Begegnung der besonderen Art

Explosive Stimmung

Angesichts der explosiven Stimmung im Saal, bemühte sich der folgende Redner Christophersen, der die Position der evangelischen Theologie vertrat, keinen neuen Anlass zur Unruhe zu geben. Er hob zunächst darauf ab, dass es in der evangelischen Kirche eine hoch entwickelte Streitkultur gäbe und dass der evangelische Glaube nichts mehr mit dem ursprünglichen Verkündigungspathos zu tun hätte. Er bezweifelt allerdings, dass es möglich sei, die Religion durch Kritik zum Verschwinden zu bringen. Er bekenne sich zum alten Humanismus und das genüge ihm vollständig. Schließlich wies er anhand einer Rezension von Dawkins „Gotteswahn“ darauf hin, dass häufig Atheisten die Theologie kritisieren würden, obwohl sie keine tieferen Fachkenntnisse besäßen. Ein Theologe würde ja auch nicht ein fremdes Fachgebiet kritisieren. Als weiteres Argument gegen den Atheismus erwähnte er noch die albtraumhafte Verlorenheit des Menschen im All, ohne den Trost und die Geborgenheit des Glaubens an einen Gott.

Diskussion über Respekt

In der nachfolgenden Diskussion wurde noch einmal die Frage aufgeworfen, wie man vor einem Menschen Respekt haben kann, aber gleichzeitig nicht vor dem, was er denkt. Schmidt-Salomon ging in diesem Zusammenhang noch mal auf die Vorwürfe von Kissler bezüglich der Verleihung des ersten Blasphemie-Preises ein. Er meinte, dass viele Gläubige eine regelrechte Phobie gegen jede Kritik an ihrem Glauben hätten. Es dürfe aber nicht sein, das es für den Glauben Sonderrechte gibt. Man müsse auch über Religion Karikaturen verbreiten dürfen und man solle Kritik als Geschenk betrachten.

Christophersen meinte zu dem Thema, man dürfe nicht ohne Not die Grundsensibilität der Religionsgemeinschaften stören. Kissler wiederholte seine Ansicht, dass heilige Gefühle nicht verletzt werden dürften. Schmidt-Salomon verwies darauf, dass insbesondere bei dem muslimischen Bevölkerungsanteil in unserem Land die Not zuweilen eben doch recht groß sei, besonders was die Rechte der Frauen anbetrifft, und dass die Parole „leben und leben lassen“ in Bezug auf den Umgang mit diesen Problemen völlig falsch wäre. Man müsse sich einmischen und dabei auch unorthodoxe Wege gehen. So habe z.B. die gbs aktiv die Gründung des Zentralrats der Ex-Muslime unterstützt. Er selbst wurde seinerzeit von den Gegnern als jüdischer Agent bezeichnet und erhalte noch heute Morddrohungen. Dies alles zeige, wie notwendig Religionskritik sei.

Die Moderatorin bemerkte, dass sich die gbs generell in ihren Schriften gegen den Totalitarismus ausspreche und fragte, ob die gbs das nicht zu sehr mit dem religiösen Fundamentalismus verwechseln würde. Schmidt-Salomon meinte daraufhin, dass der Totalitarismus häufig in größenwahnsinnigen Glaubenssystemen seinen Ursprung habe. Davon abgesehen sei es zuweilen schwer auszumachen, woran Christen nun eigentlich noch glauben. Christophersen sagte daraufhin, das sei eine pietistische Frage. Die Glaubensgrundlagen seien nur schwer zu durchschauen und individuell unterschiedlich.

Kissler glaubt aus den Texten der gbs herauslesen zu können, dass es sich beim Neuen Atheismus um eine politische Bewegung handelt, denn dort gäbe es eindeutige Stellungnahmen zur aktiven Sterbehilfe, zum Embryonenschutz und zur Abtreibung. Weiterhin sieht er keinen Trost in den Schriften der gbs, der Tod würde ausgeklammert. Er kritisierte auch, dass im „Manifest des evolutionären Humanismus“ alle Religionen als Wahnsysteme dargestellt würden. Dabei würde übersehen, dass das Christentum eine Evolution durchgemacht habe und dass es eine hermeneutische Kritik der Bibeltexte gäbe.

Danach folgten einige Fragen aus dem Publikum. Es wurde noch einmal das Prinzip Eigennutz angesprochen. Schmidt-Salomon machte klar, dass Altruismus nicht im Widerspruch zum Eigennutz stehe, während Kissler den Eigennutz als völlig untauglich für die Grundlage einer universellen Ethik ansieht. Als Beispiel nannte er die Finanzkrise, die offensichtlich auf den Eigennutz der Beteiligten zurückzuführen wäre.

Es meldete sich noch eine Frau, die in der Nähe von München wohnt und darauf hinwies, dass sie und ihre Familie von der katholischen Kirche diskriminiert werden. So wurde einer ihrer Söhne, der sich auf eine Stelle in der Behindertenarbeit bei einem kirchlichen Arbeitgeber beworben hatte, abgelehnt, weil er nicht Mitglied der Kirche ist.

Beim seinem Schlusswort bewertete Christophersen den Verlauf der Diskussion als recht niveaulos. Im nachfolgenden privaten Gespräch mit Schmidt-Salomon waren wir gemeinsam der Ansicht, dass diese Aussage wohl professoraler Arroganz entsprungen ist. Nach meiner Einschätzung war Christophersen wohl etwas frustriert, weil ihm Schmidt-Salomon die Schau gestohlen hatte und weil seine akademischen Spitzfindigkeiten auf keine große Begeisterung beim Publikum gestoßen waren. Bei einem weiteren Gespräch mit der Moderatorin Höcht-Stöhr fragte Schmidt-Salomon noch einmal nach den evangelischen Glaubensinhalten. Sie vertrat dazu eine ähnliche Position wie Christophersen. Ich fragte dann noch, ob man denn an eine unsterbliche Seele glaube. Sie verneinte das, meinte aber einschränkend, dass die gesamte Information über unsere Existenz von Gott gespeichert würde und wir auf diese Weise nicht restlos verloren gehen würden. Aha, dachte ich mir, wenn das so ist, dann wäre es ja für mich als gnadenloser Atheist das Beste, wenn ich weiterhin Artikel für den hpd schreibe und mich auf diese Weise unsterblich mache, denn ich bin im festen Glauben, dass der hpd ewig existieren wird.

Insgesamt fand ich den Abend sehr gelungen. Die Anliegen der gbs wurden von Schmidt-Salomon sehr überzeugend und auf eine freundliche Weise dargestellt. Bei den Gegnern fehlten entweder die guten Argumente oder sie waren so akademisch, dass sie nicht so recht ernst genommen wurden.

Bernd Vowinkel