GIESSEN. (hpd) Eine Tagung in der Hermann-Hoffmann-Akademie beschäftigte sich sowohl in wissenschaftlichen Fragestellungen wie auch an praktischen Beispielen mit der Frage, inwiefern es notwendig und möglich ist, das Wissen um die Evolution bereits in der Grundschule zu vermitteln. Ein spannendes, evolutionäres Projekt, zu dem alle zur Mitarbeit eingeladen sind.
Mit launigen Worten begrüßte Dr. Michael Schmidt-Salomon am vergangenen Wochenende im Namen der Giordano-Bruno-Stiftung die Teilnehmer der Offenen Tagung "Evolution in der Grundschule".
Normalerweise würde die Stiftung erst mit komplett geplanten Kampagnen an die Öffentlichkeit treten, aber für dieses Projekt, das sich noch in Arbeit befindet, sei man durch das unerwartet zügige Arbeiten von Max Kruse und das Erscheinen seines Urmel-Buchs, in dem das Urmel durch die Zeit saust, etwas unter Zeitdruck geraten. Und inhaltlich sei es auch durchaus thematisch angemessen, ein evolutionäres Projekt zu starten, dessen Konturen zwar bereits zu erkennen sind, aber das sich durch die nun kommenden Beiträge und Vorschläge noch verändern wird.
Die Tagung in Gießen war dazu der erste öffentliche Auftritt und gliederte sich in drei Teile: einer wissenschaftlichen Bestandaufnahme (mit drei Themen), Vermittlung von Evolutionsbiologie in der Praxis (mit vier Themen) und einer Zukunftswerkstatt der anwesenden Teilnehmer.
Wissenschaftliche Bestandsaufnahme
Als erstes referierte Dr. Ulrich Kutschera, Professor für Pflanzenphysiologie und Evolutionsbiologie, über "Design-Fehler in der Natur, Alfred Russel Wallace und die Gott-lose Evolution" oder anders gesagt, dem Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Glaube. Vom Leben und Werk des Naturforschers Alfred Russel Wallace ausgehend zeigt er in beredten Beispielen, dass die religiöse Vorstellung einer übergeordneten Intelligenz, welche die Evolution steuert, nicht mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zu vereinbaren ist. Die Stichworte dazu sind "Zufall" und "Notwendigkeit". Mit zahlreichen Beispielen illustrierte Kutschera die vielen "Design-Fehler", demzufolge die Vorstellung eines "Naturdesigns" eine einfache Katastrophe sei und jeder Ingenieur, der solche Fehler gemacht hätte, mit Sicherheit fristlos entlassen worden wäre.
Trotzdem geistert diese Pseudo-Wissenschaft einer "Theobiologie" noch in einigen Werken der Gegner der Evolutionsbiologie herum, die vom Discovery-Institut oder von "Wort & Wissen" – finanzstarken Organisationen – auf den Markt gebracht werden und mit ihrer "Grundtypenlehre" an evangelikalen wie auch Waldorf-Schulen vermittelt werden. Ein besonders erschreckendes Beispiel sei dabei die "Gestaltbiologie" Rudolf Steiners; Glaubenssätze als reine Spekulationen, eine okkult-mystische Ideologie. Kennzeichen für alle Kreationisten: Daten und Fakten, die nicht in das (christliche) Weltbild passen, werden einfach ausgeblendet.
Prof. Dr. Dittmar Graf, Direktor des Instituts für Biologiedidaktik an der Universität Gießen, gab einen Problemaufriss, z. B. über den Kommentar einer Schülerin im Leistungskurs Biologie, die sagte: "Ich weiß erschreckend wenig über Evolutionsbiologie!" Allgemein könne man sagen, dass nur ein "träges Wissen" vorhanden sei, einzelne Facetten, aber keine Kenntnisse über die Dynamik von Gesamtzusammenhängen.
Er berichtet über Testreihen, in der die Probanden gefragt wurden, "Geparden laufen schneller …" und es eine Antwortmöglichkeit nach Darwin, eine nach Lamarck und eine finalistische gab. Die Ergebnisse zeigten das häufige Fehlen der Kenntnissse zur Evolutionsbiologie.
Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass Zeitleisten nur schwer vorstellbar sind. (Will man die Erd- und Menschheitsgeschichte am Beispiel des Eifelturms illustrieren, dann ist die Höhe des Eifelturms die Erd- und Naturgeschichte, die Menschheitsgeschichte ist dann so lang wie die dünne Lackschicht auf der Spitze des Turmes.) So haben Tests ergeben, dass es keine korrekte Zuordnung in der zeitlichen Abfolge von Dinosauriern und Menschen gäbe und manches Mal sogar ein "Flintstone-Effekt" feststellbar sei, dass Dinos und Menschen in der Steinzeit gleichzeitig gelebt hätten.
In den USA besagen Studien, dass Grundschüler überwiegend "Kreationisten" seien. Auf den staatlichen Schulen wird es dann mit andauerndem Schulbesuch wissenschaftlicher, an den Konfessionsschulen bleibe es aber unverändert. Für Deutschland liegen dazu keine empirischen Studien vor.
In Deutschland sei "Evolution" ein "Endthema" am Ende der Sekundarstufe II. Es wäre jedoch klüger, das Thema an den Anfang der Schulbildung zu stellen. Das Interesse von Grundschülern an Zoologie und Evolution sei empirisch belegt. Allerdings komme im aktuellen Schullehrplan in Hessen "Die Schöpfung" 17 mal vor, "Evolution" kein einziges Mal.
International gäbe es vor allem in Großbritannien konkrete Planungen für Evolution im Unterricht ab der 4. Klasse. Das sei möglich, wenn man für die Evolutionsbiologie zwei Ebenen unterscheidet. Zum einen die Ebene der Phänomene, die über die Tatsachen die Evolution darstellt, zum anderen die Ebene der Erklärung, wo dann die Evolutionstheorie ihren Platz hat. Ein nach dem "Spiralprinzip" aufeinander bezogener Unterricht wäre dabei möglich und sinnvoll.
Die Gymnasiallehrerin Dr. Anuschka Fenner, referierte danach die Methoden und Ergebnisse ihrer Doktorarbeit in einem wahren Feuerwerk fachlich-methodologischer Erläuterungen zu Methoden, Definitionen, Vorstellungen und Schlüsselkonzepten. Forschungsgegenstand war die Frage nach der Veränderung von Schülervorstellungen zur Evolutionsbiologie. Dazu wurde eine Versuchsgruppe gebildet (die Evolution im Unterricht hatte) und eine Kontrollgruppe (ohne einen derartigen Unterricht).
Dazu zeigte sie verschiedene Konzepte zu einer Unterrichtsreihe, wobei beispielsweise der Aspekt "Züchtung" (von Hunden, aus dem Lebensalltag der Kinder) ein geeigneter Einstieg sein könne. Andere Beispiele zeigte sie für "Anpassung", "Variation", "Zufall" und "Selektion". Die Ergebnisse zeigen signifikant, wie sich die im Unterricht anfangs nur mittlere Akzeptanz von Evolution nach dem Unterricht deutlich erhöhte. Ebenso verbesserte sich das Verständnis von Evolution, mit signifikanten Unterschieden zwischen Versuchs- und Kontrollgruppe.