ESCH-sur-Alzette, Luxemburg. (hpd) Am 19. Februar 2008 wird im Luxemburger Parlament über die Depenalisierung der aktiven Euthanasie abgestimmt.
Eingereicht wurde der Gesetzesvorschlag von Jean Huss (Grüne) und Lydie Err (LSAP, Sozialistische Partei Luxemburg).
Sanftes, möglichst gutes Sterben
Jean Huss, Mitbegründer der Grünen-Partei in Luxemburg und Mitglied des Europarats, setzt sich seit fast 20 Jahren für die Depenalisierung der Sterbehilfe ein, in Luxemburg problemlos mit Euthanasie zu bezeichnen. Euthanasie, aus dem Griechischen sinngemäß mit sanftes, möglichst gutes Sterben zu übersetzen, hat, so Jean Huss, mit der Euphemisierung der Massenmorde an Kommunisten, Juden, Behinderten durch die Nazis überhaupt nichts zu tun. Denn Euthanasie geschehe, wie Huss meint, „als Ausweg eines bewusst denkenden Menschen, der keinen anderen Ausweg mehr sieht".
Gegner aller Schattierungen der aktiven Sterbehilfe benutzen jedoch das Nazi-Argument in ihrem Feldzug gegen selbstbestimmtes Sterben - „Bodenlose Frechheit!", kommentiert Jean Huss. Tatsächlich sagten selbst manche Palliativ-Mediziner, die palliative Medizin könne zwar sehr viel, aber nicht alles. Immer wieder schlügen bei einigen Prozent der Schmerzkranken die Schmerz lindernden Mittel wie Morphium oder Barbiturate nur schlecht an oder wirkten nicht. Zudem sei bei manchen Betroffenen der psychische Schmerz über den eigenen Zustand viel schlimmer als der körperliche Schmerz. So zum Beispiel, wenn man sich nach einem schweren Unfall, bei amyotrophen Lateralsklerosen oder bei Muskelatrophien überhaupt nicht mehr bewegen oder kommunizieren könne. Oder wenn sich bei einem inflammatorischen Brustkrebs in offenen Wunden Maden einnisteten und vermehrten: mitzuerleben, wie der eigene Körper lebendig verrotte. Oder die fürchterliche seelische Pein, Nacht für Nacht Todesangst vor dem Ersticken zu erleben. Diese Menschen sollten selbst ihren Todeszeitpunkt bestimmen, so Huss, „sie brauchen aktive Sterbehilfe".
Ziele: Mehr Transparenz, weniger Missbrauch
Das Ziel der Depenalisierung sei es, mehr Transparenz herzustellen sowie den Betroffenen die Hilfe zur Selbsthilfe zu ermöglichen, medizinisch begründbaren Suizid zu vollziehen. Denn „falsche Euthanasien" geschähen, so Huss, überall. Heimlich und ohne jegliche Transparenz wird in allen Ländern aktive Sterbehilfe geleistet, wie manche Ärzte anonym einräumten. In der Intransparenz des Verbotes jedoch fänden die meisten Missbräuche statt.
Huss vergleicht die Situation mit der Depenalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in den 70ern. Vorher wurden aufgrund der Dominanz der katholischen Kirche und des durch die Kirche durchgesetzten Verbots der selbstbestimmten Mutterschaft die meisten Schwangerschaftsabbrüche illegal durchgeführt, oft mit tödlichem Ausgang für die betroffenen Frauen.
In den Ländern jedoch, in denen bereits mehrjährige Erfahrungen mit der aktiven Sterbehilfe bestehen, in Belgien und Holland, werden sämtliche Vorgänge genauestens dokumentiert und evaluiert. Dokumentiert werden Art der Erkrankung, die mindestens zwei konsultierten Ärzte, die voraussichtliche Lebensdauer, die Art der Schmerzen, ob eine Patientenverfügung vorliege bzw. der/die Betroffene bei vollem Bewusstsein sei und die Entscheidung jetzt fälle, der Prozess der Entscheidung der zuständigen Kommission und der Ort, an dem die Euthanasie durchgeführt werde.
In Belgien kein Verstoß gegen die Bedingungen gemäß Gesetz
Ergebnisse der belgischen Föderalen Kommission zur Kontrolle und Evaluation der Euthanasie, niedergelegt im zweiten Bericht an die legislativen Kammern für die Jahre 2004 und 2005 (Commission Fédérale de Contrôle et d'Évaluation de l'Euthanasie. Deuxième Rapport aux Chambres Législatives, Années 2004 et 2005) gestalten sich beispielsweise wie folgt:
Insgesamt sind für die Jahre 2004 und 2005 in Belgien 742 Fälle von aktiver Sterbehilfe dokumentiert, das macht durchschnittlich 31 Fälle pro Monat. 98% der Betroffen entschieden sich erst in der leidvollen Situation für Sterbehilfe, Männer und Frauen waren etwa gleich verteilt. Die größte Gruppe der Patient/innen war 60-79 Jahre alt, zweitgrößte waren die 40-59jährigen. Die Altersgruppen sowie der Umstand, dass der Tod im Krankenhaus (54%) bzw. zu Hause (39%) und nur zu 5% im Altersheim induziert wurde, entzieht dem Argument der Kirchen, Euthanasie werde missbraucht zur Tötung alter Menschen „gegen ihren Willen", jeden Boden, so Huss. Die Tötung von Menschen gegen ihren Willen sei eindeutig Mord und somit keine Sterbehilfe.
93% der Sterbenden wären kurze Zeit später ohnehin verschieden, so der Bericht der belgischen Kommission weiter, und zwar überwiegend (83%) an Krebs. Als erste beratende Ärzte wurden Spezialisten und Allgemeinmediziner herangezogen (44 bzw.42%), 13% waren in palliativer Medizin ausgebildet. Der zweite Berater war ein Psychiater oder Spezialist (55 bzw. 45%), von 742 Fällen zogen 391 noch einen zusätzlichen ärztlichen Berater hinzu, was für den Prozess nicht obligatorisch war. Zudem wurden insgesamt 294 Palliativteams konsultiert.
Körperlich litten die Sterbenden unter Anderem an Unterernährung, Schmerzen, Blutungen, wiederholten Transfusionen und Lähmungen. Die psychischen Leiden beinhalteten Abhängigkeit, Hoffnungslosigkeit, Verlust der Würde etc.
Die belgische Föderale Kommission zur Kontrolle und Evaluation der Euthanasie kommt in ihrem Bericht zum Ergebnis, dass es keinerlei Anzeichen für irgendeinen Verstoß gegen die Bedingungen gemäß Gesetz gibt - es wies demnach nichts auf einen möglichen Missbrauch des Gesetzes hin. Daher sieht die Kommission keinen Anlass, das Gesetz nachzubessern.
Gegner der Sterbehilfe sind nicht an der Selbstbestimmung des Menschen interessiert
Was nun bringen die Gegner selbstbestimmten Sterbens trotz positiver Erfahrungen im Ausland ins Spiel und warum? Die Deutsche Hospiz Stiftung („Weil Sterben auch Leben ist") befragte 1000 Männer und Frauen zum Thema Palliativmedizin versus aktive Sterbehilfe.
Nachdem die Vorteile der palliativen Medizin beinahe hymnisch ausgemalt werden, aktive Sterbehilfe indessen auch gegen den Willen der Patienten als Alternative präsentiert wird, stellt die Deutsche Hospiz Stiftung die Entweder-Oder-Frage, die selbstredend die Palliativ-Medizin mit 56% zum Gewinner macht (aktive Sterbehilfe 35%, Rest ungeklärt).
Die katholische Kirche bringt gleich Kinder ins Spiel, an denen „auch Euthanasie geübt" wird, so Bischof Elio Sgreccia gegenüber Radio Vatikan. Er fährt fort: Häufig werde der Einwand gemacht, „Sterbehilfe" sei gerechtfertigt, weil der Patient autonom über den eigenen Tod entscheiden solle und über die Weise und den Zeitpunkt des Sterbens. „Nur ist diese Forderung nach Autonomie nicht dasselbe wie die wahre Freiheit. Daher bedeutet die Beendigung des Lebens im Namen der Freiheit in Wahrheit die Zerstörung der Gründe für eben diese Freiheit. Das Leben ist ein Gut, das beschützt und behandelt werden muss, und das losgelassen werden muss im Augenblick des Todes zum Wohle aller."
Verstehe diese Ausführungen wer will. Der wahre Grund des christlichen Selbstverständnisses, welches den Widerspruch auflöst, weshalb ein Papst Kanonen segnen und zugleich gegen Abtreibung und aktive Sterbehilfe sein kann, besteht in der Selbstbestimmung des Menschen über sein eigenes Leben. An dieser ist die Kirche nicht interessiert bzw. sie ist bestrebt, die Selbstbestimmung des Menschen über sein eigenes Leben zu beschränken, wo sie es nur kann - bspw. die sexuelle Selbstbestimmung (mit Hinblick auf den Katechismus der Katholischen Kirche), Arbeitsrecht in kirchlichen Einrichtungen und die Bestimmung über den eigenen Todeszeitpunkt. Jean Huss folgert daraus: „Aus theologischer Weltsicht heraus ist alles von Gott abgeleitet, das Leben ist laut Kirche von Gott geschenkt und gelenkt." Daher habe der Mensch kein Recht auf Selbstbestimmung, dies entspreche dem Dogma der katholischen Kirche. Zudem spiele Machtpolitik eine wichtige Rolle: „Die Kirche kann nur mit Hilfe solcher Dogmen ihre Moralvorstellung über Tod und Leben aufrecht erhalten. Wenn Menschen so blöd sind, das zu glauben, kann die Kirche bestimmen, wo es in der Gesellschaft langgeht. Selbstbestimmung ist in diesem Konzept eine Horrorvorstellung der Kirche."
„Palliative Allmachtsfantasien" der Ärzte
Neben den Kirchen und christliche orientierten Politikern sind es jedoch auch Ärzte, die sich als „Götter in weiß" sehen und deren Verhältnis zu ihren Patient/innen ein patriarchales Selbstverständnis bedeutet. Für diese Ärzte, so Jean Huss, haben Patienten keine Rechte, es sei für sie „unerträglich, dass Patienten Wünsche und Forderungen haben". Diese Ärzte kommen, meint Huss, häufig aus dem katholischen Lager. Manche von ihnen seien so engagiert in ihrer Art der palliativen Schmerzlinderung, dass sie „palliativen Allmachtsfantasien" unterlägen. Sie glaubten, „alles" zu können, Schmerzen komplett wegnehmen zu können. Damit sei Euthanasie für diese Ärzte lediglich ein moralisches Problem und ergo überflüssig. Für Huss ist der palliative Weg „angesichts des Todes sicherlich kein schlechter Weg. Er kann vielen Menschen helfen und sollte unterstützt werden. Aber ich bin gegen jeglichen palliativen Dogmatismus und gegen palliative Allmachtsfantasien".
Jean Huss plädiert für freies Denken, freies Entscheiden: „Jeder Mensch sollte das Recht haben, seinen eigenen Weg zu gehen!" Er ist überzeugt davon, dass auch deutsche Grüne, wenn sie sich wirklich intensiv mit dem Thema aktive Sterbehilfe beschäftigen würden, zu einer eindeutigen Unterstützung der Depenalisation der Sterbehilfe in Deutschland kämen. Jean Huss: „Ich wäre gerne bereit, dazu beizutragen."
Doch zunächst steht am 19. Februar die Abstimmung im Luxemburger Parlament vor der Tür. Die Aussichten sind nicht eindeutig, es wird voraussichtlich an den Stimmen einiger Mitglieder der LSAP, der Sozialistischen Partei, liegen, ob die Abstimmung pro oder kontra Depenalisierung der Euthanasie ausgeht.
Fiona Lorenz