Berlin. (hpd) Unter diesem Motto hatte das Aktionsbündnis für den 12. Juni 2010 unter anderem mit Ver.di, DIE LINKE und über 100 Organisationen und Verbänden zu Demos in Berlin und Stuttgart aufgerufen. Dies war eine Fortsetzung der Demonstrationen unter gleichem Motto vom 28.03.2009 aus nun sehr aktuellem Anlass.
Auftakt
Als wir gegen Mittag am Berliner Alexanderplatz eintrafen, hatten sich bereits viele tausende Bürger und Bürgerinnen vor dem Roten Rathaus eingefunden. Die Auftaktkundgebung ab 12:00 Uhr wurde von den Rednern Kerstin Weidner (Aktionsbündnis Sozialproteste) und Janek Niggemann (Wir zahlen nicht für eure Krise) u. a. eröffnet. Sie machten alle gleichermaßen deutlich, wer für die Krise verantwortlich ist und dass die Menschen, die die Krise nicht verschuldet haben, aber für die Verluste aufkommen sollen, sich das nicht länger gefallen lassen müssen. "Gemeinsam sind wir stark" ist der allumfassende Slogan.
Ab 13:00 Uhr formierten sich die einzelnen Organisationen und Bündnisse zu einem gewaltigen Zug von ca. 20.000 Menschen. Wir haben uns irgendwo eingereiht in die vielen Menschen unterschiedlichsten Alters, die gekommen waren, um ihrem Unmut und Protest über Sparpakete, verfehlte Bildungspolitik, Hartz-IV und Arbeitslosigkeit mit Plakaten und Sprechchören Stimme zu verleihen, die nicht mehr zu überhören ist.
Der „Marsch” ging in großer Runde vom Roten Rathaus über Mollstr., Torstr., Oranienburger Str. und Burgstr. zurück zum Roten Rathaus.
Mit friedlichen Protesten, Liedern und Parolen setzte sich der Zug langsam in Bewegung. Viele Menschen am Straßenrand ließen die Demonstration staunend und zum Teil irritiert an sich vorbei ziehen. Die Demo war auch eine Solidaritätsbekundung mit Griechenland. Die griechischen Menschen wurden durch die hiesigen Medien diffamiert und beschuldigt, die Krise dort selbst durch übermäßigen Lebensstandard verursacht zu haben.
Dabei gehen die griechischen „schmarotzenden” Rentner im Durchschnitt mit 62,4 Jahren in Rente (in Deutschland mit 62,1 Jahren) und haben eine Durchschnittsrente von 500-700 €. Die „hohen” Löhne betragen durchschnittlich 803 € brutto/mtl. bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 42 Stunden und nahezu gleichem Preisniveau wie in Deutschland.
Wichtig ist dabei auch, dass die gleichen Sparmaßnahmen, die über Griechenland verhängt wurden, auch uns hier treffen werden. Die deutschen Arbeitnehmer, Rentner und Arbeitslosen sollen für die Krise zahlen. Angefangen hat es bereits mit der Kürzung des Elterngeldes für Hartz-IV-Empfänger und der Streichung der Zuschüsse für die Rentenversicherungen Arbeitsloser. Weiter geht es mit der Streichung von Arbeitsplätzen im Öffentlichen Dienst und Gehaltskürzungen.
Bankenrettung contra Sozialabbau
Angela Merkel präsentiert jetzt die „Handschrift der Koalition”, das bedeutet die Handschrift des Kapitals, denn die Streichungen und Kürzungen treffen ausnahmslos die arbeitende Bevölkerung und Arbeitslose. Allein bei den ALG-II-Empfängern sollen 6,8 Mrd. € im Jahr eingespart werden und diese Summe soll sich bis 2014 auf 12,7 Mrd. € erhöhen.
Allein im Bankenrettungsfonds befinden sich 480 Mrd. €, die man sich hätte sparen können!
Die sogenannten Rettungspakete haben die Staatsschulden wahnsinnig erhöht und ausschließlich die Finanzinstitute begünstigt. Union und FDP weigern sich vehement die wirklichen Krisenverursacher z. B. mit Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf wieder über 50 %, Vermögenssteuer nicht unter 6,9 % und Finanztransaktionssteuer von mindestens 0,05 %, an den Kosten zu beteiligen.
Mit Gerechtigkeit hat dies schon lange nichts mehr zu tun.
Die Reichen werden immer reicher, während die Zahl der unter der Armutsgrenze lebenden Kinder auf 2,5 Mill. gestiegen ist und weiter steigt. Die Gesundheits- und Sozialleistungen verschlechtern sich, besonders für die sozial Schwachen, immer mehr.
Die Menschen haben die Nase voll, dass diese Krise ausschließlich auf ihrem Rücken ausgetragen wird und machen ihrem Unmut und Zorn Luft. Endlich erheben sie sich, um sich aktiv dagegen aufzulehnen. Und das ist nur der Anfang. Wenn nicht endlich von Seiten der Regierung für mehr Gerechtigkeit gesorgt wird, was wenigstens die Ansätze zeigt, die wirklich Schuldigen finanziell zur Verantwortung zu ziehen, werden sich die Proteste, die jetzt noch friedlich verlaufen zu gewaltigen Aufständen ausweiten.
Dass die Regierung genau davor Angst hat, lässt sich bereits jetzt an dem enormen Polizeiaufgebot zum „Schutz” der Demo ablesen. Unzählige Einsatzwagen der Polizei säumen die Straßen, Plätze und viele Seitenstraßen entlang der Demonstrationsroute. Einerseits ist das Sichern der Demonstrationsroute notwendig. Aber die flankierenden Zweierreihen von Polizisten in voller Montur und z. T. mit nervösen Hunden, entlang des sog. antikapitalistischen Blocks von SDAJ, SAV u. a. empfindet man als Provokation.
Zwischenfall
Und es kam, wie es kommen musste: Auf der Torstr. in der Nähe des U-Bahnhofes Rosenthalplatz gab das Zünden von Knallern den Anlass, dass die bereitstehenden Polizisten in den Demonstrationszug stürmten und aus unserer Sicht willkürlich junge Leute „herausfischten” und auf rabiate Weise abführten.
Nachdem Demonstranten mit Sprechchören gegen diese Eingriffe protestiert hatten, ging es weiter, aber nur bis zur nächsten Kreuzung und die Polizei stoppte die Demo erneut, hinderte die Demonstranten am Weiterlaufen, blockierte den Demonstrationszug. Erst nachdem eine breite Protestwelle auf sie einstürmte, machten sie den Weg wieder frei.
Nach Information der Medien am Abend, sollen zwei Polizisten bei dieser Aktion schwer verletzt worden sein. Bei der Pressemeldung der Polizei 19 Stunden nach diesem angeblichen Zwischenfall hatte der Knall bereits die Ausmaße der Folge einer Splitterbombe angenommen, bei der außer den beiden schwerverletzten Polizisten noch weitere 15 Polizisten verletzt worden seien. Nur eigenartig ist, dass wir vor Ort davon nichts mitbekommen haben, obwohl wir in der Nähe waren. Demonstranten wurden offensichtlich nicht verletzt, obwohl sie viel ungeschützter waren als Polizisten.
Fragen über Fragen
Hätten bei soviel Verletzten nicht Krankenwagen und Rettungshubschrauber auftauchen müssen? Ein einziger Krankenwagen war nach einiger Zeit zu hören und außer dem Überwachungshubschrauber war auch in der Luft nichts zu sehen.
Wenn tatsächlich so ein Blutbad angerichtet worden wäre, wieso konnte dann die Demonstration einfach so weiterziehen? Wieso wurde dann die Demonstration an dieser Stelle nicht aufgelöst (Bei so einem Vorkommnis nach unserem Dafürhalten ein wichtiger Grund!)?
Wieso findet bei der Rede des Organisators, der ständig in persönlichem Kontakt mit dem Verbindungsmann der Polizei stand, auf der Abschlusskundgebung dieser angeblich schwere Zwischenfall keine Erwähnung?
Wieso ist auf den unmittelbar aus der Nähe aufgenommenen Videos nichts zu sehen, außer dem Knall inmitten des Demonstrationszuges, der an dieser Stelle mit Polizisten vermischt war, und den Sprechchören ”Haut ab, haut ab!” und dann wird weiter demonstriert, als wäre nichts geschehen?
Wie auch immer: Auf jeden Fall wurde erreicht, dass die Demo in den Medien insgesamt in Misskredit gebracht wurde. Thema ist nur noch die sogenannte „Linke Gewalt”, statt der wichtigen Themen, weswegen die Menschen auf die Straße gegangen sind. Ist dies vielleicht Absicht?
Auffallend ist auch, dass es eine Parallele zur Stuttgarter Demo gibt. Ein älterer Mann wurde dort angeblich inmitten der Demo verhaftet und mit großem Aufmerksamkeit heischenden Aufwand durch die Demonstranten in eine Seitenstraße (Sackgasse) geführt, in der weder Polizeiwagen standen, noch irgendeine andere Möglichkeit der Entfernung von der Veranstaltung bestand. Was sollte dies? (Link zum Augenzeugenbericht)
Sollte der von den offiziellen Medien willig aufgegriffene Tumult organisiert werden?
Abschlusskundgebung
Irgendwie kam der Demonstrationszug dann doch mit einer Stunde Verspätung gegen 16:00 Uhr wieder am Roten Rathaus an, wo die Abschlusskundgebung folgen sollte.
Aber auch hier hatten es die Redner schwer, Aufmerksamkeit für ihre Worte zu erlangen, denn immer wieder benutzte störend die Polizei die Kundgebung für ihre Ermittlungstätigkeiten.
Für uns nahezu willkürlich griffen sie einzelne Personen heraus, jagten diese, knebelten sie rabiat und verhafteten sie. Bei der Verfolgung von einem Einzelnen rannten sie sogar eine unbeteiligte ältere Frau um und ließen sie mit Kopfverletzung einfach liegen (Unterlassene Hilfeleistung?).
Auf der anderen Seite des Neptunbrunnens wurde zur gleichen Zeit ein junger Mann von ca. zwanzig Polizisten in „Gewahrsam” genommen. Nach Auskunft des Konfliktteams, welches zwar vor Ort war, aber weit weg von den Konfliktherden, hatte die Polizei „nur polizeibekannte Straftäter identifiziert und bei dieser Aktion festgenommen”. Nach massiven Protesten der Demonstranten und der Redner auf der Bühne zog die Polizei dann ab.
Die Redner, wie auch Gesine Lötzsch, die Parteivorsitzende der Partei DIE LINKE, machten noch einmal deutlich, dass es solcher gemeinsamer Aktionen der Bevölkerung bedarf, um die Regierung zu zwingen, ihres Auftrages als Volksvertreter - für ihre BürgerInnen da zu sein - endlich zu erfüllen und nicht Handlanger des Kapitals und der Großkonzerne zu sein, die als Menschen im demokratischen Staat in der Minderzahl sind.
Nicht die arbeitende Bevölkerung, die Studenten, die Rentner und Arbeitslosen haben über ihre Verhältnisse gelebt.
Die Abwälzung der Krisenfolgen auf Lohnabhängige und sozial Schwache kann nicht länger hingenommen werden. Nur ein breites Bündnis kann diese Politik stoppen. Die Verstärkung der Krisenproteste ist in Deutschland in den letzten Jahren weitgehend ausgeblieben, weil es die Regierung durch Mobilisierung ihrer letzten Reserven wie Abwrackprämie und Verlängerung des Kurzarbeitergeldes immer mal wieder geschafft hat, viele Menschen zu beruhigen und in Sicherheit zu wiegen, dass sie die Krise nicht beträfe. Auch bei den Gewerkschaften glauben immer noch einige, mit individuellen Lösungen wie Lohnkürzung bei gefährdeten Betrieben und Streichung von Urlaubstagen durch die Krise zu kommen. Dies hat die Proteste nicht befördert. Jedoch in den letzten Wochen sind viele aufgewacht und haben neue Gruppen gebildet, die gezielt Proteste organisieren z. B. den Bildungsprotest.
Hoffentlich bleibt diese Entwicklung so, es wachen noch mehr Menschen auf und schließen sich den künftigen Protesten an.
Elke und Andreas Schäfer