NÜRNBERG. (hpd) Ein neuer Fall belegt die Gültigkeit des Patientenwillens. Nach einer Verfügung
der Generalstaatsanwaltschaft in Nürnberg vom 15. Januar d.J. besteht kein strafrechtliches Risiko bei Beachtung einer Patientenverfügung! Demzufolge machen sich auch Richter strafbar, wenn sie Patientenverfügungen missachten.
Die medizinrechtliche Sozietät Wolfgang Putz in München lieferte dazu ein verbindliches Beispiel:
Um Haaresbreite entkam ein Straubinger Vormundschaftsrichter einer Bestrafung wegen Körperverletzung im Amt, weil er eine Patientenverfügung missachtet hatte. Das Verfahren wurde nur deshalb eingestellt, weil es zu der richterlich angeordneten Amputation eines Beines nicht mehr kam, da sich die Ärzte geweigert hatten, den Eingriff durchzuführen. So konnte die Patientin an ihrer Krankheit versterben, wie sie es in ihrer Patientenverfügung gewünscht hatte. (Aktenzeichen 4 BerL 144/07 – Generalstaatsanwalt Nürnberg, Verfügung vom 15.01.2008).
Die Entscheidung bestätigt, dass die Rechtslage zur Verbindlichkeit von Patientenverfügungen klar ist. Mit einer Patientenverfügung kann man rechtsverbindlich Behandlungen untersagen, unabhängig von Art, Schwere und Stadium der Erkrankung (keine sog. „Reichweitenbegrenzung").
Der Fall
Maria M., 82, wohnhaft in einem Straubinger Altenheim, sollte bei schwerer Zuckerkrankheit im Juni 2007 im Straubinger Klinikum St. Elisabeth der rechte Unterschenkel amputiert werden. Das verweigerte sie. Bei ihrem ebenso zuckerkranken Vater hatte es acht Amputationen gegeben, bis er sterben konnte. Maria M. blickte auf ein erfülltes Leben zurück und wollte in Frieden sterben. Die Ärzte klärten sie auf, dass sie als Folge des fortschreitenden Krankheitsbildes (Schwarz-Werden des Beines) sterben würde. Sie würde aber bei guter palliativer ärztlicher Versorgung nicht leiden.
Sie dokumentierten den Patientenwillen, und Maria M. kam „unversehrt“ zurück ins Heim. Dort setzte man sich nun am runden Tisch zusammen, Vertreter des Heimes, der Hausarzt, der Enkel als rechtlicher Vertreter und die geistig vollkommen klare Maria M.. Nach erneuter Aufklärung legte sie nun schriftlich nieder, dass sie nicht amputiert werden wollte. Sie wollte an ihrer Krankheit sterben.
Im Sinne der Rechtsprechung war sie also weder „irreversibel“ noch „tödlich“ erkrankt. Ihre Patientenverfügung war dennoch verbindlich, wie jetzt der Nürnberger Generalstaatsanwalt feststellt.
Als Frau M. schon im Sterben lag, erfolgte durch eine ärztliche Urlaubsvertreterin eine Anzeige beim Vormundschaftsgericht Straubing. Daraufhin entschied der beschuldigte Vormundschaftsrichter, dass der Enkel von Maria M. als Vorsorgebevollmächtigter den Interessen der Frau zuwider handeln würde, weil er die Amputation verhindern wollte.
Der Richter setzte sofort einen rechtlichen Betreuer ein, der wiederum sofort die Amputation zur Lebensrettung von Maria M. anordnete. Dazu kam es nicht mehr. Die Ärzte im Klinikum St. Elisabeth in Straubing kannten den Willen von Frau M. Diese war auch schon gar nicht mehr operationsfähig und verstarb am nächsten Tag.
Der Vormundschaftsrichter zeigte den Enkel wegen Körperverletzung und fahrlässiger Tötung an. Nun wäre der Richter fast schwer bestraft worden. Mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren kann die Körperverletzung im Amt geahndet werden, § 340 StGB. Rechtsbeugung ist sogar ein Verbrechen mit einer Mindeststrafe von einem Jahr, § 339 StGB. In beiden Fällen ist allein der Versuch strafbar. Für den „Versuch“ fehlte es aber am Beginn der Vorbereitungen zur Operation. Die Vorsorgevollmacht und die Patientenverfügung waren aber verbindlich. So schreibt der Generalstaatsanwalt: „Auch das Vormundschaftsgericht darf sich nicht darüber hinwegsetzen.“
Sodann folgen sehr beachtliche „grundsätzliche Ausführungen“ des Generalstaatsanwalts. Wörtlich heißt es: „Bei der Frage, ob bei einem Kranken eine Operation oder ein sonstiger ärztlicher Eingriff vorzunehmen ist, muss in erster Linie sein Selbstbestimmungsrecht beachtet werden. Jeder Mensch kann selbst bestimmen, ob, wie lange und in welcher Weise er behandelt werden soll. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten gilt auch dann, wenn es darauf gerichtet ist, eine aus medizinischen Gründen dringend erforderliche Behandlung zu verweigern oder lebensverlängernde Maßnahmen abzubrechen. Bei einer Missachtung des Selbstbestimmungsrechts eines Kranken kommt eine strafbare Körperverletzung in Betracht, wenn ein ärztlicher Eingriff vorgenommen oder auf andere Weise, z. B. durch Verabreichung von Medikamenten, in den Körper eingegriffen wird.“
Darauf erklärt der Generalstaatsanwalt, dass all dies genauso gilt, wenn der Patient aktuell nicht mehr entscheidungsfähig ist. Dann ist der hypothetische Wille auf Basis einer Patientenverfügung oder der Wertewelt des Patienten zu ermitteln. Hierbei beruft sich der Generalstaatsanwalt auf die klare Rechtslage seit einem Urteil des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 1994 („Kemptener Entscheidung“). Wörtlich führt er aus: „Es ist Aufgabe des Vormundschaftsrichters, diesen hypothetischen Willen zu ergründen und festzustellen. Er darf sich dazu nicht in Widerspruch stellen.“
Der Bescheid stellt klar, dass Vormundschaftsrichter mit einem Fuß im Gefängnis stehen, wenn sie den Patientenwillen nicht respektieren. Besonders bedeutsam ist, dass es sich hier um einen Fall handelt, bei dem die Patientin weder tödlich noch unheilbar erkrankt war. Sie hätte noch Jahre leben können – allerdings mit immer neuen Amputationen!
Den Originaltext der Entscheidung können Sie auf telefonische Anforderung (089 / 65 20 07) per Fax erhalten.