Ein Nobelpreisträger in Berlin

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Foto: © Adriana Schatton

BERLIN. (hpd) Mehrere Berliner Wissenschafts­institutionen wie das Max Delbrück Center, ein Max-Planck Institut, die Will Foundation und die Freie Universität Berlin taten sich finanziell zusammen, um den Nobelpreisträger des vergangenen Jahres, Thomas Südhof, für einen Vortrag nach Berlin zu holen und etwas von dem Sternenstaub aus Stockholm abzubekommen.

 

Der sehr gut gefüllte große Hörsaal der FU Berlin zeugte von dem großen Interesse, den Nobelpreislaureaten einmal zu erleben. Das lag vielleicht auch an dem zweisprachigen Titel seines Vortrages: "Mein Weg nach Stockholm: A Molecular Approach to Understanding how Neurons Communicate at Synapses", es versprach deutsch-unterhaltsam und englisch-wissenschaftlich zu werden. Und das Versprechen wurde gehalten.

Der Nobelpreis für Medizin und Physiologie

Seit seiner ersten Verleihung im Jahre 1901 ging der Nobelpreis für Medizin und Physiologie im Schnitt alle 7,8 Jahre an in Deutschland geborene Wissenschaftler. Die längste 21-jährige Pause war zwischen 1935 und 1956, einer Zeit, in der man den Deutschen lieber keine Ehrentitel verleihen wollte. Unter den 10 ausgezeichneten Frauen ist übrigens auch die deutsche Entwicklungsbiologin Christiane Nüsslein-Vollhardt (1995).

Gerade erst vor 5 Jahren ging der renommierte Preis (u. a.) an den Deutschen Harald zur Hausen für seine Entdeckung der Auslösung von Gebärmutterhalskrebs durch humane Papillomaviren und letztes Jahr nun an den Neurobiologen Thomas Südhof.

Südhof wurde 1955 in der deutschen Neurobiologie-Hochburg Göttingen geboren, an dessen Uni er auch seinen Doktortitel erwarb. Mitte der Achtzigerjahre packte ihn die Neugier und er seine Sachen: Er siedelte nach Dallas, im US Bundesstaat Texas, um am Cholesterol-Metabolismus zu forschen. Später gründete er sein eigenes Labor und begann die Kommunikation zwischen Nervenzellen zu untersuchen, ein zu der damaligen Zeit noch völlig neues Forschungsfeld. Seine Beschreibungen über die Signalübertragung an den neuronalen Kontaktstellen, den Synapsen, überzeugten die ehrenwerte Nobelversammlung des Karolinska-Instituts in Schweden ihm und zwei weiteren amerikanischen Wissenschaftlern (James E. Rothmann und Randy W. Schekman) den angesehenen Preis zu verleihen.

"Mein Weg nach Stockholm"

Südhof entschuldigte sich gleich mehrere Male kokett für sein gelittenes Deutsch und amüsierte sich selbst am lautesten über seine falsche Wahl der Zeitformen oder Deklinationen. Übrigens ein beliebtes Mittel unter deutschen Forschern, ihre langen Auslandsaufenthalte zu demonstrieren ;-)

Seine hagere Gestalt und etwas wackliger Stand ließen den Forscher älter erscheinen als er seinem Geburtsdatum nach ist. Mit vielen persönlichen Fotos und Erinnerungen in einer etwas grob geratenen Powerpointpräsentation zeichnete er unterhaltsam seinen Lebensweg von der Waldorfschule (!) über sein Medizinstudium und seiner Doktorarbeit über einen Zelltyp der Nebennieren bis nach Dallas und Standford nach. Die wissenschaftliche Atmosphäre der Achtzigerjahre in Dallas sei für den damals 31-jährigen einfach unwiderstehlich "elektrisierend" gewesen. 22 Jahre blieb Thomas Südhof der texanischen Stadt treu, dann wechselte er vor 5 Jahren an die Elite-Uni Standford, "weil Veränderung gut sei".

Der Nobelpreis als Mode-Korrektiv

An dieser Stelle wechselte er von seinem "Weg nach Stockholm" zu der Bedeutung eines Nobelpreises. Finanziell sei das Ganze schonmal weniger erwähnenswert. Abzüglich aller Steuern blieben dem Laureaten gerade mal 140.000 Euro. Dafür betonte Südhof aber den ideellen Wert der Auszeichnung, der eine Messlatte in der Wissenschaft legt und als Korrektiv für Moden und Kurzzeitdenken funktionieren würde. "Man kann nicht auf den Nobelpreis hinarbeiten, er ist nicht planbar", unterstreicht Südhof die Mode-unabhängige Rolle des Preises.

Wie kommen die Botenstoffe in den synaptischen Spalt?

Nun soll es aber endlich um das gehen, was da als so neu und relevant für die Menschheit bewertet wurde: Die Entdeckungen, die Südhof und seine Mit-Laureaten plötzlich berühmt gemacht haben. Südhof wechselte von Deutsch mit amerikanischem Einschlag nach Englisch mit deutschem Akzent und erklärte, dass es sich bei der Synapse um die Grund-Recheneinheit in neuronalen Schaltkreisen handeln würde.

Die nur Nanometer kleinen Strukturen kommunizieren über Botenstoffe, die bei Aktivierung der vorgeschalteten Zelle aus dem Synapsenendköpfchen (Präsynapse) in den synaptischen Spalt ausgeschüttet werden und in der nachgeschalteten Zelle ein Signal auslösen. Gelangt ein Signal, das sogenannte Aktionspotential, in das Endköpfchen, öffnen sich Kalziumkanäle und lassen Kalziumionen aus dem Zellzwischenraum einströmen. Spezialisierte Bausteine (Proteine), die in ihrer Eigenschaft sich spezifisch zu verbinden ein wenig an LEGO-Bausteine erinnern, binden diese Ionen, ändern daraufhin ihre Form und führen durch Aneinanderbinden ein Paket Botenstoffe an den dafür vorgesehenen Ort, öffnen die Pforten und lassen es Serotonin, Adrenalin oder Dopamin auf die nachgeschaltete Zelle regnen.

Sie tragen teilweise exzentrische Namen, wie VAMP, SNARE, RIM, Rab oder complexin. Letzteres ist evolutionär schon so alt, wie das Nervensystem selbst, war also von Anfang an dabei und hat seit dem keine (tiefgreifenden) Mutation toleriert. Das konnten Südhofs Mitarbeiter zeigen indem sie das complexin-Gen der Maus durch das Äquivalent aus dem Genom der Qualle, dem der Maus am weitesten entfernt verwandten Tier mit Nervenzellen, ersetzten und gesunde Mäuse mit teilweise Quallensynapsen erzeugten. Der letzte gemeinsame Vorfahre von Qualle und Maus lebte vor etwa 600 Millionen Jahren.

Viele Medikamente und Drogen, wie z. B. Botox oder das Tetanusgift wirken auf das feine LEGO-Zusammenspiel in der Präsynapse. Südhofs Arbeit steuert daher wichtiges Grundlagenwissen zum Verständnis neuronaler Krankheiten bei.

Neuro, quo vadis?

Im letzten Teil seines Vortrags, schaltete Thomas Südhof wieder auf Deutsch um und stellte seine persönliche Meinung zur Perspektive der Neurowissenschaften vor.

Ziel sei nicht, das Bewusstsein zu verstehen oder Gedanken lesen zu können. Lügendetektoren seien ethisch nicht vertretbar, ihre Umsetzung aber eh unrealistisch. Auch die Schaffung von künstlichem Bewusstsein sei noch lange unmöglich. Als Beispiel nennt er hier den Computer Hal9000 aus Stanley Kubricks Film "Odyssee 2001". Die Neurowissenschaftler sollten sich mehr in Bescheidenheit üben und nicht der Öffentlichkeit gegenüber behaupten, mit 1 Milliarde Euro in nur 10 Jahren ein menschliches Hirn im Computer simulieren zu können, wie es das "Human Brain Project" ankündigte.

Selbst das vergleichsweise simple Nervengeflecht des unter Biologen beliebten Wurms C. elegans, das aus nur 302 Nervenzellen mit ~5000 entschlüsselten Verbindungen (also Synapsen) besteht, konnte nicht simuliert werden. Das menschliche Gehirn besteht nun aber aus etwa 10^15 Synapsen!

Südhof zeigte anhand eines simplen Beispiels, wie variabel das Verhalten des einfachsten "Netzwerks" (bestehend aus nur 2 sich beeinflussenden Zellen) bereits ist, wenn man nur eine kleine Anfangsvoraussetzung wie den Leitwert der synaptischen Übertragung ändert. Es müssten viel zu viele Anfangsbedingungen angenommen werden, die eine echte Simulation unmöglich machen würden.

Zudem bedauerte Südhof den Trend hin zu wissenschaftlichen Großprojekten, bei denen die Einzelverantwortungen nicht mehr nachvollzogen werden könnten und damit die Kontrolle aber auch Kreativität verloren gingen. Zum Schluss kritisierte er die finanzielle Situation in den USA, es gäbe im Gegensatz zu Deutschland viel zu wenig Geld. Er müsse sich die meiste Zeit um Anträge kümmern und wünscht sich für die Zukunft, doch einfach in Ruhe forschen zu können.

Im Anschluss gab es für das Publikum die Möglichkeit Fragen zu stellen. Einige nutzten ihre Chance und stellten sehr spezifische aber auch allgemeine Fragen zum Gehirn und zur medizinischen Anwendung. Ob denn seine Forschung je zu nur einem Medikament geführt hätte, möchte ein junger Medizinstudent wissen. Ganz selbstbewusst antwortet Südhof mit "Nein, nicht, dass ich wüsste. Aber das war auch nicht mein Ziel. Wir verstehen nun aber die Vorgänge und damit auch Krankheiten viel besser."

Vor dem Hörsaal konnte man sich bei einem kleinen Empfang noch über den Vortrag austauschen, die LEGO-artigen Bausteine in seinen Synapsen noch ein wenig nacharbeiten lassen und etwas des Nobel-Glanzes mit in die kalte Berliner Winternacht nehmen.