In seinem gleichnamigen Buch "Lob der Identitätspolitik" wirbt der Philosoph Karsten Schubert für einschlägige Vorstellungen, welche eine Demokratisierung der Demokratie vorantreiben sollten. Viele Argumente tragen dabei zur Differenzierung und Erhellung bei, gleichwohl blenden die Ausführungen auch Gefahrenpotentiale und Kritik aus.
Nicht nur in den Feuilletons wird über "Identitätspolitik" heftig gestritten. Mitunter hat man gar den Eindruck, hierzu sei ein neuer "Kulturkampf" ausgebrochen. Insbesondere an Hochschulen finden polarisierte Kontroversen statt, nicht immer geprägt von Differenzierungsvermögen und Sachlichkeit. Mit dem Buch "Lob der Identitätspolitik" erschien jetzt von Karsten Schubert eine dezidierte Verteidigungsschrift. Darin geht es aber nicht um eine platte Apologie, was sich ein promovierter Philosoph auch eigentlich nicht leisten könnte. Gleichwohl meint der Autor, eine Demokratisierung der Demokratie sei durch Identitätspolitik nötig. Sein Buch versteht er als Erörterung dieser zentralen These. Von Beginn an wird dabei strukturiert und systematisch vorgegangen, bloße Polemiken und Stereotypisierungen kommen nicht vor. Man muss den Ausführungen von Schubert nicht unbedingt zustimmen, gleichwohl lohnen Reflexionen zum Verständnis. Denn das Buch bewegt sich durchaus auf einem ansprechenden Niveau.
Der Autor definiert das Gemeinte wie folgt: "Identitätspolitik" sei die "politische Praxis marginalisierter Gruppen, die sich in Bezug auf eine kollektive Identität gegen ihre Benachteiligung durch Strukturen, Kulturen und Normen der Mehrheitsgesellschaft wehren" (S. 21). Dagegen werden aber keine Einwände von den Kritikern erhoben, zumindest nicht, wenn es sich um Liberale oder Linke handelt. Anders könnte es bei Konservativen sein, etwa in den gegenwärtigen USA. Gegen ein "Aufbegehren von Ausgeschlossenen" (S. 40) würden die Erstgenannten sicherlich nicht grundsätzlich mit Widerspruch und Widerstand agieren. Eine solche Aversion suggeriert indessen Schubert, wobei er es angesichts einschlägiger Klarstellungen in deren Publikationen besser wissen müsste. Leider hat der Autor aber viele derartige Interventionen nicht zur Kenntnis genommen, tauchen sie doch weder in seinen Kapiteln noch in seinem Literaturverzeichnis auf. Dafür neigt er in seiner Darstellung mehr dazu, die "Identitätspolitik" selbst zu verteidigen.
Dies machen etwa die Ausführungen zu "Cancel Culture" und "Political Correctness" deutlich, wobei den Einwänden mit einem anderen Freiheitsbegriff geantwortet wird. So gehe es etwa um die Ausschließung nicht nur verbaler Diskriminierungen, die von direkten Herabwürdigungen bis zu blöden Witzen reichen könnten. Freiheit stünde eben nicht für Privilegien dazu, wie dann mit einer Argumentation mit Perspektivwechsel veranschaulicht wird. Doch wie steht es aber dann um Einschränkungen in die Meinungsfreiheit, wenn etwa Fehlentwicklungen bei Minderheiten thematisiert werden? Bei solchen Fragen fehlen die relevanten Kriterien, auch wird um der Identität willen der Universalismus schnell verschoben. Überhaupt geht der Autor nicht auf weitere problematische Gesichtspunkte ein, wie die "cultural appropriation", also die "kulturelle Aneignung". Und so sehr immer wieder mit Betonung die Deutung vorgetragen wird, dass Demokratie eben durch Identitätspolitik gestärkt werde, geraten dann doch die Gefahrenpotentiale aus der Wahrnehmung.
Dazu gehören auch folgende Aussagen aus der "Critical Race Theory": "Im Gegensatz zum traditionellen Diskurs über Bürgerrechte, der den schrittweisen Fortschritt betont, stellt die Kritische Race-Theorie die liberale Ordnung ganz grundsätzlich infrage – inklusive des Gleichheitsgrundsatzes, des Abwägens rechtlicher Argumente, des Rationalismus der Aufklärung und des Neutralitätsprinzips der Verfassung" (Delgado/Stefancic, Critical Race Theory, NY 2017, S. 3). Auch das sind Auffassungen der "Identitätspolitik". Wie steht es aber um eine Kommentierung solcher Positionen? Es handelt sich um Auszüge aus einem Standardwerk zum Thema. Leider taucht es nicht im Literaturverzeichnis auf, es gibt auch keine Stellungnahmen dazu. Das Buch "Lob der Identitätspolitik" ist schon parteiisch im Titel, was aber ein legitimes Anliegen mit interessanten Deutungen zum weiteren Überlegen ist. Ein Ansatz dazu kann für Demokratie sein: Sie braucht eine Gleichstellung von Minderheiten, aber auch Kritik an bedenklichen Positionierungen.
Karsten Schubert, Lob der Identitätspolitik, München 2024, C. H. Beck-Verlag, 223 Seiten, 20 Euro