(hpd) Wie wurde der Mensch zum Menschen? Dieser Frage widmen sich Evolutionsforschung und Soziobiologie mit bemerkenswerten Erkenntnissen
, welche die häufig postulierten Unterschiede zwischen Kultur und Natur, Mensch und Tier um einer differenzierteren Betrachtung willen auflösen.
Einen Beitrag zu dieser besonderen Sicht will der Anthropologe und Primatenforscher Volker Sommer mit seinen Forschungen und Publikationen leisten. Er hat am University College London einen Lehrstuhl für Evolutionäre Anthropologie inne und gilt als Spezialist für das Sozialverhalten von Affen in den unterschiedlichsten Regionen der Welt. Die damit verbundenen Kenntnisse über die nächsten „Verwandten" des Menschen in der Tierwelt durchziehen auch sein Buch „Darwinisch denken. Horizonte der Evolutionsbiologie", das sich als Beitrag zur Geschichtsschreibung über die evolutionäre Entwicklung des Menschen versteht. Dessen sieben Kapitel enthalten umgearbeitete Texte von bereits zuvor als gesonderte Aufsätze erschienenen Texten zu unterschiedlichen Themen.
Zunächst fragt der Autor nach der Kultur in der Natur und veranschaulicht an vielen Beispielen aus der Welt der Tiere deren Fähigkeit zur Pflege von Traditionen. Dem folgend geht es in Verbindung mit einer Kritik an den Auffassungen von Konrad Lorenz um die Korrektur weit verbreiteter Deutungen wie etwa über das angebliche Tötungsverbot gegenüber eigenen Artgenossen. Die sich daran anschließenden drei Kapitel präsentieren ausführlicher Ergebnissen der Forschung zum Sozialverhalten von Primaten: Hierbei stehen Kooperation und Konkurrenz bei indischen Tempelaffen, die Geschlechtswahl bei den Nachkommen von algerischen Berberaffen und die Paarbildung bei thailändischen Gibbons im Zentrum der Betrachtung. Danach widmet sich das Buch der Wahrnehmung des Leidens in der Menschen- und Tierwelt in Verbindung mit Betrachtungen zur Diskussion über die Freiheit des Willens. Und schließlich geht es um den biologischen Unsinn von „Rasse"-Vorstellungen und das Selbstverständnis des Autors als „darwinscher Afrikaner".
In lockerer Schreibe werden so in den sieben Kapiteln anschaulich und verständlich wichtige Erkenntnisse zum Verhalten der Primaten in Verbindung mit vergleichenden Betrachtungen zum menschlichen Sozialverhalten präsentiert. Sommer zeigt dabei immer wieder auf, dass die weit verbreitete moralische Abwertung der Tiere und moralische Aufwertung der Menschen eine nicht nur biologisch unangemessene Auffassung ist. Hierdurch geraten viele liebgewordene Auffassungen ins Wanken, und es eröffnen sich Perspektiven für das titelgebende „darwinische Denken". Dies hätte aber auch weitaus stringenter und systematischer geschehen können. Der Wiederabdruck von Textbausteinen aus vielen vorherigen Aufsätzen als eigenständige Kapitel wirkt inhaltlich mehr fragmentarisch denn abgerundet. Der lockere Plauderton mit gelegentlichem Sprachwitz erleichtert die Lektüre, lässt aber mitunter analytische Abrundungen und inhaltliche Zuspitzungen vermissen. Gleichwohl liefert diese Essaysammlung beachtenswerte Einsichten und Perspektiven.
Armin Pfahl-Traughber
Volker Sommer, Darwinisch denken. Horizonte der Evolutionsbiologie, Stuttgart 2008 (S. Hirzel-Verlag), 174 S., 19,00 €