Mütter entführen ihre Kinder, weil sie an Verschwörungstmythen glauben

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Symbolbild
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Die Corona-Pandemie wirft ihre langen Schatten bis in die heutigen Tage. Das Virus hat zwar seinen Schrecken verloren, doch das Bewusstsein der Verschwörungstheoretiker und Schwurbler bleibt vergiftet. Sie sind immer noch gefangen in ihrer geistigen Verirrung, und ihr Fanatismus lebt munter weiter. Die Auswüchse dieses Phänomens lassen sich an zwei tragischen Familiengeschichten festmachen.

Beginnen wir mit der arbeitslosen deutschen Mutter, die in Arlesheim im Kanton Basel-Landschaft wohnt. Sie ist verstrickt in die Szene der Corona-Leugner und Verschwörungstheoretiker.

Im Herbst 2021 verlor sie das Sorgerecht für ihren dreijährigen Sohn an den Vater. Sie ist überzeugt, dass bei dem Entscheid unseriöse Behörden am Werk waren und glaubt an eine Verschwörung.

Eliten sollen satanistische Zirkel bilden

In diesen Kreisen kursiert die stereotype "Erzählung", dass einflussreiche Leute in geheimen politischen und satanistischen Zirkeln perverse sexuelle Praktiken ausüben und die Macht mit Intrigen an sich reißen wollen.

Die deutsche Mutter, die sich während der Pandemie geweigert hatte, eine Schutzmaske zu tragen, verklagte den Kindsvater und warf ihm vor, den Sohn sexuell missbraucht zu haben. Polizei und Staatsanwaltschaft fanden bei ihren Ermittlungen aber keine Hinweise auf einen Missbrauch und stellten das Verfahren ein. Die Vorwürfe der Mutter an den Kindsvater seien haltlos, hielten sie fest.

Für die Mutter war der Entscheid eine Bestätigung ihrer Überzeugung, dass eine Verschwörung der Justizbehörden gegen sie laufe. Sie entschloss sich, ihren Sohn dem "System" zu entziehen und ihn angeblich zu retten. Sie verwischte zu Hause alle Spuren – von der Auflösung des Kontos bis zur Zerstörung der Festplatte ihres Computers.

Dann packte sie den inzwischen fünfjährigen Sohn ins Auto und flüchtete mit ihm von der Schweiz nach Deutschland. Dabei konnte sie auf die Unterstützung einer Bekannten zählen, die ein ähnliches "Schicksal" mit ihr teilte.

Diese Schweizer Komplizin hat eine kleine Tochter und ist eine wichtige Stimme in der deutschsprachigen Szene der Verschwörungstheoretikerinnen und -theoretiker. Sie verlor ebenfalls das Sorgerecht, weil sie mit ihren radikalen politischen Ideen das Kindeswohl nicht garantieren konnte.

Sie behauptete, der Vater habe ihre Tochter fast zu Tode geprügelt und sexuell missbraucht. Außerdem habe sie bei satanischen Ritualen, bei denen Babys geopfert worden seien, zuschauen müssen. Auch diese Vorwürfe erwiesen sich laut den Justizbehörden als haltlos, weshalb die Strafanzeige eingestellt wurde.

Für die beiden Mütter waren die Verdikte der Staatsanwaltschaften die Bestätigung, wie korrupt die Vertretenden des Establishments sind, die die satanistischen Kreise schützen, die angeblich unzählige Kinder missbrauchen und ihr Blut trinken würden.

Die deutsche Mutter aus Arlesheim BL flüchtete mit ihrem Sohn nach Eppenschlag in Bayern und tauchte beim bekannten Reichsbürger Maximilian Eder, einem ehemaligen Oberst der Bundeswehr, unter. Sie wurde international zur Fahndung ausgeschrieben.

Bei den Ermittlungen stieß die Polizei auf eine Komplizin der Mutter. Bei den Verhören verriet diese schließlich den Aufenthalt von Mutter und Kind. Am 16. November 2021 schlug die Polizei zu und brachte den Sohn dem Vater zurück.

Auch die Schweizer Mutter floh mit ihrer Tochter, wurde aber nach kurzer Zeit von der Polizei aufgegriffen.

Die Geschichten der beiden Mütter machten in der Corona- und Schwurblerszene die Runde und sorgten für Furore. Auch Eder hatte sie in den einschlägigen Plattformen breitgeschlagen als angebliche Beweise für die Verschwörung der Eliten. Damit wollte er die Bevölkerung aufrütteln.

Unabhängig von den Fällen der beiden Frauen erließ die deutsche Generalbundesanwaltschaft im Dezember 2022 einen Haftbefehl gegen Eder. Er wurde in Italien aufgegriffen und nach Deutschland ausgeliefert. Er soll gemeinsam mit anderen Reichsbürgern und weiteren rechtsradikalen Kreisen einen Umsturz geplant haben.

Eder behauptete, dass in der Schweiz ein Tunnelsystem gebaut worden sei, um systematisch Kinder zu entführen, zu verstecken und foltern zu können. Drahtzieher seien Führungskräfte aus der Justiz, Politik und Wirtschaft.

Zurück zu den beiden Müttern, die ihre Kinder entführt hatten: Am vergangenen Dienstag begann vor dem Richteramt Dorneck-Thierstein im Kanton Solothurn der Prozess gegen sie. Dabei geht es vor allem um die Entführung der Kinder. Die beiden Angeklagten zeigten keine Einsicht.

Keine Reue

Die deutsche Mutter sieht sich immer noch als Opfer und lachte nur, als sie gefragt wurde, ob sie ein bisschen Reue empfinde. Die Schweizer Mutter nahm schon gar nicht am Prozess teil.

Die Staatsanwaltschaft fordert für die deutsche Mutter eine bedingte Freiheitsstrafe von 17 Monaten. Auf einen Landesverweis sei zu verzichten, sagte sie. Für die Schweizerin verlangt sie eine bedingte Freiheitsstrafe von 14 Monaten. Sie habe bei der Entführung eine wichtige Rolle gespielt und den Kontakt zu Eder hergestellt. Das Gericht will das Urteil am 8. November verkünden.

Diese Fälle zeigen, wie die Verschwörungsideen während der Corona-Pandemie ein gefährliches Eigenleben entwickelten. Fatal dabei ist, dass sie jeden Versuch, ihre Wahnideen zu entlarven, als weiteres Beispiel für das erfolgreiche Wirken der geheimen Kräfte interpretieren. Damit bekommen sie vermeintlich laufend neue "Beweise" für ihre irrwitzigen Ideen und Theorien.

In jüngster Zeit ist eine neue Tendenz zu beobachten. Die Szene der Verschwörungstheoretiker versteift sich immer mehr auf die Behauptung, die geheimen Mächte, die die Weltherrschaft anstrebten, würden satanistische Orgien mit sexuellen Ritualen pflegen. Dabei konnte im deutschsprachigen Raum noch nie ein solcher Ring nachgewiesen, enttarnt oder ausgehoben werden.

Keine Beweise

Obwohl es weder Beweise noch Hinweise gibt, halten die Verschwörungstheoretiker an ihren Behauptungen fest. Sie glauben weiterhin, die Satanisten würden von der Politik gedeckt.

Die Mär von den satanistischen Zirkeln und sexuellen Ritualen verbreitet auch der erfolgreiche Internetsender "Klagemauer-TV" (Kla-TV) des Schweizer Sektenführers Ivo Sasek. In vielen Beiträgen thematisiert der Sender die angeblichen Verschwörer. Frauen erzählen von den Gräueltaten, die sie als Opfer satanistischer Zirkel angeblich über sich ergehen lassen mussten.

Auch sie können keine Beweise für ihr vermeintliches Martyrium beibringen. Sie leiden vermutlich unter Schizophrenie oder falschen Erinnerungen, die ihnen Verschwörungstheoretiker oder unseriöse Therapeuten eingeredet haben.

Das hindert die Macher von Kla-TV nicht daran, die Schilderungen der Frauen als Fakten darzustellen. Ein paar Titel der Sendungen: "Kinder werden zum Töten gezüchtet", "Weitere 247 Opfer und 135 Zeugen berichten von Satansritualen", "Echte Vampire in unserer Gesellschaft untergetaucht", "Wer über Kindesmissbrauch berichtet, wird verfolgt", "Kindsentnahmen: Ein bewährtes Mittel der Satanssekte", "Satansrituale der britischen Königsfamilie".

Was muss in den Köpfen der Personen vorgehen, die solche Geschichten erfinden? Zappenduster ist es nicht in den Seelen der vermeintlichen Satanisten, sondern in den abgründigen Tiefen der Sektenanhängerinnen und Sektenanhängern, die solche Erzählungen auf ihrem TV-Sender verbreiten.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung von watson.ch.

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