BONN. (hpd) Einen großen Teil ihres Ansehens beziehen die Kirchen aus ihrer (angeblichen) sozialen Tätigkeit. Künftig wird man jedoch legitim argumentieren dürfen, dass von den Kircheneinnahmen nur etwa 5 % direkt für soziale Zwecke ausgegeben werden.
Ein Kommentar von Matthias Krause
Einer der besten Finanzexperten der Katholischen Kirche, der ehemalige Generalvikar des Erzbistums Köln und zeitweise Caritas-Direktor Norbert Feldhoff, hatte 1990 in der Kirchenzeitung des Erzbistums Köln erklärt: „Vielfach geht man von falschen Tatsachen aus und operiert mit Scheinargumenten. So wird der Kirche immer wieder unterstellt, sie benötige die Kirchensteuer, um ihre umfangreiche Sozialarbeit zu finanzieren. Die Gegner der Kirchensteuer haben mit diesem Argument leichtes Spiel, weil es in der Tat nicht stimmt und meines Wissens auch noch nie von einem Kenner der Sache so vorgetragen worden ist. Wie wird die Sozialarbeit der Kirche tatsächlich finanziert, und welche Rolle spielt dabei die Kirchensteuer?
Die meisten Sozialeinrichtungen ‘verdienen’ die Mittel, die sie benötigen, als Leistungsentgelte (beispielsweise über Pflegesätze), und die Finanzierung ist durch staatliche Kostenträger weithin gesetzlich geregelt. [...] Kirchliche soziale Einrichtungen werden nach denselben Regeln finanziert wie die der Kommunen. Trotz der klaren gesetzlichen Bestimmungen muß allerdings auch hier in manchen Fällen das Bistum aus Kirchensteuermitteln helfen. Kaum eine Kapelle in diesen Sozialeinrichtungen wäre ohne Kirchensteuerzuschuß finanzierbar.”
Seit den neunziger Jahren versuchen Kirchenkritiker und Kritiker der Kirchensteuer abzuschätzen, welcher Anteil der Kirchensteuern für soziale Zwecke ausgegeben wird. Umgekehrt versuchen die Kirchen, diese Information so gut es geht zu verschleiern, da sie gerne – freilich ohne Nennung des geringen Anteils – auf ihr soziales Engagement verweisen und genau wissen, dass es genau dieser Irrtum ist, der viele Leute weiterhin ihre Kirchensteuer zahlen lässt. Falls den Kirchenmitglieder bekannt wäre, dass die Kirchen tatsächlich keine „Sozialkirchen“ sind, würde rund die Hälfte der Kirchenmitglieder aus der Kirche austreten.
Die „10 Prozent“-Legende
So schrieb Gerhard Rampp vom Bund für Geistesfreiheit (bfg) Augsburg bereits vor Jahren: „Nur 8 % der Kirchensteuern kommen sozialen Zwecken zu. [...] Die Daten wurden von kompetenten kirchlichen Stellen nicht bestritten, in den letzten Jahren sogar vielfach bestätigt, z.B. von WiSo (ZDF, 4.3.92), Monitor (ARD, 11.5.92 u. 24.2.94), dem Spiegel (10.1.94 u. 6.3.95), Focus (30.12.96) sowie innerkirchlich in der Kirchenfunksendung Die Kirche und die Kohle (BR III, 28.5.92), in Weltbild (11.1.91), in der Kirchenzeitung der Erzdiözese Köln (21.9.90) durch den Finanzdirektor und Generalvikar Feldhoff, in Doppelpunkt (ZDF, 29.4.93) durch den Paderborner Theologieprofessor Eicher, vom Kirchenfinanzexperten Peter Wingert in der Fernsehdokumentation Die Wohlfahrts-GmbH (ARD, 3.11.94), in der Dokumentation Die Kirche und ihr Geld vom Münchner Evangelischen Kirchentag vom 26.5.90 u.a. In den letzten Jahren vermieden die Kirchen offizielle Angaben, um das Thema aus der Diskussion zu bringen, doch alle Andeutungen ergaben übereinstimmend, dass der Ausgaben-Anteil für Soziales seit 1995 sogar noch gesunken ist (vgl. Panorama, 17.10.2002).“
In Anbetracht der großen Ungewissheit hielt ich bisher die „Hausnummer“ 10 Prozent für gerechtfertigt.
Neue Info: 5 Prozent
Nun schrieb Wolfgang Thielmann letzte Woche im Rheinischen Merkur: „Zwar werden nur etwa fünf Prozent der Kircheneinnahmen direkt für soziale Zwecke ausgegeben, besonders bei den Einrichtungen für Kinder. Doch das eigene Geld der Kirchen hilft, Mittel im Sozialstaat günstig und effizient einzusetzen. Eine Kirchengemeinde, die einen Kindergarten betreibt, steckt unendlich viel Planungsarbeit und Engagement in ihr Projekt, auch wenn zwei Drittel der Betriebskosten von der öffentlichen Hand aufgebracht werden. Jeder Kirchensteuer-Euro verdreifacht sich, sagt eine Faustformel. Kirchensteuern sind ein volkswirtschaftliches Sparprogramm. Caritas und Diakonie können ihre Einrichtungen günstiger führen als öffentliche Betreiber. Und sie können leichter Ehrenamtliche gewinnen.“
Belastbare Quelle
Thielmann weiß, wovon er redet: Er ist Theologe, war Pastor einer evangelischen Freikirche, arbeitete für die evangelikale Nachrichtenagentur idea, war dann Sprecher des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche und leitet jetzt beim Rheinischen Merkur das Ressort „Christ und Welt“.
Der Rheinische Merkur wird von der Katholischen Kirche stark subventioniert: In einem Artikel beim Goethe-Institut vom Mai 2006 heißt es: „Seit mehr als 30 Jahren wird er gestützt von der katholischen Kirche. 1974 traten mehrere Bistümer, 1976 schließlich die Deutsche Bischofskonferenz in das Gremium der Herausgeber ein. Von sieben Millionen Euro jährlichen Subventionen ist die Rede, eine Zahl, die offiziell nie dementiert wurde. (...) Das finanzielle Engagement der deutschen Bischöfe hat natürlich einen Grund: Im Rheinischen Merkur können sie ihnen genehme Informationen bzw. Behauptungen zitierfähig unter die Leute bringen – insbesondere unter Politiker. (Der Artikel von Herrn Thielmann ist übrigens das beste Beispiel dafür.)
Der Mit-Herausgeber des Merkur, Wolfgang Bergsdorf, sagte 2008 in einem Interview: „Das Blatt [...] ist die einzige Wochenzeitung in Deutschland, die als säkulares Medium den Kirchen zugewandt ist. Die katholische Kirche, die das Blatt im Wesentlichen subventioniert, und die evangelische Kirche kommen darin mit ihren Anliegen, mit ihren Informationen in gleicher Weise zu Wort. Das ist etwas, das man in keinem anderen Medium in Deutschland findet. Deswegen ist nach meiner Einschätzung, nach meinem Urteil der “Rheinische Merkur” ziemlich einmalig und auch unverzichtbar.“
Damit wird man künftig legitim argumentieren dürfen, dass von den Kircheneinnahmen nur etwa 5 Prozent direkt für soziale Zwecke ausgegeben werden. Der Anteil an den Kirchensteuern, die ja nur einen Teil der Kircheinnahmen dürfte noch entsprechend geringer sein.
Kirchenaustritte entlasten die Allgemeinheit
Bereits mit der bisherigen Angabe von 10 Prozent ergab sich der Effekt, dass die Allgemeinheit finanziell von Kirchenaustritten profitiert: Denn während von der gezahlten Kirchensteuer nur 10 Prozent der Allgemeinheit zugute kommen, fließen von der eingesparten Kirchensteuer im Schnitt etwa 33 Prozent an den Staat – weil die gesparte Kirchensteuer ja besteuert wird.
Mit der neuen Angabe von 5 Prozent führt das dazu, dass von einem Euro gezahlter Kirchensteuer rechnerisch etwa 5 Cent direkt für soziale Zwecke ausgegeben werden, während von einem „gesparten“ Kirchensteuer-Euro etwa 33 Cent der Allgemeinheit zugute kommen.
Einem Beispiel der EKD zufolge könnte der Bundesfinanzminister (wenigstens bei Gutverdienern) – ähnlich wie der Rheinische Merkur für den Abschluss eines Abonnements – ein Netbook als Prämie für den Kirchenaustritt ausloben und immer noch von den Kirchenaustritten profitieren.
Thielmanns „Faustformel“
Thielmann erwähnt aber auch eine „Faustformel“, derzufolge sich jeder Kirchensteuer-Euro „verdreifachen“ soll. Selbst, wenn das so wäre, würde die Allgemeinheit immer noch von Kirchenaustritten profitieren, denn in dem obigen Beispiel würden dann wertmäßig 15 Cent aus der Kirchensteuer sozialen Zwecken zugute kommen, während dem nach wie vor die 33 Cent gegenüber stehen, die der Staat von der gesparten Kirchensteuer profitiert – und die er zur Kompensation der kirchlichen Zahlungen einsetzen könnte, ja müsste.
Wenn jetzt eingewendet wird, dass der Staat die „kirchenaustrittbedingten“ Steuern aber nicht – oder jedenfalls nicht komplett – für soziale Zwecke einsetzt (hier im engeren Sinne gemeint, denn grundsätzlich entlastet ja jeder vom Staat zusätzlich eingenommene Euro die Allgemeinheit), so trifft dieser Einwand die falschen: Die Politik muss nämlich diesen Umstand endlich zur Kenntnis nehmen und entsprechend handeln. Es ist nicht die Schuld der Konfessionsfreien, wenn die Mehreinnahmen des Staates aufgrund von Kirchenaustritten nicht zum Ausgleich für abnehmendes Engagement der Kirchen bei sozialen Dienstleistungen eingesetzt werden.
Diese Kritik also bitte nicht an mich, sondern an unsere Volksvertreter.