VATIKAN. (hpd) Erzbischof Müller, Ratzingers Nepot und zurzeit Vorstand der Glaubenskongregation, hat am Wochenende in einem Zeitungsinterview eine „Pogromstimmung“ gegenüber der katholischen Kirche in Deutschland ausgemacht. Ich traue meinen Augen und Ohren nicht. Ist der Mann noch bei Verstand?
Ein Kommentar von Horst Herrmann
Die Bundesjustizministerin hat seine Wortwahl geschmacklos genannt. Doch es handelt sich nicht nur um eine Taktlosigkeit, nicht um ein Kavaliersdelikt. Was Müller gesagt hat, ist gegenüber unserer Vergangenheit wie Gegenwart verantwortungslos.
Wer einen Vorgang mit dem Begriff Pogrom in Verbindung bringt, intendiert einen Vergleich mit anderen Vorgängen. Ich erinnere den Kurienerzbischof daran, wie viele Pogrome seine eigene Kirche zu verantworten hat: Für das europäische Mittelalter sind insbesondere die Pogrome von 1096 (Erster Kreuzzug), 1146 (Zweiter Kreuzzug) und um 1189 (Vierter Kreuzzug) zu nennen, bei denen die Kreuzzugspropaganda auf den Antijudaismus zurückgriff. Ideologischer Bezugspunkt waren Ausfälle des Paulus, eines notorischen Hassers, der Juden beschuldigte, „den Herrn Jesus getötet“ zu haben, „wie sie es auch vorher schon mit den Propheten getan“; sie verfolgten nun die Christen „und gefallen Gott nicht und sind allen Menschen feind“ (1 Thess 2,15). Das nenne ich ein effizientes Schüren einer Pogromstimmung. Die über Jahrhunderte hinweg folgenden Pogrome kamen nicht von ungefähr.
1938 fordert ein Pogrom in Deutschland 400 Tote und 1000 zerstörte Synagogen. Doch die Bischöfe schweigen. Die Kirchen waren die einzigen nicht gleichgeschalteten Großorganisationen. Aber keine katholische Kirchenleitung protestiert. Nur einzelne Christen erheben ihre Stimme gegen die systematische Verletzung der Menschenrechte. In Berlin betet der Dompropst Bernhard Lichtenberg am Abend des 9. November 1938 für Juden und nichtarische Christen.
Im Übrigen, Herr Müller, Chef der Glaubenskongregation, der Nachfolgerin der Inquisition, sind die Ihren etwa unschuldig an den Hexenpogromen oder den Inquisitionspogromen überhaupt? Können Sie Parallelen zur gegenwärtigen Lage Ihrer Kirche herstellen? Oder müssten Sie nicht erst überprüfen, ob Sie einem eigenen Verfolgungswahn unterliegen?
Christenverfolgung in Deutschland?
Was hat diesen Oberhirten wohl zu seinem verantwortungslosen Geschwätz getrieben? Ich nehme an, er wollte die Geschichtsklitterei in die richtigen Bahnen lenken: „Christenverfolgung“ ist das neueste Stichwort.
Christenverfolgung in Deutschland? Der Oberhirte liefert ein neues Beispiel für vatikanisches Lagerdenken. Aber Katholiken taugen nicht als Opfergruppe. Nein, Herr Erzbischof, auch wenn Sie das nicht verstehen werden: Aufgeklärtes Denken hat keine Pogrome nötig. Hat etwa Nietzsche den Staatsanwalt bemüht, steht Kant für Scheiterhaufen, Lessing für die Verfolgung Andersdenkender? Nein, derlei hat allein – eine historische Tatsache – das kirchliche Lager zu verantworten. Unsere Sachargumente gegen die Kirche halten jedenfalls nicht zum Pogrom an und schaffen keine Feindbilder.
Pogromstimmung in Deutschland? Das wagt einer von sich zu geben, dessen Kirche sich auf den Milliardensubventionen ausruht, die alle Bundesdeutschen, auch die keiner Kirche angehörenden, für sie aufbringen müssen.
Privilegien machen immobil und arrogant. Wer ein Leben lang auf seinen „geistlichen“ Beruf hingehätschelt worden ist, macht sich als Geisterfahrer gut, als ein Meister der wundergleichen Täuschungen, der allein auf der richtigen Spur zu fahren glaubt. Doch den Zugang zur Realität hat er längst verloren. Blicken wir in Richtung Vatikan, schauen wir an den düster abweisenden Zentralbauten der Heiligen Römischen Kirche hoch, wo ein Klerus thront, eine Sippe lichtscheuer Molche zumal, erscheint alles geordnet. Unter solchen Perspektiven wächst sich eine nüchterne Argumentationskette offenbar schnell zur „Förderung einer Pogromstimmung“ aus.
Müller pfeift im Wald. Unter dem Vorwand, den intaktesten Glauben zu vermitteln, baut dieser Erzbischof Dämme, ein Biberchen seltsamster Art, das ringsum die Bäume des freien Denkens und Argumentierens fällt, um den eigenen Dammbau zu stabilisieren.
Doch wenn schon die Gottesfrage aufs Tapet kommen soll, wie der Kurienerzbischof anmahnt (um den lästigen Problemen Zölibat, Frauenordination, Kirchensteuer zu entkommen), so erlaube ich mir einmal mehr zu fragen, wie wohl der Gott beschaffen ist, der so etwas wie diese Kirche zulässt.
Wir können gerne darüber diskutieren.
Horst Herrmann ist Prof. em. für Soziologie und war 1970 bis 1981 Professor für katholisches Kirchenrecht an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster.