Historischer Massenmord verhandelt!

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Bild: Cosimo Rosselli: Aus dem Leben des Moses. Der Zug durch das Rote Meer (ca. 1480)

DEN HAAG. (hpd) Pfingsten, das liebliche Fest ist gekommen… und über das Hohe Gericht der Vereinten Nationen muss sich der Heilige Geist ergossen haben, denn genau in diese Zeit fällt nun der Abschluss eines Aufsehen erregenden Verfahrens über einen historischen Massenmord, der sich vor etwa 3500 Jahren ereignet hat.

Von unserem Gerichtsreporter Dr. Gerd Eisenbeiß, irgendwann in diesem Jahrhundert.

In Den Haag wurde jetzt das folgende Urteil verkündet:

Der Hohe Gerichtshof der Vereinten Nationen hat heute in der Streitsache der Republik Ägypten, im Folgenden „Klägerin“ genannt, gegen Unbekannt mit dem Rufnamen Jahwe, vertreten durch einen Vertreter seines sog. „Ständigen Vertreters“ zu Rom wie folgt entschieden:

Im Namen der Völker ergeht nach Anhörung des Klägers und genauer Prüfung der historischen Beweise in Abwesenheit des Angeklagten das folgende Urteil:

Der Angeklagte wird des Massenmordes für schuldig erklärt. Der Angeklagte ist überführt, vor etwa 3500 Jahren willkürlich und heimtückisch eine ganze ägyptische Armee im Roten Meer ertränkt zu haben. Es handelte sich um ein in der Geschichte einmaliges Kriegsverbrechen, da das Massaker außerhalb jeder Verhältnismäßigkeit lag; soweit der Täter eine an sich legitime Grenzschutzmaßnahme ergreifen wollte, habe er bei der ihm zugeschriebenen universellen Machtfülle ein ganzes Arsenal alternativer Handlungsmöglichkeiten ohne Todesfolgen zur Verfügung gehabt.

Eine Revision wird nicht zugelassen, da die Beweisaufnahme zum Tathergang in ihren wesentlichen Teilen von der Verteidigung bestätigt wurde.

Soweit der verlesene Urteilsspruch. In der Tat war es höchst überraschend, dass die Beweisaufnahme trotz des weit zurückliegenden Tatzeitpunktes vor etwa 3500 Jahren so einfach und eindeutig ablief, da insbesondere die Verteidigung auf der Richtigkeit des von der Klägerin vorgetragenen Tathergangs bestand und dem Täter volle Zurechnungsfähigkeit bescheinigte; schließlich habe der Angeklagte selbst ein Buch geschrieben, bzw. diktiert, in dem er sich seiner Taten sogar brüste. Das Nichterscheinen des Angeklagten begründete die Verteidigung mit „höherer Gewalt“; Zweifel an seiner Existenz seien nicht erlaubt – sie werde schließlich von Milliarden Menschen bestätigt. Man könne ihn auch unter verschiedenen Namen, eine Liste wurde dem Hohen Gericht vorgelegt, jederzeit anrufen, auch wenn das Verstehen der Antwort eine eher subjektive Angelegenheit sei.

Das Gericht musste sich insbesondere mit der Behauptung der Verteidigung auseinandersetzen, der Täter liebe alle Menschen und schon deshalb könne die Maßnahme des Ertränkens einer ganzen ägyptischen Armee im Roten Meer weder als moralisch verwerflich noch gar als Massenmord gewertet werden. Das Hohe Gericht folgte diesem Gedankengang nicht und ließ durch seine Gegenfragen Verwunderung ob der zweifelhaften Logik der Behauptung erkennen.

Ferner folgt das Hohe Gericht der Verteidigung nicht, wenn auf die verzweifelte Situation jener Gruppen hingewiesen wurde, die illegal aus Ägypten fliehen wollten, so dass letztlich also eine Notwehrsituation vorgelegen habe. Es wertete auch als unerheblich, ob die damals noch undemokratische Regierung Ägyptens wegen Diskriminierung und Unterdrückung jener Gruppen eine gewisse Mit-Schuld treffe. Auch wurde die Illegalität der Ausreise als belanglos für die Wertung des Massenmordes an so vielen Menschen angesehen. Zu beiden Aspekten waren wiederum auch Einlassungen der Verteidigung hilfreich, die die Machtfülle des Angeklagten schilderten, was allerdings das Hohe Gericht nicht erkennbar einschüchterte. Das Gericht sah es gerade auf Grund solcher Eigenschaften des Angeklagten als erwiesen an, dass er das ägyptische Heer auch auf andere Weise hätte aufhalten können; zudem sollte es ihm, so das Gericht, ein Leichtes gewesen sein, den ägyptischen Befehlshabern bis in die Spitze der Regierung direkt in den Arm zu fallen, statt den kleinen Leute, die nun mal als Soldaten den Befehlen gehorchen mussten, einen so furchtbaren Tod zu bereiten.

Die als Tat von der Verteidigung nicht geleugnete Ertränkung so vieler ägyptischer Soldaten, darunter zahllose Väter und Ernährer ihrer Familien, musste das Hohe Gericht daher als besonders willkürlich, ja heimtückisch werten. Da der Schutz der Flüchtenden wie dargelegt, die Tat in keiner Weise rechtfertigen kann, sieht das Gericht Beweggründe im Spiel, die eine besondere Schwere der Tat begründen.

Wegen der genauen Umstände des Massakers, nämlich des plötzlichen Auftretens und Zusammenstürzens von Tsunami-artigen Wasserwänden, musste das Hohe Gericht auch die hypothetische Frage klären, wie eine Einwirkung durch Magie zu beurteilen wäre. Das Gericht bedauerte in diesem Zusammenhang eine Lücke im Kriegsvölkerrecht, ob nämlich militärische Aktionen durch Magie unterstützt werden dürften; es sah dazu in der allgemeinen Praxis von Gebeten um militärische Überlegenheit keinen rechtlichen Präzedenzfall, da diese ja erwiesenermaßen unwirksam seien.

Äußerst beunruhigt hat das Hohe Gericht darüber hinaus Hinweise von Zeugen zur Kenntnis genommen, dass eine Wiederholungstat vorliegen dürfte, indem derselbe Täter schon einmal fast die gesamte Menschheit durch eine globale Wasserflut ertränkt habe. Auch später soll der Angeklagte, so jedenfalls haben Gutachter der Verteidigung eingeräumt, ähnliche Massenmorde angeordnet und durch sein Eingreifen ermöglicht haben, z.B. in Jericho, Sodom und der gesamten Jordan-Region. Auch Gutachter der Klägerin verwiesen bestätigend auf einen ihnen vorliegenden Bericht aus alten Zeiten, an deren Genauigkeit sie wegen der höchsten Autorität des Verfassers nicht zweifelten.

Die Klägerin trug auch vor, es sei belastend für den Angeklagten werten, dass er diese flüchtenden Gruppen angestiftet habe, in ein Territorium einzuwandern, das bereits von anderen semitischen Stämmen besiedelt war; die Anstiftung sei dadurch besonders wirkungsvoll gewesen, dass der Angeklagte in einer beispiellosen Anmaßung den auswandernden Gruppen nicht nur Eigentumsrechte an jenem Territorium verliehen habe, sondern sogar die teilweise Ausrottung der dort lebenden Menschen angeordnet habe. Dies aber, so führte der ägyptische Vertreter aus, sei zwar nicht Gegenstand des Prozesses, werfe aber ein bezeichnendes Licht auf den Charakter des Angeklagten als Warlord im modernen Sinne.

Am Schluss der Verhandlung wurde es noch einmal hitzig und laut im Gerichtssaal, als nämlich die Verteidigung im Schlussplädoyer entlastend und strafmildernd gewertet wissen wollte, dass der Angeklagte lange nach der hier verhandelten Tat milder geworden sei, als ihm das späte Glück widerfahren sei, Vater eines Sohnes zu werden. Der tragische Tod seines Sohnes habe ihn dazu bewegt, seine Macht auch allen anderen Völkern zugute kommen zu lassen, also die parteiische Praxis zu beenden, nur einen kleinen Teil der semitisch sprechenden Völker allen anderen vorzuziehen. So stehe sein „heiliger“ Geist allen zur Verfügung und könne auch das Hohe Gericht erleuchten. Das hohe Gericht solle ihm auch zu Gute halten, dass er von vielen Menschen für den Verursacher der ganzen Welt und allen Geschehens gesehen werde; da könne man ihm doch zu Gute halten, dass manchmal auch Gutes geschehe. Man plädiere daher aus vollster Überzeugung auf „unschuldig“ und Freispruch.

Es war insbesondere die Behauptung, der Angeklagte habe einen Sohn gehabt, die auf empörte Zwischenrufe von Seiten der Kläger-Bank stieß; dort lägen verbindliche Erklärungen höchster Autorität vor, dass es einen solchen Sohn nicht gegeben habe und nicht gebe. Offenbar hat dieser Meinungsunterschied für die jeweiligen Lager große Bedeutung, was der neutrale Beobachter und Berichterstatter natürlich nicht verstehen kann.

Letztlich sei noch berichtet, was der Hohe Gerichtshof zum Strafmaß verkündet hat: Über das Strafmaß zu entscheiden, obliege den Menschen aller Völker; sie müssten jeweils für sich entscheiden, wie sie fernerhin mit dem Täter umgehen wollten, soweit sie ihn überhaupt für beachtenswert hielten.