Von den „Dissidenten“ zu den „Konfessionsfreien“. Eine kurze Geschichte der Konfessionslosigkeit in Deutschland.
Dr. Horst Groschopp (Direktor der Humanistischen Akademie und Präsident des Humanistischen Verbandes) zog einen weiten Bogen, um aus nicht-religiöser Perspektive das „Subjekt“ der Betrachtung historisch abzuleiten. 1919, als die „Kirchenartikel“ in die Weimarer Reichsverfassung aufgenommen wurden, war die Zahl der „Konfessionsfreien“ noch marginal, heute sind sie ein gutes Drittel der Bevölkerung. Woher kommen die „Konfessionsfreien“?
Im 16. Jahrhundert, nach der Reformation wurde der Begriff der „Dissidenten“ eingeführt. Gemeint waren damit alle Christen, die sich (in England) den Glaubensartikeln widersetzten. Auch in der Folgezeit, z.B. im Frieden von Warschau 1716 („pax dissidentium“) wurden damit alle Nichtkatholiken (Lutheraner, Reformierte, Griechen, Armenier) bezeichnet, dann, weiter gefasst, alle tolerierten Religionsgemeinschaften außerhalb der amtskirchlichen Konfessionalität, d.h. christliche Sondergruppen wie die evangelischen Freikirchen. Nach 1840 bilden sich die „Freireligiösen“, die sich aus der religiösen Bindung zu Freidenkern entwickeln. Nach 1860 sind es dann die Gruppen, die, nach dem Motto „Frei in der Religion – Frei von der Religion“, ein eigenes nicht-kirchliches Brauchtum entwickeln wie die „Jugendweihe“. Nach einer ‚Proletarisierung’ des Freidenkertums in der Arbeiterbewegung waren die Freidenker in der NS-Zeit verboten, der Begriff des „Dissidenten“ wurde abgeschafft und stattdessen der Begriff des völkisch „Gottgläubige“ etabliert. In der Bundesrepublik hatte sich dann für die Nicht-Kirchenmitglieder zuerst die Bezeichnung der „Konfessionslosen“ eingebürgert, da aber die Muslime ja ebenfalls im formalen Sinn „konfessionslos“ sind, wird seit einigen Jahren eher der Begriff der „Religionsfreien“ verwendet, um die „Bunte Vielheit“ der Religionslosen zu benennen. Religionslosigkeit wird dabei als Weltanschauung verstanden, die keinen Bezug auf transzendentale Kräfte formuliert.
Formale Mitgliedschaften sagen darüber allerdings sehr wenig aus. In Bayern kann man den Katholizismus zunehmend eher als Brauchtum betrachten denn als Religionszugehörigkeit und wenn insbesondere die evangelische Kirche ihre Betonung der Kultur verstärkt – Kirchentage als Pop-Festivals – könnten sie zu einer Kulturvereinigung werden, wie es viele andere auch gibt.
Die Frage ist, ob staatskirchliche Regelungen auch von Nicht-Religiösen kirchenähnliche Konstrukte erfordern, um „Privilegien für alle“ zu realisieren. Abgesehen von einer dann möglichen „Versäulung“ der Gesellschaft, bringt die Vorstellung, dass der Humanistische Verband eine „Bekenntnisgemeinschaft“ werden könne, manchen zum Schaudern. Unstrittig sei jedoch, so schloss Horst Groschopp, dass das konfessionsfreie Drittel der Bevölkerung (noch) kein politisches „Subjekt“ sei.