In dieser Woche – am 29.3. vormittags – debattiert der Deutsche Bundestag das Thema Patientenverfügungen. Die Kernfrage ist,
ob der Wille des Patienten weiterhin uneingeschränkt gelten soll. Bislang lag ein Entwurf des SPD-Abgeordneten Joachim Stünker vor. Er wird von weiten Teilen der SPD und der FDP getragen. Er möchte dem erklärten Patientenwillen auf Abbruch einer Behandlung in jedem Fall Geltung verschaffen – also die bisherige Rechtspraxis per Gesetz verstetigen.
Der Abgeordnete Wolfgang Bosbach (CDU) aus Bergisch Gladbach nahm von Beginn an eine Gegenposition ein. Nun hat er einen Entwurf erarbeitet, der auch von Politikern von SPD und Grünen unterstützt wird. In Bosbachs Entwurf ist der verfügte Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung grundsätzlich nur bei irreversibel tödlichem Krankheitsverlauf möglich. Falls eine lebenserhaltende Behandlung bei einem nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten beendet werden soll, muss dies in einem „Konzil aus Arzt, Betreuer, Pflegepersonen, den nächsten Angehörigen und vom Betroffenen schriftlich benannten nahe stehenden Personen“ einvernehmlich entschieden werden. ... Der Entwurf regelt auch den Sonderfall von Schwerstkranken, die nie wieder das Bewusstsein erlangen werden .... In diesen Fällen bedürfte es stets der Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht und der ärztlichen Erkenntnis, dass „mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit trotz Ausschöpfung aller medizinischen Möglichkeiten das Bewusstsein niemals wieder erlangt wird“.
Diese Formulierungen orientieren sich an einem Vorschlag der Evangelischen Kirche in Deutschland, wie sie überhaupt traditionellen christlichen Positionen eher entsprechen als jenen, die von der Praxis der realen Sterbehilfe her realistischer und pragmatischer argumentieren, die die tatsächliche heutige Rechtslage nicht zurückdrehen möchten und aus medizinischen Erfahrungen heraus vorgetragen werden.
Auf diese grundsätzlichen Befürchtungen in der Ärzteschaft gehen zwei aktuelle Interventionen zurück, die der Initiative „Pro Sterbehilfe“ und die des Präsidenten der Bundesärztekammer Jörg-Dietrich Hoppe.
Gegen die Bosbach-Position hat sich nun auch die „Medizinrechtliche Sozietät Putz & Steldinger“ München pointiert zu Wort gemeldet und eine „Stellungnahme zum Gesetzentwurf ’Patientenverfügung’ der MdB Wolfgang Bosbach (CDU), René Röspel (SPD), Josef Winkler (Bündnis 90 / Die Grünen) und Otto Fricke (FDP) der Presse übergeben. Putz vertritt seit Jahren Fälle, in denen die juristische Durchsetzung von Patientenverfügungen nötig wird. Über einen dieser Fälle (des „Humanistischen Verbandes Deutschlands“) hat der hpd ausführlich berichtet.
Im Folgenden dokumentiert der hpd die Position der Medizinrechtlichen Sozietät mit drei typischen Fällen.
Gesetzentwurf ist Mogelpackung Massive Einschränkung der Patientenrechte Millionen bestehende Patientenverfügungen würden unwirksam
Staatliche Zwangsbehandlung
Entwurf ist verfassungwidrig
22 Jahre wohl überlegte Rechtsprechung zu den Patientenrechten am Ende des Lebens bestimmen die Rechtslage. Unsere 15-jährige Erfahrung in hunderten von Fällen zeigt, dass die Rechtsprechung der Vielfalt der Konstellationen am Lebensende gerecht wird. Leider ist die Kenntnis dieser Rechtslage bei Ärzten und Vormundschaftsrichtern noch immer ungenügend. Daher befürworten wir nur ein Gesetz, wenn die geltende Rechtslage uneingeschränkt übernommen wird und damit die notwendige Sicherheit für alle Beteiligten schafft.
Das Gegenteil geschieht durch den vorliegenden Gesetzentwurf.
In verfassungswidriger Weise stellt er den Lebensschutz über die Selbstbestimmung des Patienten. Das Grundgesetz hingegen garantiert ein Recht auf Leben, begründet aber keine
Pflicht zu leben. So darf der Staat das Leben nie gegen den erklärten Patientenwillen „schützen“. Die Patientenverfügung findet nach dem Grundgesetz ihre Grenze allein in der Verletzung der Rechte anderer Menschen. Längst hat die höchstrichterliche Rechtsprechung unter Berufung auf die Verfassung festgestellt, dass ein Patient mit dem Verbot einer künstlichen Lebensverlängerung niemals die Rechte von Ärzten, Pflegekräften oder Angehörigen verletzen kann. Vielmehr verletzen diese seine Selbstbestimmung und körperliche Integrität, wenn sie eine solche Lebensverlängerung gegen den Patientenwillen aus Gewissensgründen durchführen. Erstaunlicherweise verschweigen die Autoren diese Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs vom 08.06.2005. Ebenso erstaunlich ist, dass die Autoren die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 02.08.2001 verschweigen: danach ist die Patientenverfügung der Zeugen Jehovas rechtlich zulässig, mit der diese Bluttransfusionen verbieten, so dass man ihr Sterben zulassen muss, obgleich sie völlig gesund weiterleben könnten. Damit hat das Bundesverfassungsgericht die uneingeschränkte Selbstbestimmung auch mit der Konsequenz der Verwerfung eines sogar gesunden Weiterlebens festgestellt. Hingegen stellt vorliegender Entwurf quasi einen Katalog auf, unter welchen Voraussetzungen ein Mensch fordern kann, dass man ihn sterben lässt.
Diese Reichweitenbeschränkung ist daher zwingend verfassungswidrig.
Es wird verkannt, dass mit einer Patientenverfügung die Menschen im voraus auch gezielt und bewusst auf letzte Chancen verzichten und sich lieber ihrer Selbstbindung als ärztlicher Fremdbestimmung unterwerfen. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf soll der Patient vor seiner eigenen Patientenverfügung geschützt werden. Dem „mündigen Bürger“ wird unterstellt, er verstehe die Tragweite der Erklärung nicht.
Verhindert werden soll schlicht „der Tod, der noch nicht nicht notwendig ist“ (René Röspel). Dies führt zurück zum Diktat des Machbaren, von dem sich die Medizin in den letzten Jahren endlich verabschiedet hat.
Im angeblich „schonenden Ausgleich“ zwischen Selbstbestimmung und Lebensschutz wird in Wirklichkeit die differenzierte Rechtssprechung in einem Handstreich außer Kraft gesetzt.
Der Gesetzentwurf stärkt das Selbstbestimmungsrecht der Patienten nicht, sondern schränkt es verfassungswidrig ein!
Wenn letztlich der Staat und nicht der Patient bestimmt, wann sein Leben zu erhalten ist, wann staatliche Zwangsbehandlung die Folge ist, dann erinnert dies in fataler Weise an die Praxis der Euthanasie im Dritten Reich!
Zu Veranschaulichung drei typische Fälle aus der Praxis:
Johanna M.,76, lebt seit sechs Jahren demenzkrank, verwirrt und bettlägerig im Heim. In ihrer Patientenverfügung, die sie immer wieder bekräftigt hat, wollte sie im Falle von Alzheimer oder Demenz niemals an die Magensonde kommen (Text der Patientenverfügung der Bayerischen Staatsregierung). Nun erweist sich die Möglichkeit der natürlichen oralen Nahrungsaufnahme durch liebevolles Füttern früh, mittags und abends als langfristig nicht mehr ausreichend zur Lebenserhaltung. Eine Magensonde durch die Bauchdecke (PEG) soll gelegt werden. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf dürfte man den Patientenwillen nicht beachten. Er zählt die PEG bereits zu den gebotenen ärztlichen Maßnahmen.
Karl-Wilhem H., 55, liegt seit zwei Jahren nach mehreren Schlaganfällen nicht ansprechbar im Bett. Er ist halbseitig gelähmt und wird über die PEG ernährt. Beim zeitweisen Öffnen der Augen ist fraglich, ob er fixiert und ob er Wahrnehmungen hat. Eine Kommunikation ist unmöglich. Nach Aussage der behandelnden Neurologen kann die bewusste Wahrnehmung des Krankheitszustandes nicht ausgeschlosen werden, eine Besserung ist hingegen nicht mehr zu erwarten. Die vom Patienten selbst formulierte Patientenverfügung kann ohne weiteres mit diesem Zustand in Deckung gebracht werden und verbietet die weitere künstliche Ernährung. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf dürfte man den Patienten nicht sterben lassen, weil nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Wiedererlangung des Bewusstseins ausgeschlossen ist - zumal der Patient nicht einmal sicher bewusstlos ist.
Ida F, 89, lebt im Altenheim. Sie hat eine "Patientenverfügung für Senioren", in der sie auf Grund ihres hohen Alters und ihres erfüllten Lebens eine ganze Reihe von lebenserhaltender Maßnahmen verbietet, die ohne weiteres ihr Leben auch um Jahre verlängern könnten. Eines Tages wird sie mit Atemnot neben dem Bett aufgefunden, ins Krankenhaus gebracht und untersucht. Es wäre im Rahmen des eingetretenen Herzinfarkts eine Implantation eines „Bypasses“ am Herzen möglich und mit geringem Risiko durchführbar. Ihre Patientenverfügung verbietet dies allerdings, obgleich sie danach noch Jahre gesund weiterleben könnte. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf müsste man die Patientin gegen ihren Willen operieren, statt durch Palliativmedizin nur ihr Leiden zu verhindern und ihr Sterben ggf. zuzulassen. Nach dem Gesetzentwurf müsste sie sogar ggf. im Widerspruch zu ihrer Patientenverfügung wiederbelebt werden! Denn ein irreversibler und zum Tode führender Krankheitsverlauf liegt in keinem Fall vor.
Wolfgang Putz
Rechtsanwalt für Medizinrecht
Lehrbeauftragter für Medizinrecht und Medizinethik an der
Ludwig-Maximilians-Universität München
Beate Steldinger
Rechtsanwältin für Medizinrecht