LUXEMBURG. (hpd) Volker Sommer, Professor für evolutionäre Anthropologie an der UCL in London, war von der Luxemburger Vereinigung Liberté de Conscience zum Vortrag geladen worden und präsentierte dem aufmerksamen Publikum seine lebendigen und spannenden „Bekenntnisse eines Primatologen“.
Nicht nur unsere Körper – die Hardware – zeigen: Wir sind Primaten, sondern auch in Bezug auf die Software ähneln wir uns sehr, begann der Forscher seine Ausführungen. Für ihn sei es ein schönes Gefühl, sagen zu können: „Ich bin ein Menschenaffe.“ Auch andere Affen könnten im Gegenzug sagen, sie seien wie wir. Seine Erkenntnisse gewinnt der Freilandprimatologe unter anderem in Indien, Thailand, Westafrika und Südamerika und versucht, aus diesen Erkenntnissen eine Art Philosophie zu entwickeln.
Aus vormaligen, cartesianischen Unterscheidungen zwischen „Mensch“ und „Tier“, wie „Bewusstsein“, „Seele“ oder „freier Wille“ (die der Mensch angeblich habe, das Tier nicht), sei eine „Sonderstellungsphilosophie“ entwickelt worden, nach der nur die Menschen sprechen könnten oder Kultur hätten. Sein Ansatz dagegen sei der eines Gradualisten, der nach kleinen Übergängen sucht und sich freut, wenn er sie findet. In der Natur ist es schwierig, Kategorien zu finden und anzuwenden, auch wenn Kategorisierungen der Kommunikation dienen. Aber: Was ist ein Pferd, Esel, Muli, Maultier? Was ein Mann, was eine Frau? In 95% der Fälle stimmen die Kategorien, manchmal sind aber Unterscheidungsmerkmale schwer zu formulieren.
In der jüngeren Forschung an Menschenaffen, d.h. an Schimpansen, Bonobos, Gorillas und Orangutans, werden Menschen vertierlicht (zoomorphisiert) und Tiere vermenschlicht (anthropomorphisiert). Daraus lassen sich, so GBS-Beiratsmitglied Sommer, gute Arbeitshypothesen für das Denken in Übergängen generieren. Schließlich sei der genetische Unterschied zwischen Menschen und Schimpansen kleiner (nämlich 0,6%) als der zwischen Männern und Frauen (4%). Damit leitete der Referent über zur „Panthropologie“, angelehnt an die Gattungsbezeichnung für Schimpansen – Pan –, die den Schwerpunkt seines Vortrags bilden sollten.
Sinnvolle kulturelle Besonderheiten
Kultur haben auch Schimpansen: Je nachdem, wo sie leben, unterscheidet sich die Bevölkerung in ihren Gewohnheiten. Eine spezielle Praxis der Blattzubereitung gegen Durchfallerkrankungen und Parasiten dient außerdem nachgewiesenermaßen der Selbstmedikation bei Schimpansen, Bonobos oder Gorillas. Anhand von Originalwerkzeugen und kurzen Filmsequenzen über Schimpansen im Kongo und in Nigeria zeigte Volker Sommer auf sofort nachvollziehbare Weise den unterschiedlichen – und teilweise sehr ausgeklügelten, längerfristig geplanten – Gebrauch von Werkzeugen sowie kulturelle Besonderheiten der Nahrungsaufnahme und -präferenzen. Beispielsweise zerfasern Schimpansen mit ihren Zähnen das Ende eines Stockes, den sie bereits mitbringen, um mit der entstehenden Bürste einen Honigstock oder lebende Insekten aus dem Bau zu fischen – der Vorgang wird als „extractive foraging“ bezeichnet. Schimpansen führen auch mit einem harten Stock Probebohrungen am Termitenbau durch, um die beste Termitenquelle ausfindig zu machen und setzen dann den Bürstenstock ein. Dieses Verhalten beobachten die kleinen Schimpansen bei den erwachsenen und ahmen es nach, das heißt, das Verhalten wird sozial weitergegeben.
Je nach Region oder Schimpansenstamm essen die einen nur Termiten, die anderen nur Ameisen, manche Stämme beide Insektenarten. Abweichungen in der Art der Nahrungsaufnahme existieren wie bei Menschen, die beispielsweise je nach Region Reis mit Stäbchen, Gabel oder mit der Hand zu sich nehmen. Die Unterschiede in den Nahrungsgewohnheiten geben uns eine soziale Identität, erklärte der Referent. Diese Gewohnheiten lassen erkennen, wer zu welcher Gruppe gehört und kann bis hin zu Ausrottungskriegen unter Schimpansenstämmen führen, die für ihre eigene Gruppe Ressourcen sichern wollen. Den Umstand, dass nur die Affenmännchen jagen, die Weibchen dabei zuschauen (denn Sammeln ist einfacher und ergiebiger als das aufwändige Jagen), deutete Volker Sommer mit den Worten: „Ach, ist das nicht ein wunderbarer Jäger! Der muss gute Gene haben.“