Mörderische Identitäten

(hpd) Es sind vor allem die Erfahrung seines eigenen Lebens, die den Autor darüber zum Nachdenken bewegten, was dazu führen konnte, dass sich der Islam heute in einer Weise darstellt, die nicht nur, aber vor allem den Westen ängstigt. Dieses Nachdenken in Form des Essays „Mörderische Identitäten“ nach-zu-lesen ist genussvoll und lehrreich, wenn auch nicht immer unwidersprochen.

Amin Maalouf geht von der unbedingt richtigen Prämisse aus, dass die Identität eines Mensch sich aus verschiedenen Zugehörigkeiten zusammensetzt, dieser sich zum Beispiel als Angehöriger einer Nationalität, einer Glaubensgemeinschaft, einer Fangruppe oder Ähnlichem selbst begreift; doch immer in seiner Gänze zu betrachten ist. Und sich auch nach Außen als Gesamtheit seiner Zugehörigkeiten, also: seiner Identität, darstellt. Dieser Gedanke ist mir sehr vertraut; habe ich doch auch große Probleme, wenn ich jemanden über sich sagen höre: "Ich als... meine dies oder das.", denn das impliziert, dass der gleiche Mensch in einer anderen Zugehörigkeit sich selbst widersprechen könnte.

Interessant an Maaloufs Idee der Identitäten ist jedoch die Schlussfolgerung, die er daraus zieht. "Ich habe bislang stets die Tatsache betont, dass sich die Identität aus vielfältigen Zugehörigkeiten zusammensetzt [...] Oft neigt man übrigens dazu, sich gerade in seiner am stärksten angegriffenen Zugehörigkeit wiederzuerkennen [...] Die betreffende Zugehörigkeit - Hautfarbe, Religion, Sprache, Klasse etc. - beherrscht dann die gesamte Identität. Diejenigen, die sie miteinander teilen, finden sich zusammen, werden aktiv, stärken sich gegenseitig den Rücken und geben "der anderen Seite" die Schuld." (Seite 27) Hier trifft sich Maaloufs Einschätzung mit der derer, die davon ausgehen, dass sich in einer immer fremder werdenden Welt Gruppen (Zugehörigkeiten) finden, die dem Einzelnen Halt zu geben versprechen. Und das erklärt auch, dass sich fundamentalistische Strömungen innerhalb der Religionen solch eines erstaunlichen Zulaufs erfreuen können.[1] Der letzte Satz des Zitats lässt mich auch an Navid Kermani denken, der schrieb, dass die in Europa lebenden Muslime den Eindruck haben (und haben müssen), "niemals dazugehören zu können - niemals gemeint zu sein, wenn ein Staatsführer oder Fernsehkommentator "wir" sagt." [2]

Wenn der einzige Zusammenhalt einer Community darin besteht, sich durch eine gemeinsame Religion von der restlichen (Mehrheits)Gesellschaft zu unterscheiden, kann gerade diese vormals nicht unbedingt wichtige Zugehörigkeit zur bestimmenden werden. Und damit zur bestimmenden Identität.

Damit korrespondiert, dass Einwanderer aus sog. islamischen Ländern in dem Moment, in dem sie es (zum Beispiel) mit einer deutschen Behörde zu tun bekommen, zu Muslimen werden. Völlig unabhängig, ob der Islam im kulturellen Leben des Individuums eine Rolle gespielt hat oder nicht. [3] Diese – staatlich verordnete – Abgrenzung und auch die Solidarität der Muslime untereinander, bei der sich die in Europa lebenden mit den bekriegten und unterdrückten Glaubensbrüdern in Nahost und Asien solidarisieren, ergeben verheerende gedankliche Konsequenzen. Gepaart mit einer Ideologie und Lehre aus dem Mittelalter ergibt das eine explosive Mischung, wie 9/11 und die fast täglichen Selbstmordattentate im Irak aber auch in der Londoner U-Bahn oder in Spanien zeigen.

Zwar schreibt Maalouf: "Ich denke nicht, daß irgendeine ethnische, religiöse, nationale oder sonstige Zugehörigkeit zu Mordtaten prädestiniert." fährt dann aber fort: "Man braucht nur die Ereignisse der letzten Jahre Revue passieren zu lassen, um festzustellen, daß jede menschliche Gemeinschaft, die sich nur irgendwie gedemütigt oder in ihrer Existenz bedroht fühlt, die Tendenz zeigt, Individuen hervorzubringen, die die schlimmsten Greuel verüben, in der Überzeugung, im Recht zu sein und das Himmelsreich und die Bewunderung der Ihren zu verdienen." (Seite 30)