Vortrag von Prof. Bettina Schöne-Seifert in Oldenburg

Wie umgehen mit Patientenverfügungen bei Demenz?

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Die Zuhörerinnen und Zuhörer lauschten interessiert dem Vortrag von Prof. Bettina Schöne-Seifert.
Vortrag von Prof. Bettina Schöne-Seifert

Vergangenen Montag sprach die Medizinethikerin Prof. Bettina Schöne-Seifert im Kulturzentrum PFL in Oldenburg über ein sensibles Thema: die ethische Autorität von Demenzverfügungen. Eingeladen hatte der Arbeitskreis Selbstbestimmtes Sterben Oldenburg. Rund 75 interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer waren der Einladung gefolgt.

Patientenverfügungen gehören für viele Menschen heute zur gesundheitlichen Vorsorge dazu. Sie legen fest, wie medizinisch verfahren werden soll, wenn eine Person infolge schwerer Erkrankung, eines Unfalls oder fortschreitender Demenz nicht mehr entscheidungsfähig ist. Gerade Demenz stellt Ärztinnen und Ärzte, Angehörige und die Gesellschaft vor tiefgreifende ethische und rechtliche Herausforderungen.

Ein wesentlicher Grundsatz lautet: Eine Patientenverfügung greift nur, wenn eine Person nicht mehr in der Lage ist, ihren Willen zu verstehen oder zu äußern. Solange Entscheidungsfähigkeit besteht, hat der aktuelle Wille Vorrang – auch wenn er früheren Festlegungen widerspricht.

In der Verfügung werden meist Maßnahmen wie Reanimation, künstliche Ernährung oder Beatmung geregelt, insbesondere in Situationen des Sterbeprozesses oder schwerer Hirnschädigung. Es geht dabei nicht um aktives Tun, sondern um das bewusste Unterlassen – ein "Sterben dürfen".

Die zwei Seiten der Margo: Zwischen kritischen und Erlebnisinteressen

Besonders heikel wird es, wenn eine betroffene Person trotz fortgeschrittener Demenz sichtlich lebensfroh wirkt – obwohl sie in ihrer Verfügung lebensverlängernde Maßnahmen abgelehnt hat und die Behandlung nicht belastend wäre. Etwa eine lebensbedrohliche Lungenentzündung, die medikamentös behandelbar ist, ohne das subjektive Wohlbefinden zu beeinträchtigen.

Um dieses ethische Spannungsfeld zu verdeutlichen, führte Prof. Schöne-Seifert die fiktive Figur Margo ein. Margo 1, die willensfähige Frau vor der Erkrankung, lebte ein Leben, das von kritischen Interessen geprägt war: Autonomie, Selbstbestimmung und eine bewusste Lebensplanung. Mit dem Fortschreiten der Demenz entstand Margo 2 – eine Person mit verändertem Selbstbild, deren Existenz sich zunehmend um Erlebnisinteressen dreht: Freude im Augenblick, körperliches Wohlbefinden, Nähe zu anderen Menschen. Der intellektuelle Anspruch, der für Margo 1 zentral war, hat für Margo 2 keine Bedeutung mehr. Auch die Frage, wie sie auf ihre Kinder wirkt – für Margo 1 zutiefst bedeutsam – spielt im Erleben von Margo 2 offenbar keine Rolle mehr. Die entscheidende Frage lautet: Soll der Wille von Margo 1 – begründet in kritischen Interessen – den Zustand von Margo 2 überlagern, selbst wenn diese erkennbar zufrieden wirkt und ihre Erlebnisinteressen im Vordergrund stehen?

Zwei ethische Lager

Kritiker von Demenzverfügungen warnen vor Bevormundung. Sie argumentieren: Wer an Demenz erkrankt, verändert sich grundlegend – kognitiv, emotional, wertbezogen. Der frühere Wille könne nicht automatisch über das aktuelle Erleben gestellt werden, da man vorab nicht wisse, ob das spätere Leben nicht doch lebenswert erscheint.

Die Medizinethikerin Prof. Bettina Schöne-Seifert während ihres Vortrags in Oldenburg. Foto: © Arbeitskreis Selbstbestimmtes Sterben Oldenburg
Die Medizinethikerin Prof. Bettina Schöne-Seifert während ihres Vortrags in Oldenburg.
Foto: © Arbeitskreis Selbstbestimmtes Sterben Oldenburg

Die Befürworter hingegen betonen das Recht auf Selbstbestimmung. Auf Basis gesellschaftlicher Erfahrungen mit Demenz sei es möglich, sich ein Urteil über Lebensqualität im Zustand kognitiven Verfalls zu bilden. Eine verbindliche Willensäußerung sei Ausdruck von Würde und gelebter Autonomie – auch über den Moment hinaus.

Prof. Schöne-Seifert betont: Selbstbestimmung bedeute auch, verbindliche Lebensentscheidungen zu treffen – etwa zu heiraten, Kinder zu bekommen oder eben den eigenen medizinischen Weg für den Fall des Kontrollverlusts festzulegen. Eine Patientenverfügung könne als bewusste Lebensweichenstellung verstanden werden.

Rechtliche Perspektive und Lösungsansätze

Während eindeutige Anweisungen zum irreversiblen Bewusstseinsverlust oder zum Endstadium einer Erkrankung für Ärztinnen und Ärzte verbindlich sind, ist dies bei der Demenzverfügung einer "glücklichen" Patientin oder eines Patienten rechtlich und ethisch strittig. Die einen bestehen auch hier auf der Autorität der Verfügung. Andere sagen, in solchen Fällen müssen Mediziner/-innen prüfen, ob der früher geäußerte Wille noch dem mutmaßlichen aktuellen Willen entspricht. Wirke eine betroffene Person trotz fortgeschrittener Demenz sichtbar zufrieden und stelle die medizinische Behandlung keine wesentliche Belastung dar, müssten Ärztinnen und Ärzte von der ursprünglichen Verfügung abweichen – etwa indem sie eine Lungenentzündung behandeln, obwohl dies laut Verfügung unterlassen werden sollte. Die moralischen Bewertungen sind vielfältig, die rechtliche Lage uneindeutig, die Praxis unsicher.

Eine mögliche Lösung besteht in sogenannten Konfliktfall-Anweisungen. Formulierungen wie: "Für den Fall, dass ich trotz fortgeschrittener Demenz auf mein Umfeld lebensfroh wirke, wünsche ich ..." könnten den Handlungsspielraum präzisieren – etwa ob die Verfügung weiterhin gelten soll, ob Angehörige einbezogen werden oder ob sie verworfen werden kann.

Sonderfall Ernährung

Ein weitgehend tabuisiertes Thema in Deutschland ist die Frage der Ernährung bei fortgeschrittener Demenz. In den USA wird seit Jahren darüber diskutiert, ob in Patientenverfügungen ein explizites Fütterverbot rechtlich bindend sein kann – dann, wenn die betroffene Person nicht mehr selbstständig essen kann. Ziel wäre ein kontrollierter, palliativ begleiteter Sterbeprozess durch freiwillig – vorab verfügten Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (verfügtes Sterbefasten). Als alternativer Ansatz wird das sogenannte Komfortfüttern diskutiert. Dabei sollen Nahrung und Flüssigkeit ausschließlich so ausgewählt und bemessen werden, wie den Patienten behagt – ohne darauf abzuzielen, dass das Gewicht erhalten bleibt. Die Nahrungszufuhr soll somit nicht der Fortdauer des Lebens dienen, sondern der Begleitung eines gewollten Sterbeprozesses. In Deutschland ist diese Diskussion öffentlich noch kaum präsent.

Fazit: Wer im Fall einer fortgeschrittenen Demenz keine lebensverlängernden Maßnahmen mehr wünscht, sollte sich auch mit der Möglichkeit auseinandersetzen, dass ein Leben mit fortgeschrittener Demenz nicht nur leidvoll, sondern auch glücklich verlaufen kann. Wer diesen Gedanken ernst nimmt und in der Verfügung klar festhält, wie in so einem Fall verfahren werden soll, erleichtert Angehörigen und Ärzt:innen spätere Entscheidungen – und stärkt die Durchsetzbarkeit des eigenen Willens. Gerade weil Menschen sehr unterschiedlich über Krankheit, Lebensqualität und Sterben denken, ist diese Auseinandersetzung auch ein wichtiger Beitrag zu einem respektvollen Umgang mit moralischer Vielfalt.

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