(K)eine Million für die Kirche

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Moses in Leipzig
Moses in Leipzig

JENA/LEIPZIG. (hpd) Die Leipziger Ratsherren werden heute darüber abstimmen, ob die finanziell nicht sehr gut ausgestattete Stadt Leipzig den Katholikentag 2016 finanziell unterstützen soll. Dabei wird über eine Zuwendung in Höhe von rund 1 Mio Euro abgestimmt. Die GBS-Hochschulgruppe Jena fordert die Ratsherren auf, einem solchen Beschluss nicht zuzustimmen.

Die Beschlussvorlage spricht zwar euphorisch von einem Gewinn für die Stadt; allerdings halten die angeführten Zahlen zur Refinanzierung des “Events” wohl kaum einer ernsthafteren Nachprüfung stand. Doch nicht nur deshalb fordert die GBS-Hochschulgruppe der Universität Jena in einem öffentlichen Appell an die Mitglieder der Leipziger Ratsversammlung die Verweigerung zur Zustimmung. Vielmehr bitten sie darum, den Katholikentag nicht zu bezuschussen, “denn dagegen sprechen unseres Erachtens gewichtige Gründe, sowohl verfassungsrechtlicher als auch praktischer Art.”

Der hpd dokumentiert diesen Appell hier in leicht gekürzter Fassung.

Verstoß gegen den Grundsatz weltanschaulicher Neutralität

Nach dem über Artikel 140 des Grundgesetzes (GG) inkorporierten Artikel 137 Absatz 1 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) gibt es keine Staatskirche. Dies verbietet sowohl eine institutionelle als auch finanzielle Identifikation zwischen Kirche und Staat. Vielmehr ist der Staat (und damit auch die Stadt Leipzig) zur weltanschaulichen Neutralität verpflichtet. Durch die Subventionierung des Katholikentages würden Sie aber Partei ergreifen für diese Glaubensgemeinschaft.

Die Unterstützung dieser Veranstaltung unterscheidet sich von der Subventionierung anderer, kultureller oder sozialer Einrichtungen / Veranstaltungen, durch ihre konfessionelle Gebundenheit. Die öffentliche Bezuschussung eines “Glaubensevents” ist etwas anderes als die eines Theaterstücks – letzteres mag zwar auch nicht jedem Besucher gefallen, steht aber grundsätzlich jeder Konfession offen.

Kirchen- und Katholikentag bleiben jedoch trotz aller Offenheitsbekundungen und Einladungen an Andersdenkende immer ein christliches Ereignis, mit dem sich anders- oder nicht-konfessionelle Menschen nicht identifizieren können und die daher in der Regel nicht die Früchte der öffentlichen Förderung wahrnehmen können. Die öffentliche Finanzierung innerkirchlicher Angelegenheiten widerspricht der von der Verfassung geforderten weltanschaulichen Neutralität des Staates.

Die derzeitige Praxis, dem Steuerzahler und damit auch bewusst kirchenfernen Menschen die Mitfinanzierung christlicher Kirchentage zuzumuten, muss beendet werden!

Gegen die anderslautende Interpretation des Artikel 137 Absatz 1 WRV, die es dem Staat erlauben soll, konfessionelle Veranstaltungen und Einrichtungen zu fördern, solange er nur den Gleichheitssatz beachtet, sprechen insbesondere praktische Erwägungen: Laut Artikel 3 GG darf niemand “wegen (…) seines Glaubens, seiner religiösen und politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden”.

In einer zunehmend pluralen Gesellschaft, in der weit über ein Drittel der Bevölkerung Deutschlands keiner Konfession angehört, führt die praktizierte sog. “hinkende Trennung” zwischen Staat und Kirche unweigerlich zu unüberbrückbaren Ungleichbehandlungen. Im Unterschied zur strikten Trennung von Kirche und Staat, wird sie immer zur Privilegierung einiger weniger Konfessionen führen – in Deutschland (trotz erheblichen Mitgliederschwundes) insbesondere zur Bevorzugung der christlichen Großkirchen.

Die moderne Antwort des Staates kann daher nur in der Zurückschraubung der Subventionen an die evangelische und katholische Kirche liegen, und nicht in der Aufrüstung auch aller anderen Konfessionen. Schon aus diesem Grund wäre es Zeit, dass eine zukunftsorientierte Stadt wie Leipzig endlich mit der Konvention bricht, die christlichen Kirchen mit öffentlichen Geldern zu alimentieren. Auch der Änderungsantrag der Fraktion Bündnis90/Die Grünen, die Summe auf 300.000,00 Euro zu begrenzen, geht uns daher entschieden nicht weit genug.

Natürlich wissen wir, dass der seit 1919 (!) bestehende Verfassungsauftrag zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen (der von der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz übernommen wurde) beharrlich ignoriert wird. Doch auch unter ganz eigensinnigen, praktischen Erwägungen sollten Sie einer Förderung des Katholikentages nicht zustimmen.

Ungleichbehandlung und das “selbstbewusste Bürgertum”

Die Begründung des Kulturdezernats zur Beschlussvorlage (im Folgenden: die Begründung) ist nicht konsequent: Einerseits wird herausgestellt, dass sich das ZdK aufgrund handfester praktischer Gründe für Leipzig entschieden hat: logistische Leistungsfähigkeit (Verkehrsanbindung, Hotellerie, Veranstaltungskapazitäten), geografische Lage in Mitteleuropa und weltoffene Messetradition. Darüber hinaus könne die Stadt sich durch den Katholikentag auch als Kongress-Standort interessant machen.

Andererseits wird der Katholikentag aber nicht wie jeder andere Messeveranstalter behandelt: Aufgrund des kommunalrechtlichen Wirtschaftlichkeits- und Sparsamkeitsgebots dürften Subventionen (wenn überhaupt) nur gezahlt werden, wenn die Messe einen nachhaltigen Beitrag zur Wirtschaftsförderung leisten könnte, der sich also gerade nicht nur im erhöhten Konsum während der 5 “Messe-Tage” erschöpft, sondern durch Ansiedlung von Unternehmen in der Region oder durch die Steigerung der Nachfrage heimischer Produkte und Dienstleistungen einen dauerhaften Vorteil für Leipzig schaffen könnte. Eine solche langanhaltende positive Wirkung kann der einmalige (!) Katholikentag nicht entfalten.

Nachdem sich in Leipzig weltbekannte Einrichtungen, wie das Fraunhofer-, das Max-Planck- und das Leibniz-Institut oder auch das Umweltforschungszentrum, angesiedelt haben, schlägt die Begründung nun vor, die “eigenen Netzwerke im Bereich des spirituellen Tourismus dichter zu stricken”. Dies widerspricht den früheren Bemühungen, das Profil der Stadt Leipzig als Wissenschaftsstandort zu schärfen.

Die Vorlagebegründung erhofft, dass sich dies aufgrund des Reformationsjubiläums 2017 und des Jahrestages der Leipziger Disputation 2019 auszahlen werde. Das Wissenschaftsimage würde damit zugunsten zweier weiterer spiritueller Großereignisse geopfert werden – dies klingt nicht sehr nachhaltig.

Dennoch sieht das Kulturdezernat in der Subventionsvergabe eine Möglichkeit, das Image der Stadt Leipzig zu stärken – doch welches Image genau soll dies sein? Das der “weltoffenen Messestadt”, wie es das ZdK betont? Offensichtlich hat Leipzig dieses Image schon jetzt. Und warum soll Weltoffenheit gerade in der Subventionierung einer bestimmten Glaubensrichtung bestehen? Soll das Image des “selbstbewussten Bürgertums” gestärkt werden, das dem ZdK so sehr gefällt? Das Bürgertum, das sich gegen dogmatische Vorgaben und Ideologien aufgelehnt hat? Das Bürgertum, das sich nur zu 4 Prozent zum katholischen Glauben bekennt?

Dieses Bürgertum soll durch die Bezuschussung einer Glaubensgemeinschaft gestärkt werden, die absolute Wahrheiten verspricht und Andersdenkende am Arbeitsplatz (Krankenhäuser, Pflegedienste, etc.) diskriminiert und ihnen vorschreiben möchte, wie sie ihr Privatleben zu führen haben?

Unter Ausblendung solcher offensichtlich entgegenstehenden Gründe heißt es in der Begründung, die zu erwartende “sich medial häufig wiederholende Würdigung von Leipzig […] wird die Stadt der selbstbewussten Bürgerschaft und Keimzelle der friedlichen Revolution noch mehr ins Bewusstsein […] rücken.” Wahrscheinlicher ist, dass die Veranstalter diesen Erfolg mehrheitlich den christlichen Kirchen (anstatt der “selbstbewussten Bürgerschaft”) zuschreiben werden.

Erinnert sei nur an die Worte der ehemaligen EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann: Die Berliner Mauer sei “nicht einfach so gefallen”. Durch eine friedliche Revolution, “die ihren Ursprung im Gebet hatte, wurde sie zu Fall gebracht”.

Dieses Bürgertum, das versucht, durch vielfältiges ehrenamtliches Engagement die Defizite angesichts der dramatischen Haushaltslage Leipzigs wenigstens zum Teil auszugleichen, dieses Bürgertum soll hinnehmen, dass 1 Million Euro ihres Geldes in einer fünftägigen Jubiläumsfeier ohne nachhaltigen Nutzen verpuffen?

Es kann nur noch als zynisch bezeichnet werden, wenn das Kulturdezernat einerseits behauptet, die Förderung diene der Schaffung eines inhaltlichen Höhepunktes für die Bürger der Stadt und andererseits freimütig einräumt, dass “durch die Diaspora-Situation der Katholiken […] ein deutlich höherer Anteil von Gästen von weiter her kommen [wird]”. Warum aber sollen die Leipziger für das Privatvergnügen anderer aufkommen? Eine “touristische Wertsteigerung”, wie sie sich das Kulturdezernat verspricht, kann sich zwar auch für die Leipziger auszahlen, aber eben nur wenn die Investition eine nachhaltige Wirkung entfaltet. Dies ist bei einem singulären Großereignis, das jedes mal in einer anderen Stadt stattfindet, sicher nicht der Fall.

Eine Investition in dauerhafte kulturelle Einrichtungen oder städtebauliche Maßnahmen könnte die touristische Anziehungskraft Leipzigs effektiver steigern. Doch vielleicht bringt die Begründung des ZdK zu ihrem Förderantrag die Leipziger dazu, ihr Portemonnaie für andere zu öffnen: “Der Katholikentag […] versteht sich nicht als innerkirchliche Veranstaltung, sondern ist in erster Linie von gesamtgesellschaftlicher und gesellschaftspolitischer Bedeutung.” Wenn dem so wäre, warum spiegelt sich dies nicht in der Besetzung der sog. “Arbeitsgruppe 100” wider? Diese wurde zur vorbereitenden Planung des 100. Katholikentags in Leipzig gegründet und ist nahezu ausschließlich mit eigenen Vertretern des ZdK besetzt. Soll so die “Öffnung nach außen auch zu nichtkirchlichen Initiativen” aussehen? Und was werden die zu 96 Prozent nicht-katholischen Bürger in Leipzig dazu sagen, dass die Kirche für sich beansprucht, für die gesamte Gesellschaft relevant zu sein oder gar für sie zu sprechen?