Zweifel und Glauben

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Foto: Gerd Lüdemann

GÖTTINGEN. (hpd) Zur Frage der Wissenschaftsfreiheit und der Religionsfreiheit für Professoren der Theologie an deutschen Universitäten. Ein Vortrag, der die „Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur Weiterentwicklung von Theologien an deutschen Hochschulen“ um eine persönliche Erfahrung ergänzt.


Von Gerd Lüdemann*)

Ich wurde zu diesem Vortrag eingeladen, weil ich infolge von Zweifeln am christlichen Glauben meine Professur für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Universität Göttingen verloren habe. In einem ersten Teil schildere ich daher kurz den Fall und gebe ich den Eindruck wieder, den ich bei den Auseinandersetzungen vom inneren Zustand der Evangelischen Kirchen gewonnen habe. In einem zweiten Teil beschreibe ich, worin traditioneller christlicher Glaube von jeher besteht und warum wirklich Zweifel an ihm nötig ist. In einem dritten Teil erzähle ich, wie weithin vergessene frühchristliche Texte mir geholfen haben, eine religiöse Weltanschauung zu gewinnen, die die Ergebnisse der modernen Bibelkritik voraussetzt.

1. Einführung

Alle, die als Geistliche in den Dienst einer evangelischen Kirche treten wollen, müssen bei der Ordination ein Gelöbnis ablegen. In der für niedersächsische Kirchen geltenden Fassung lautet es: „Ich gelobe, das Evangelium von Jesus Christus, wie es in der Heiligen Schrift gegeben und im Bekenntnis der evangelisch-lutherischen Kirche bezeugt ist, lauter und rein zu predigen.“ Zum Bekenntnis gehört auch das Apostolikum, das Gottesdienstbesucher jeden Sonntag sprechen.

Nun rufen biblische Geschichten wie die von der Jungfrauengeburt oder der Auferstehung Jesu, auf die sich das Apostolikum bezieht, bei vielen Zeitgenossen nur noch Kopfschütteln hervor. Aber auch weite Teile der theologischen Zunft verstehen diese Glaubensartikel nicht mehr historisch, sondern als Mythen. Angehende Geistliche erfahren bei der Vorbereitung für ihren Dienst, also während des Theologiestudiums, dass das Evangelium von Jesus Christus keine historische Basis hat; sie lernen, an den geschichtlichen Grundlagen ihres späteren Gelöbnisses zu zweifeln.

Doch machen die Bischöfe und kirchliche Behörden es den künftigen Pastoren leicht. Nach der Ordination werden diese nicht mehr nach ihrer Rechtgläubigkeit gefragt – es sei denn, sie bekunden öffentlich ihren Glaubenszweifel. So verlor der Hamburger Pastor Dr. Paul Schulz 1979 wegen seiner Kritik an Schrift und Bekenntnis, auf die er ordiniert worden war, seine Anstellung.

Mir wäre es als Theologieprofessor in Göttingen 1998 fast ähnlich ergangen. Die Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen hatte nämlich unter Hinweis auf meine Zweifel an den christlichen Hauptdogmen die Entlassung aus dem Staatsdienst gefordert. Doch verhinderte das Beamtenrecht den Erfolg des kirchlichen Ansinnens.

Allerdings benannte der Präsident der Universität Göttingen meine Professur für Neues Testament um; ich wurde Professor für Geschichte und Literatur des frühen Christentums, und zwar ohne Prüfungsberechtigung. Erst kürzlich hat das Bundesverfassungsgericht einen länger als ein Jahrzehnt währenden Rechtsstreit in dieser Angelegenheit beendet und die Entscheidung der Universität Göttingen bestätigt, dass meine Entfernung aus den theologischen Studiengängen rechtens gewesen sei. (Begründung) Ein Wissenschaftler, der die Kernsätze des Christentums bezweifle, genüge nicht mehr den kirchlichen Eignungsanforderungen. In Deutschland könne Theologie nur in Verbindung mit einer Religionsgemeinschaft gelehrt werden; ausschließlich Personen, die innerlich an das Bekenntnis gebunden sind, dürfen dieses Fach unterrichten. Theologie sei eine an das Bekenntnis gebundene Glaubenswissenschaft. Mein Einwand, dass der Begriff „Glaubenswissenschaft“ ein Widerspruch in sich selbst sei, hatte juristisch keine Relevanz.

Insider wissen: Diese harte Linie wird innerhalb von Kirche und Theologie nur nach außen vertreten. Kirchliche und theologische Funktionäre haben während des Studiums ja gelernt, dass die meisten biblischen Erzählungen ohne historischen Wert sind. Es handelt sich um nachträgliche theologische Deutungen. Eben diese kirchlichen und theologischen Funktionäre sind daran gewöhnt, altkirchliche Bekenntnisse wie eine Monstranz vor sich her zu tragen, als ob sie glaubten, was in ihnen steht. Der Kern des modernen evangelischen Christentums ist weich geworden bis zur völligen Beliebigkeit und Inhaltsleere. Beim Thema Gott – so scheint es – ist dann alles möglich, sogar dass er nicht existiert. Insofern hat der Zweifel am Dogma innerhalb von Kirche und Theologie den Sieg davongetragen.

Indes bleibt es dabei, dass im Konfliktfall das Bekenntnis zu exotisch anmutenden Glaubenssätzen von der Jungfrauengeburt bis zur Auferstehung Jesu zum Kriterium dafür werden, ob Geistliche oder Theologieprofessoren rechtgläubig sind oder nicht. Kirchenjuristen und höchste Verwaltungsrichter sind ernsthaft dieser Auffassung. Dies zeigt eine Durchsicht der umfangreichen Akten zu meinem Rechtsstreit. Diese Personengruppen meinen offenbar, das Theologiestudium sei Katechismusunterricht, Repetitorium rechtgläubiger Dogmatik und nicht Schule auch des historischen Zweifels.

Die Folge dieses Zustandes ist eine innere Spaltung der in Kirche und Universität tätigen Amtspersonen. Die doppelte Wahrheit – eine für Studierte, eine für Gemeinde und Öffentlichkeit – lähmt die Frage nach dem, was denn am christlichen Glauben wirklich dran ist.

Wir sehen: Taktik und Machtstreben beherrschen das Feld, wo es um sachgemäße Auseinandersetzungen über die historische Realität von Bekenntnisaussagen geht. Daher sei zunächst einmal darlegt, was überhaupt der Kern der überlieferten christlichen Lehre ist und warum Anlass besteht, daran zu zweifeln. Danach plädiere ich, ausgehend von neuen Texten, die nicht im Neuen Testament stehen, für eine andere Sicht des frühen Christentums. Dieses Plädoyer stellt sich dem Befund, dass die geschichtliche Grundlage des traditionellen Glaubens und damit dieser selbst zerstört ist. Zugleich macht es evident, dass frühchristliche Texte auch für Zweifler eine positive Bedeutung haben können.