von 66 auf 84 Prozent.

96 Prozent bewerteten den "Lebensbereich Kirche" 2023 als "unwichtig" und 86 Prozent verfügten nach eigenen Angaben über ein "nicht-religiöses" Selbstverständnis. Dies zeigte sich über alle Altersgruppen hinweg. Vor diesem Hintergrund sei laut Carsten Frerk kaum zu erwarten, dass sie künftig in eine Kirche eintreten. Eher rechnet er mit weiteren Austritten, vor allem von jungen Menschen, die zwar gegenwärtig noch Kirchenmitglieder sind, aber die Organisation ebenfalls als "unwichtig" ansehen. Bei den 18- bis 29-jährigen Katholiken waren das laut der jüngsten Untersuchung immerhin 83 Prozent, bei den Evangelischen 86 Prozent – Werte, die denen der gleichaltrigen Konfessionsfreien nahekommen. Für diese Prognose spricht zudem, dass Frerk und Schmidt-Salomon auf Grundlage der ALLBUS-Daten rund 30 bis 40 Prozent der Evangelischen und 20 bis 30 Prozent der Katholiken als säkular einstufen. "Sie leben selbstbestimmt ohne Jenseitsbezug, ohne Gott und Autoritäten, mit Vorbehalten gegen Kirche/Religion – und sind dennoch Kirchenmitglieder." Insbesondere die Jüngeren mache dies zu potenziellen künftigen Konfessionsfreien.

Es ist also zu erwarten, dass der Anteil der Konfessionsfreien in der Bevölkerung weiter zunimmt. Ihre Werte und Weltanschauungen werden damit in der Gesellschaft weiter an Gewicht gewinnen – eine Entwicklung, die auch von der Politik nicht ignoriert werden kann.

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