MASTERSHAUSEN. (hpd) Tränen flossen während der 45. Postmatinee im Haus am See, zu der Herbert Steffen am vergangenen Wochenende eingeladen hatte. Den Anlass dazu lieferte Ralf König, der dort sein neues Comicbuch „Antityp“ vorgestellt hatte. Durch seinen Mix aus intelligenter und pointierter Aufarbeitung der Geschichte des Paulus sorgte König damit für einen humorvollen und denkwürdigen Nachmittag – Tränenlachen inklusive.
Mit einer kleinen Anekdote eröffnete Herbert Steffen die 45. Postmatinee, die am Sonntag, den 19. September 2010 in Mastershausen stattgefunden hat. Voller Erstaunen hatten seine jüngsten Töchter damals reagiert, erzählte Steffen, als sie davon erfahren hatten, dass nun der Mann in den Wissenschaftlichen Beirat der Giordano Bruno Stiftung aufgenommen wurde, dessen Comics sie schon in ihrer Jugend gelesen hatten, die sie aber in weiser Voraussicht vor ihrem damals noch konservativ denkenden Vater versteckten: Ralf König. Heute aber sei Steffen nicht nur froh über die Mitarbeit Königs in der Stiftung, sondern er fühle sich auch geehrt, diesen kreativen Menschen als seinen Freund bezeichnen zu dürfen.
Von „Nasen“ und „Typen“
Ralf Königs zeichnerischer Stil zeichnet sich vor allem durch die markanten Knollennasen seiner Figuren aus. Eine Ausstellung zu Königs Werk, die von September 2009 bis Januar 2010 in Oberhausen zu sehen war, trug daher auch den passenden Namen „Der Eros der Nasen “.
Jetzt hat König mit „Antityp “ sein neuestes Werk vorgelegt, mit dem er zugleich seine satirische Bibel-Trilogie („Prototyp“, „Archetyp“, „Antityp“) abschließt. In Mastershausen feierte „Antityp“ nun seine offizielle Buchpremiere, zu der König den gesamten Band in zwei Teilen präsentierte.
Doch zuvor erzählte er kurz, wie es überhaupt zu dieser Trilogie gekommen war. 2007 hatte ihn die FAZ gebeten, eine zehnteilige Comicreihe für sie zu zeichnen. Ein Umfang, der König vor ein Problem stellte: Wie könne man Figuren entwickeln, die gerade für zehn Folgen funktionieren würden? Da musste etwas her, was die Leute schon kennen. Seine Lösung: Die Schöpfungsgeschichte, denn mit der ist man hierzulande gemeinhin vertraut. Damit war der „Prototyp“ geboren. Eine Fortsetzung in der FAZ fand die Serie 2009 mit Königs erfrischend andersartiger Illustration der Geschichte Noahs im „Archetyp“. (Beide Geschichten sind seitdem in überarbeiteter und erweiterter Form im Rowohlt-Verlag als Buch erschienen.)
Der dritte Teil seiner Trilogie ist direkt als Buchveröffentlichung erschienen, denn „keine seriöse Zeitung würde den ‚Antityp’ drucken“ bekennt König mit einem Lächeln im Gesicht. Schließlich handelt es sich dabei um eine Aufbereitung des Neuen Testaments – und darüber macht man in unserem Kulturkreis keine Späße. Und dass er Schwierigkeiten bekam, glaubt man ihm aufs Wort, denn in seinen Comics nimmt er kein Blatt vor den Mund. Bei der Veröffentlichung der Vorgängerserien in der FAZ liefen religiöse Gruppen bereits Sturm gegen den satirischen Stil der Comics. Für König ist das aber natürlich kein Grund zum Aufhören, wie er im Anschluss mit der Lesung seines „Antitypen“ eindrucksvoll unter Beweis stellte.
Einzelkämpfer wider Lust- und Lebensfreude
Paulus, als Saulus einst gefürchteter Christenverfolger, fällt von seinem Pferd. Plop! Dunkelheit. Dann erscheint ihm Luz, die psychedelische Melange aus symbolschwerer Schlange und diabolischen Teufelshörnern, die bereits in „Prototyp“ und „Archetyp“ ihre Aufgabe erfüllte. Sie redet unserem – noch – Saulus ins Gewissen. Der besinnt sich und wird dank seiner Erscheinung als – jetzt – Paulus zum glühenden Verfechter der christlichen Lehre. Seinen forschen Übereifer, der ihn schon bei der Christenverfolgung kennzeichnete, kann er dabei natürlich nicht ablegen. Vielmehr vermischt er sich mit einer lieblichen Vergötterung Gottes und seinem unbedingten Willen zur Missionierung der Heiden. Eine Mischung, die dem ohnehin schon „vergrätzten“ kleinen Mann nicht gerade viele Sympathien beschert.
Sein Weg führt ihn über viele Stationen, entlang vieler Eiferer, Propheten, Götter und Götzen. Doch niemanden will seine Begeisterung für die Geschichte vom menschgewordenen Gott so richtig überzeugen. Schließlich macht er sich auf den Weg nach Athen, um dort die Philosophen von seinen Ideen zu überzeugen.
„Comiclesen“ in großer Gruppe
Anders als ein Buch lebt ein Comic nicht nur von seiner Geschichte, sondern vor allem auch von seinen Bildern. Damit diese auch bei der Lesung in großer Runde nicht zu kurz kamen, projizierte König seinen „Antityp“ Bild für Bild mit Hilfe eines Beamers an die Wand. Dazu las er seine zahlreichen verschiedenen Charaktere mit unterschiedlichen Stimmen. Erst seit einem Jahr präsentiere er seine Bücher auf diese Weise, sagte er vorab. Doch davon war bei seiner Lesung nichts zu spüren, denn die führte er ebenso souverän und pointiert durch, wie er seine Geschichte vorher auch schon zu Papier gebracht hatte.
Wo ein Comic ansonsten im Kopf des Lesers funktioniert, ergänzte und glänzte König beim Lesen durch zahlreiche Nuancen: Er spielte mit der Lautstärke, schrie laut heraus oder flüsterte argwöhnisch, lachte spöttisch, predigte besessen und verstand so manches Mal mit seinen Figuren nicht so recht, worum es diesem Paulus denn nun eigentlich ging. Dazu kam die zeitliche Dimension. In Bildern oder ganzen Bilderfolgen ohne Text kehrte plötzlich Stille ein und König ließ den Zuhörern und –schauern genügend Zeit, die überaus lebendige und treffende Mimik seiner Figuren für sich sprechen zu lassen.
Ein Erlebnis der besonderen Art war die Buchpremiere von „Antityp“ in Mastershausen, die zugleich die erste Buchpräsentation im Haus am See gewesen ist. Im Anschluss an die Lesung nahm sich König dann noch ausreichend Zeit, um jedem eine persönliche „Nase“ in die brandneuen Ausgaben des „Antityp“ zu zeichnen.
Sascha Schmidt
Der Prototyp (9. Oktober 2008)
Ralf König: Archetyp und ein interessanter Katalog (9. Oktober 2009)
Herrlich absurd: Ralf Königs Antityp (17. September 2010)