ERFURT. (hpd) Eine am 23. Februar 2010 abgeschlossene Kooperationsvereinbarung wirft die Frage auf, wer wohl das Sagen im Freistaat Thüringen hat: Die Regierung oder die evangelische Kirche?
Das beginnt schon mit der Überschrift: Da schließt nicht etwa das Ministerium für Wissenschaft, Bildung und Kultur mit der Evangelischen Akademie Thüringen (EAT) eine solche Vereinbarung ab, sondern die kirchliche Institution eine mit dem Thüringer Ministerium. Und darin geht es nicht etwa um innerkirchliche Angelegenheiten, sondern um die Deutungshoheit in öffentlichen Schulen. Diese Vereinbarung liegt dem HVD Thüringen im Wortlaut vor.
Die evangelische Akademie dekretiert hier: Politische Bildung als Angebot zur Demokratieerziehung und Grundwerteorientierung braucht Philosophieren als Orientierungshilfe in einer sich wandelnden Welt genau so wie die Auseinandersetzung mit der Geschichte im Rahmen der historisch-politischen Bildung. Dabei können zusätzliche Bildungsangebote für Thüringer Schulen verstärkt zur Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler beitragen...
Die EAT bietet Thüringer Schulen an, das projektgebundene Bildungsvorhaben „Denkwege. Philosophische Projekttage“ durchzuführen. Im Rahmen dieses Vorhabens sollen Schülerinnen und Schüler ermutigt und befähigt werden, über ethische, politische, kulturelle und allgemeine Themen zu philosophieren. Das Vorhaben ist ein eigenständiges Angebot der EAT in Kooperation mit dem philoSOPHIA e.V. als einem Träger der außerschulischen Jugendbildung.
Ein weiteres Angebot der EAT sind die „Denkwege zu Luther“ im Rahmen der Reformationsdekade Luther 2010 bis 2017. Sie sollen ethische, religionskundliche, historische und politische Themenkreise im Zusammenhang mit Reformation, Humanismus und ihren Folgen vor allem in den Klassenstufen 7 bis 12 (13) der allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen durch das Philosophieren verstehbar und nachvollziehbar machen und in ihrer Bedeutung für unsere Zeit erschließen
In gleicher Weise bietet die EAT den Thüringer Schulen „Projekttage zur DDR-Geschichte“ an. Im Rahmen dieses Angebotes sollen Schülerinnen und Schüler sich mit der Geschichte, Politik, Kultur und dem Alltag in der DDR befassen und kritisch auseinandersetzen...
Die Angebote richten sich an alle Schülerinnen und Schüler im Freistaat Thüringen. Sie sollen, den Vorgaben der Thüringer Lehrpläne und den Empfehlungen für fächerübergreifende Themen vergleichbar, günstige Lernsituationen schaffen und werden in enger Zusammenarbeit mit den Lehrerinnen und Lehrern an den Schulen auf der Grundlage der Konzeptionen entwickelt und realisiert...“ Diese Vereinbarung ist rückwirkend zum 1. Januar 2010 in Kraft getreten.
Freude über kirchliche "Richtungsvorgabe"
Der zuständige Minister, der evangelische Pastor Christoph Matschie (SPD) hat seine Freude über die kirchliche „Richtungsvorgabe“ zum Ausdruck gebracht: „Demokratieerziehung und Wertevermittlung sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dabei müssen wir vor allem unsere Kinder im Blick haben, denn sie sind unsere Zukunft. Die Unterstützung der Evangelischen Akademie Thüringen bei diesem wichtigen Vorhaben kann nicht hoch genug geschätzt werden. Mit großer Erfahrung eröffnet sie unseren Schülern neue Blickwinkel auf die Geschichte.“
Dazu erklärt der Vorsitzende des HVD-Landesverbandes Thüringen in einer ersten Stellungnahme: „Mir bleiben einfach die Worte weg. Zum einen dekretiert eine kirchliche Einrichtung, die nur eine Minderheit der Thüringer vertritt, dem Gemeinweisen und den öffentlichen Schulen die Deutungshoheit über politische Bildung, Geschichte, Philosophie, Ethik und Wertevermittlung. Zum anderen entsetzt mich die ministerliche Gleichstellung von „Gesamtgesellschaft“ und kirchlich. Ich kann nur hoffen, dass der Minister recht bald auch die Zusammenarbeit mit anderen, vor allem säkularen Bildungsträgern sucht. Der HVD Thüringen ist gerne bereit, schulische Projekte der Demokratie- und Wertevermittlung zu unterstützen, ausgehend von einer weltanschaulich neutralen Position. Allerdings wird der HVD gegenüber demokratischen Institutionen des Freistaates keinerlei Richtlinienkompetenz beanspruchen.“
SRK