„Ecken und Kanten geben Profil"

DESSAU. (hpd) Mit dem vergangenen Wochenende ist die Saison der Jugendweihefeiern für das Jahr 2008 eigentlich beendet.

Nur in Berlin wird es wegen der großen Nachfrage am kommenden Wochenende noch eine Feier geben. In Dessau nahmen am vergangenen Samstag 300 von 500 Kinder des Jahrgangs, also 60 % der in Frage kommenden Jugendlichen, an den Feierstunden im Anhaltischen Theater teil.

 

Und wieder war es eine der seltenen Gelegenheiten, bereits am Vormittag festliche Kleidung zu tragen, sich zu dekorieren und zu schminken, gut auszusehen, den skeptischen eigenen Blicken in den Raum hohen Spiegeln des Foyers im Anhaltischen Theater und den prüfenden Blicken der Anderen stand zu halten. Der Landesverband Sachsen-Anhalt der „Interessenvereinigung Jugendweihe e.V:" hatte die Feierstunde angeboten und vorbereitet. In diesem Jahr haben in Dessau rund 300 und in ganz Sachsen-Anhalt rund 5.000 Kinder und Jugendliche auf der Bühne vor den Augen aller ihren symbolischen Schritt von der Kindheit in das Erwachsenenleben getan.

Jede und jeder der jungen TeilnehmerInnen hat ein Kuscheltier dabei, anfangs vielleicht noch als Rückhalt, denn die Aufregung ist groß, aber dann werden sie es einzeln auf der Bühne abgegeben - für bedürftige Kinder -, als Symbol, dass ihre Kindheit nun beendet ist. Seit 1999 ist es ein fester Bestandteil der Feierstunden im Anhaltischen Theater.

Die Feierstunden in Dessau werden seit fünfzehn Jahren von dem Komponisten und Musiker Torsten Scharwächter gestaltet, der sowohl für die Texte, wie für die Kompositionen und die musikalische Begleitung verantwortlich ist. Er ist ein ‚Allround-Talent' und sein besonderes Anliegen ist es, diese Feiern so zu gestalten, dass sie auch den Jugendweihelingen selber gefällt und nicht nur den Eltern und Großeltern. Eine Art ‚Nummern-Revue' ist für ihn undenkbar. Jedes Jahr diskutiert und erarbeitet er mit Schülern eigene Themenideen. Dieses Jahr ist es die Darstellung von zwei „Schulstunden".

„Schulstunden" zu Biologie und über Ethik

Zwei SchülerInnen aus der Theatergruppe des Walter-Gropius-Gymnasiums (Jessica Behne als „Biologielehrerin" und Christoph Wiench als „Ethiklehrer") treten allein auf der großen Bühne auf. Die Konstellation ist gelungen: Die Bühne ist für den Lehrer da und das gesamte Publikum - immerhin rund 1.100 Eltern, Verwandte und Freunde -, ist die angesprochene und unterrichtete „Schulklasse".
In Biologie steht das Thema „Fortpflanzung" auf dem Stundenplan. Virtuos führt die „Lehrerin" durch den Stoff: Was wird zur Fortpflanzung gebraucht? („Vor allem gute Laune!"), ruft zwischendurch „Schüler" zur Ordnung, vollführt einen weiten Streifzug durch alle Variationen der Fortpflanzung im Tierreich, bis sie schließlich bei der lebenswichtigen Frage ankommt: „Wie befruchtet der Mann die Frau?" Ja, wie denn? Das bleibt unerörtert, denn mit dem „Klingeln zur Pause" ist die „Stunde" beendet und der Beifall zeigt, dass es dem Publikum gefallen hat.

Der „Ethiklehrer" fragt nach einer kurzen Reise durch die Philosophie: „Wann sind Sie glücklich?" und nennt eine Reihe Alltagsbeispiele. Dann kommt er zu den Eltern: „Auch sie waren glücklich, als das Kind geboren wurde, das erste mal 'Mama' oder 'Papa' sagte, zu Krabbeln begann, die ersten Schritte, ... und dann nach Jahren – das Unglück... dunkle Wolken, Schatten und Sturm.... die Pubertät! Ihr Kind - ein nicht zu bändigendes Monster... Sie kennen das?" Befreiendes Gelächter und Beifall.

Lieder, Festrede, Urkunden und Schlusswort

Nach Liedern, gesungen von Kerstin Bunge, und der Festrede von Heidemarie Ehlert, Stadträtin (Fraktion „Die Linke") in Dessau-Roßlau, die mit nachdenklichen Überlegungen und heiteren Empfehlungen ansprechende Worte fand, folgte die Überreichung der Urkunden. Der Abschluss im Text war dann das Schlusswort mit „Gedanken zum Tage".

Dieses Schlusswort einer teilnehmenden Jugendlichen soll stellvertretend für alle zu den Jugendweihefeiern 2008 abschließend zitiert werden:

„Liebe Eltern, Geschwister, Großeltern, Verwandte und Bekannte.
Liebe Lehrer, liebe Klassenkameraden und Freunde.
Meine sehr geehrten Damen und Herren.

Ich bin Jessica Jane Preuß vom Gymnasium Philanthropinum und fühle mich sehr geehrt, heute hier ein paar Worte zu unserer Jugendweihe sagen zu dürfen.
So wie in dem gerade gehörten Lied vom Tom Astor der junge Adler hinaus in sein neues Leben entlassen wurde, so werden wir heute ebenfalls den Schritt in eine neue Zukunft machen, nämlich vom Kind zum Erwachsen sein.
Jetzt geht's richtig los! Immer weniger werden unsere Eltern entscheiden und immer mehr wir selbst.

Verliebt war oder ist jeder von uns längst schon einmal gewesen oder ist es noch.
Zungenküsse braucht uns keiner mehr zu erklären und alles andere auch nicht.
Über Musik wissen wir ohnehin besser Bescheid als unsere Eltern.
Jede und jeder von uns ist anders, jede und jeder hat eigene Stärken und Schwächen, und das ist gut so.
Anders kann man gar nicht Mensch sein.

Wenn ich überhaupt einen Wunsch an Sie liebe Eltern und an Euch richten darf, dann ist es der: Achtet das Anderssein, lasst Euch nicht einreden wir müssten so sein wie jemand anderes und verlangt von Niemandem, sie oder er solle so sein wie sie oder er selbst.

Manchmal ist man mit sich selbst unzufrieden. Man möchte größer sein oder stärker, schöner natürlich, schneller, klüger und so weiter.
Viel, viel wichtiger aber ist, dass jede und jeder von uns nur einmal da ist, unverwechselbar, einmalig und dies müssen wir akzeptieren.

Jetzt werden wir also erwachsen. Erwachsen, na ja, ist auch nicht immer geil. Wir kennen die Probleme die unsere Eltern haben. Man braucht eine Arbeit, mit der man Geld verdienen kann, die Arbeit im Haushalt dagegen braucht man nicht unbedingt, doch die fragt danach nicht. Sich in einen anderen Menschen zu verlieben, ist ein solcher Wahnsinn, dass man sogar Gedichte schreibt obwohl die ansonsten so mega out sind. Der Alltag miteinander und in der Familie, auch das haben wir oft genug selbst erlebt, ist dagegen nicht immer cool. Man hat Rechte, aber leider auch genug Pflichten.
Auch diese werden wir, wenn wir auch jetzt erwachsen sind weiterhin fleißig erfüllen müssen. Also Papa ich bringe dir auch weiterhin dein Bierchen zum Fernseher, Mutti du musst mich auch in Zukunft daran erinnern, dass der Müll fällig ist, und beim Einkaufen bin ich auch weiterhin deine Begleitung, weil da meistens etwas Zusätzliches für mich drin war. Es wird also nichts mit dem Sparen, Mama. Und ihr Omas und Opas ich freue mich weiterhin auf die Kleinigkeiten zum Kindertag, auch wenn ich jetzt Erwachsen bin.

Es wäre aber auch super, wenn unsere eigenen Wünsche in Erfüllung gingen. Voll fett wäre das, so drückt man das in unserer Sprache aus.

Wir sollen leben, wie wir wollen, wir sollen sein wie wir sind, aber wir sollen auch wissen, dass es nur schön ist mit anderen Menschen gemeinsam, und wenn andere es auch können.

Liebe Jugendweihelinge heute ist unser Tag, aber ein riesengroßes Dankeschön gilt unseren lieben Eltern und Großeltern. Viele von Ihnen werden heute sagen, man wo ist die Zeit hin. Für uns war es eine schöne, wohl behütete Zeit. Nicht immer waren wir einer Meinung, aber meistens hattet Ihr ja doch recht.
Vielen, vielen Dank liebe Eltern und Großeltern für eure Liebe und euer Verständnis.

Ein weiterer Dank gilt unseren Freunden und Freundinnen. Lasst uns auch in Zukunft so gut klar kommen wie bisher und lasst uns weiterhin in schwierigen Situationen zusammenhalten, eine Freundschaft ist das Wunderbarste.

Natürlich danken wir auch unseren Lehrern. Ich gebe gerne zu, dass sie es nicht immer leicht mit uns hatten, aber wir auch nicht mit ihnen. Ich will ihnen im Namen aller Schüler danken, dass sie uns bei der einen oder anderen schweren Aufgabe geholfen haben, und wir hoffen, dass sie es noch eine Weile mit uns aushalten werden.

Ein besonderer Dank gilt auch dem Jugendweiheverein, der uns diese Feierstunde ermöglichte und vorab schon tolle Angebote für uns parat hatte.

Da unsere Eltern heute besonders freundlich sein werden und auch die ernstesten Wünsche liebevoll ausdrücken, will ich es zum Schluss übernehmen, einen Wunsch etwas drastischer zu formulieren.

Versucht keinen großen Mist zu machen in eurem Leben. Es gibt ganz Blödes, Unwürdiges, vieles, das hinterher nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann. Passt auf euch auf, unsere Eltern und Freunde werden immer für uns da sein.
Aber letztendlich entscheiden wir oft selbst. Das ist das Problem des Erwachsenseins, aber auch eine Chance.
Vergesst nie, es gibt nichts Besseres auf dieser Welt als uns, aber auch nichts Schlechteres als Menschen, die Vergessen, dass dies für alle Menschen gilt.

In diesem Sinne Euch und Ihnen allen eine wundervolle Party, viele Briefumschläge mit Inhalt und alles, alles Gute."

 

Fotografien: Evelin Frerk 

CF