Stille Nacht?

„Wenn heute in allen Ländern mit Konkordaten und politischen Druckmitteln die katholische Kirche eine geradezu unheilvolle Rolle spielt,

so ist das die Schuld ihrer Gegner. Die sind schwach; die haben ein schlechtes Gewissen und getrauen sich nie, klar und laut zuzugeben, dass sie vom Fegefeuer nichts mehr wissen wollen, sie demonstrieren nur leise gegen die Kirchensteuer - (...)“ aus: „Politische Justiz"/Kurt Tucholsky (Rowohlt 1970).

 

MÜNCHEN. (hpd) Ja, das ist es wohl: „klar und laut zuzugeben...“! Nachdem wir nach Schily und mit Schäuble dem Prinzip nach offiziell immer noch in einem demokratischen Rechtsstaat leben, in dem per Gesetz Meinungs-, Presse-, Religions- und Weltanschauungsfreiheit garantiert sind, sollte doch wirklich jede und jeder alles „klar und laut zugeben" können, oder? Und überhaupt: das war vor über 70 Jahren, als Tucholsky das niederschrieb, also vor einer Ewigkeit. In der Zwischenzeit ist die bundesdeutsche Gesamt-Republik doch nachweislich eine Demokratie geworden, also eine Einrichtung, in der es sich offiziell getraut werden darf, Meinung, Religion und Weltanschauung „klar und deutlich zuzugeben". Sofern man zum einen, neben Ehegatten, Kindern, Haus, Hund, Handy etc., auch noch eine Meinung, Religion und/oder Weltanschauung besitzt und sofern man diesen Besitzstand darüber hinaus auch noch – womöglich öffentlich – zugeben möchte. Ja, warum auch sollte man das denn überhaupt wollen?

Kurt Tucholsky schreibt von „zugeben", als ob es sich bei der Erklärung des persönlichen Nicht-Glaubens an z.B. Fegefeuer, Jungfrauen-Geburt und Wiederauferstehung der Toten im 20.Jahrhundert um das Eingeständnis einer persönlichen Schuld oder aber zumindest um den Ausdruck einer gewissen geistigen Minderbemitteltheit handeln würde. Ja, wie er wohl darauf kommt? Als echter Demokrat meinte man doch wirklich eher, dass es für das persönliche Ansehen der Bürger auch in der Weimarer Republik förderlich gewesen sein müsste, wenn man sich von solchen Märchen in modernen Zeiten möglichst „klar und laut" öffentlich distanzierte. Dem schien nicht so zu sein damals; vier Jahre später unterzeichnete der Kanzler aller Deutschen, Adolf Hitler, das Konkordat mit dem Oberhaupt aller Katholiken, Papst Pius XII., das die groß angelegte Subventionierung der beiden großen Kirchen durch Steuermittel des Staates mit unbefristeter Wirkung festlegte. Dabei handelt es sich um den einzigen Vertrag Adolf Hitlers, der das 1000-jährige Reich überdauert hat. Warum nur? Vielleicht auch die Schuld der Gegner, weil sie damals nicht - und auch in der Zwischenzeit wohl nicht - „klar und laut" zugegeben haben, dass sie davon nichts wissen wollen...?

Was würde Kurt Tucholsky heute schreiben?

Ja, und was ist heute? Über 70 Jahre später? Wer gibt denn „klar und laut" zu, dass er vom Fegefeuer nichts mehr wissen will, wer demonstriert „klar und laut" gegen die Kirchensteuer? Was würde der große Kurt Tucholsky denn heute schreiben?

Man mag es nicht mal undeutlich und leise zugeben: er würde dasselbe schreiben müssen! Weil sich nichts geändert hat. In Anlehnung an das Konkordat von 1933 werden heutzutage neue Konkordate zwischen Staat und Kirchen geschlossen, bevorzugt in Bundesländern, die kaum eingetragene Kirchenmitglieder vorweisen. Große Papst-Reisen werden aus Steuermitteln genauso finanziert wie der Polizeiaufwand zur Verhinderung jeglicher Kritik daran. Die biblische Schöpfungsgeschichte soll nach Meinung von manchen Politikern Bestandteil des Biologie-Unterrichtes und gleichrangig mit der Evolutionslehre Darwins in den Schulen gelehrt werden. Kirchenmänner haben Mitbestimmungsrecht bei der Festlegung von Rundfunk- und Fernsehprogrammen, bekommen für ihre Mission kostenlose Sendezeiten und sind auch noch allgemein schweigend ertragen, womöglich geachtet und angesehen, obwohl sie gegen die Menschenrechte, gegen vorehelichen Geschlechtsverkehr, gegen die Gleichstellung der homosexuellen Partnerschaften, gegen Verhütungsmittel, gegen Schwangerschaftsabbruch und gegen Kondome zur Prävention von Aids sind.

Diese Liste lässt sich unendlich verlängern. Und wird auch in Endlos-Länge – so wie es zur Zeit Tucholskys und zu unserer Zeit aussieht – noch immer nicht dazu führen, dass ein Ruck durch die Reihen der echten Demokraten geht und ein Massenprotest über die Republik Deutschland hereinbricht! Gegen das Konkordat, gegen neue Konkordate, gegen den aktuellen Zustand ... Die vielen angeblichen Demokraten, die vielen Nicht-Gläubigen, Atheisten, Agnostiker, Konfessionslosen, Zweifler und wie sie alle zu bezeichnen sind wärmen sich – ganz und gar nicht laut und nicht klar – an den wenigen, die „klar und laut zugeben", dass sie von all dem nichts mehr wissen möchten: an Richard Dawkins, an Daniel Denett, an Michel Onfray, an Michael Schmidt-Salomon.... Sie beobachten vom gemütlichen Sofa in der guten bürgerlichen Stube die Anstrengungen der wenigen Aufrechten in Rundfunk und Fernsehen und ...geben selber „klar und laut" gleich gar nichts zu. Die Schulkreuze, die in Bayern z.B. ohne großen Aufwand abgenommen werden könnten, bleiben fast überall hängen. Die Schulgottesdienste, die gar nicht besucht werden müssen, werden aus falsch verstandener Toleranz als unvermeidbar hingenommen. Die Weihnachtsfeiern in der Pfarrgemeinde werden - toleranzhalber - mit gestaltet. Die eigenen Kinder werden wieder getauft und gleich zur Kommunion geschickt, obwohl man selber schon lange ausgetreten ist.... Auch diese Liste kann endlos verlängert werden.

Trennung von Staat und Kirche ein „Nebenwiderspruch"?

Es wird die wenigen aufrechten, die in säkularen Verbänden organisierten echten Demokraten, noch mehr beschäftigen müssen, warum das so ist. Warum die Zensur - offiziell abgeschafft - beim Thema, Glauben, Religion, Staatskirchen und Konkordate durch die Scheren in den einzelnen Köpfen gerade von Nicht-Gläubigen, Atheisten, Agnostikern, Konfessionslosen, Zweiflern noch heute so berechenbar arbeitet? Warum sie selber maßgeblich mitverantwortlich dafür sind, dass die Forderung nach echter Trennung von Staat und Kirche aus dem Kanon der zu verteidigenden bzw. zu erkämpfenden Bürgerrechte herausgenommen und isoliert wurde? Solange und so gründlich, bis sie hinter allen anderen Forderungen als nicht so bedeutender „Nebenwiderspruch“ herhinkte? Und was die echten Demokraten zu unternehmen gedenken, diese Forderung in diesen Kanon wieder einzureihen?

Es gibt jede Menge Nicht-Gläubige, Atheisten, Agnostiker, Konfessionslose, Zweifler in dieser Republik! Das sind nicht nur wenige Einzelne, das ist ein ganzer großer Haufen, und das sind wirklich genügend Leute! Es ist vor allen Dingen deren, also unser aller, Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Trennung von Staat und Kirche echte Wirklichkeit wird! Von wegen „still“!

Mit Kurt Tucholsky seid Ihr zum Jahresende alle dringend gebeten, „klar und laut“ zuzugeben, dass Ihr nichts mehr vom Fegefeuer wissen wollt, dass Ihr gegen die Kirchensteuer seid...! Dass Ihr für die Menschenrechte seid! Für echte Demokratie! Gebt es „klar und laut“ zu überall da, wo Ihr lebt, arbeitet, handelt! Und zeigt, über 70 Jahre nach der Niederschrift von Kurt Tucholsky, dass Ihr nicht schwach seid, sondern stark! „Stille Nacht“? Von wegen... Gute Nacht!

Assunta Tammelleo