JENA. (hpd) Torsten Krauel, der Chefkommentator der WELT, hat sich in Anlehnung zur Regelung bei Abtreibungen für eine Beratungspflicht auch bei der Sterbehilfe ausgesprochen. Dies wäre an sich nichts Besonderes, da auch die Kampagne für das Recht auf letzte Hilfe selbstverständlich der Freitodbegleitung intensive Beratungsgespräche vorschalten möchte. Tief blicken lassen jedoch die weiteren Formulierungen des hochrangigen Journalisten.
Ich weiß nicht, ob es die erschreckendste Formulierung aus dem Kommentar ist; in der Reihenfolge der zu kritisierenden Zitate steht es jedoch ganz oben: “Und doch ist mit solchem Freiheitswunsch [am Lebensende] eine verstörende Lust am Gedanken verbunden, sich seines Lebens zu entledigen.”
Es ist nur ein Wort, doch dass gerade ein offensichtlich auf Pietät bedachter christlicher Journalist in leitender Funktion bei einer überregionalen Zeitung von “Lust” im Zusammenhang mit Suizid spricht, ist hoffentlich nur einer Gedankenlosigkeit verschuldet. Denn eine entsprechende Respektlosigkeit hat sich im Zusammenhang mit dem sensiblen Thema bislang wohl noch nicht einmal die katholische Kirche erlaubt. Auch in einem solchen, der Meinungsbildung dienenden Kommentar sollte auf solche Formulierungen verzichtet werden.
“Eine wie auch immer geartete offizielle Hilfestellung entlastet die Seele von eigener Unschlüssigkeit, es befreit vom Gewicht der Selbstverantwortung. Die straffreie Beihilfe zum Freitod soll zwar den persönlich bekundeten Willen zu ihm unbedingt voraussetzen. Solcher Wille kann aber genährt und gefördert werden, wenn der Staat Zuspruch zu bieten scheint.” Würde Hilfe immer vom Gewicht der Selbstverantwortung befreien, so wäre auch keine erste Hilfe zulässig, denn nur dann spürt der Betroffene die Last voll und ganz. Unzulässig wären dann auch Rollstühle für abgestürzte Bergsteiger, Strafverteidiger für Kriminelle und rechtliche Betreuer für Menschen, die infolge übermäßigen Alkoholgenusses psychisch krank sind.
Last der Verantwortung
Darüber hinaus widersprechen die Zwei Sätze einander: Die straffreie Sterbehilfe kann nicht vom “Gewicht der Selbstverantwortung” befreien, wenn sie letztere gerade voraussetzt. Um im Bild zu bleiben: Die Hilfe am Lebensende kann den Betroffenen noch nicht einmal von der Last der Verantwortung erleichtern und schon gar nicht ganz befreien. Denn ein Gesetz zur Regulierung der organisierten Sterbehilfe wäre kein unterstützender “Zuspruch” zum individuellen Ableben eines Menschen, sondern es wäre die – sozusagen neutrale – Anerkennung des Rechts auf Selbstbestimmung am Lebensende und damit das Recht, “Letzte Hilfe” in Anspruch nehmen zu dürfen. Der Gedanke, der Staat fördere mit einem Gesetz zur Sterbehilfe auch die Sterbewilligkeit, wird stets nur von uninformierten Lebensschützern erhoben. Wer Betroffene fragt, wird stets als Antwort erhalten, dass man sich auch im Falle des Verbots der Sterbehilfe einen Ausweg suchen werde. Dies zeigt, dass die Menschen sich in dieser – oder besser: der – höchst persönlichen Frage nicht vom Staat beeinflussen lassen wollen. Und was in die eine Richtung gilt (eventuelles Verbot der Sterbehilfe), trifft erst recht auf die andere Richtung zu!
Zudem zeigen die empirischen Untersuchungen in Ländern wie z. B. der Schweiz, in denen ärztliche Freitodbegleitungen gesellschaftlich akzeptiert sind, dass die Suizidversuchsraten keineswegs ansteigen, sondern vielmehr zurückgehen, da die “Letzte Hilfe” ganz selbstverständlich gekoppelt ist an vorausgehende Beratungsgespräche.
Persönlichkeit verlieren?
“Gerade Menschen ohne solches [Gott-]Vertrauen würden einen wichtigen Teil ihrer Persönlichkeit verlieren, wenn der Gesetzgeber eine ‘Selbstbestimmtheit am Lebensende’ zu einem Wert an sich erhöbe.” Kraft der dem Menschen zuteilwerdenden Würde kann dieser seine Persönlichkeit gerade nicht durch ein einfaches Gesetz “verlieren”, sondern man kann seine Persönlichkeit nur entweder “entfalten” oder auch nicht. Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetztes spricht sich klar für die Möglichkeit zur Entfaltung aus.
Der Autor suggeriert, dass “Selbstbestimmung am Lebensende” kein “Wert an sich” sei. Konsequenter Weise kann das nur so verstanden werden, dass Selbstbestimmung (egal in welcher Lebensphase), nie einen “Wert an sich” darstellt.
Nun kann man trefflich darüber streiten: Was ist ein “Wert an sich”? Was ist Freiheit? Was ist Selbstbestimmung? Was ist Würde? Doch ich denke es ist keine unzulässige gedankliche Verkürzung, wenn ich sage: Nach dem humanistischen Weltbild und auch dessen Ausformung in der deutschen Verfassung stellen die Grundrechte gerade doch einen “Wert an sich” dar, d.h. sie bedürfen keiner weiteren Begründung oder Legitimation, sondern die verfassungsgebende Gewalt hat sich dazu entschieden, dass diese Grundrechte jedermann und bedingungslos (nicht zu verwechseln mit voraussetzungs- oder gar schrankenlos) zukommen, bereits aufgrund des bloßen Menschseins.
Selbstbestimmung (auch am Lebensende) ist damit bereits ein “Wert an sich”. Nach aktueller Gesetzeslage hat der Gesetzgeber (strafrechtlich) diesen Wert auch schon längst anerkannt, da Suizid und Beihilfe hierzu nicht unter Strafe stehen (das standesrechtliche Verbot für Ärzte muss hier ausgeklammert bleiben). Der Kommentator bleibt den Beweis schuldig, dass die “Gottlosen” in Deutschland bislang unerkannt nur mit halber Persönlichkeit unter uns weilten.
Legimitieren oder legalisieren
“Die Gefahr aber, dass ein solches Gesetz den Verfügungswillen über das eigene Leben legitimiert, statt in ihm eine menschliche Tragödie zu sehen, ist real.” Gesetze können einen Vorgang nicht legitimieren, sondern nur legalisieren. Dies ist ein feiner aber bedeutender Unterschied. Legitimität kann übersetzt werden mit “Anerkennungswürdigkeit”. Gesetze zur Beschränkung der Grundrechte müssen nach der klassischen Verhältnismäßigkeitsprüfung einem legitimen Zweck dienen, um verfassungsgemäß zu sein. Umgekehrt ausgedrückt: Die Ansicht der Bürger, des Volks, der Parlamentarier über die Legitimität eines Vorgangs speist sich aus außerrechtlichen Vorstellungen, Argumenten und Weltanschauungen. Erklären Abgeordnete einen Vorgang per Gesetz für legal, dann nur deshalb, weil sie ihn zuvor bereits für legitim erachteten. Und genau dies trifft auch auf die Sterbehilfe zu: Die deutliche Mehrheit der Deutschen hält Sterbehilfe bereits für legitim – und genau deshalb sollte sie nicht für illegal erklärt werden.
Die Kritik, im Sterbewillen eines Menschen keine “menschliche Tragödie” zu erblicken, kann nur noch als zynisch zurückgewiesen werden: Jeder Tod, ob gewollt oder nicht, ist eine Tragödie, die bei den Angehörigen Trauer und Schmerz hervorruft. Zahlreiche Dokumentationen und Erlebnisberichte bestätigen dies.
Die suggerierte Gefühlskälte sollte gerade nicht den Menschen unterstellt werden, die sich in leidende Menschen hineinfühlen und daher deren Willen zu sterben respektieren. Dieser Vorwurf gebührt eher den religiösen Moralaposteln, die Menschlichkeit gerade darin erblicken wollen, dem Wunsch, ja gar dem Flehen nach “Letzter Hilfe” nicht entgegen zu kommen, nur um sich so ihrer eigenen Pseudo-Aufrichtigkeit/-Standhaftigkeit zu vergewissern. Dieser Vorwurf gebührt den sog. Lebensschützern, die die Autonomie leidender Menschen verdammen, nur um einen vermeintlichen und empirisch längst widerlegten “Dammbruch zur Euthanasie” verhindern zu wollen. Dieser Vorwurf gebührt den “Leidensschützern”, wie man sie treffender bezeichnen sollte, die einem Sterbewilligen die Empathie versagen um (nach eigenem Bekunden) ihre Barmherzigkeit gegenüber anderen, behinderten, dementen oder pflegebedürftigen Menschen auszudrücken. Bei einem solchen Logik-Verständnis wundert es nicht, dass die Erstreckung von Freiheit auch auf das Lebensende nicht als gebotene Konsequenz erachtet, sondern zu einer “Verklärung” herabgewürdigt wird, die “die Freiheit ins Absurde kehren” würde.
Kampfansage an die Kampagne
“Es gibt Fälle, in denen der Tod als humaner Akt erscheint. Aber es sind wenige. Wenn ein Sterbehilfegesetz sie erfassen und regeln kann, ist das eine Leistung. […] Manche Töne in der Sterbehilfedebatte lassen eine Weiterung anklingen, in Richtungen, die die Freiheit zum bewussten Suizid zu einer respektablen Haltung erheben würden. Das ist gefährlich.” Hier gilt es zwischen den Zeilen zu lesen: Dies ist nicht weniger als eine Kampfansage an die Kampagne für das Recht auf letzte Hilfe, die auf dem Foto zum Artikel auch in Bezug genommen wird! Der Autor will Sterbehilfe nicht etwa zulassen aus Respekt vor dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen – denn seiner Ansicht nach sei diese Freiheit keine respektable Haltung. Stattdessen erscheint es ihm nur als ein “humaner Akt” wenn jemand fremdes (?!) dem Betroffenen den Tod gewährt. Eine andere Lesart erscheint ausgeschlossen, wenn der eigene Wille des Betroffenen “gefährlich” sein soll. Fremdbestimmung statt Selbstbestimmung – dieses Weltbild des Kommentators kann nur noch als anti-liberal und reaktionär bezeichnet werden.
“Wer sein Menschenleben von Anfang an im Wissen verbringt, es irgendwann ‘selbstbestimmt’ beenden zu dürfen, verliert, vielleicht ohne es zu merken, die Kraft zum Guten. Er kann zu einem Menschen ohne Empathie werden, ohne Ideale und ohne wahren Gestaltungswillen. Wer den freiwilligen Tod als staatlich respektiertes Recht am Horizont erblickt, verliert leicht den Mut zu Mitleid und Hilfswilligkeit, zur Entfaltung seiner Persönlichkeit, zum Kampf gegen Schicksalsschläge – und in menschlichen Grenzlagen die große helfende Kraft zur Sehnsucht nach Licht, Leben und Liebe.” Die abschließenden Worte von Torsten Krauel müssen wie blanker Spott wirken in den Augen von Menschen, die ein Leben lang gekämpft haben gegen die “Schicksalsschläge” und die – wenn sie religiös sind – vielleicht sogar ein Leben lang auf die “Liebe” ihres Herrgotts warteten.
Menschen, die trotz quälender Krankheit versucht haben, bestmöglich ihre “Persönlichkeit zu entfalten” und die nun für sich persönlich entschieden haben, dass es genug ist.
Diesen Menschen wirft Torsten Krauel tatsächlich fehlenden Mut, fehlendes Mitleid, Hilfswilligkeit, ja gar fehlende Empathie vor? Der Spieß gehört umgedreht! Es sind die Leidensschützer wie Torsten Krauel, die aufgrund religiöser Verblendung nicht den “Mut” haben, einen Menschen gehen zu lassen, der aufgrund eines selbstgefassten Entschlusses gehen möchte. Es sind die Leidensschützer, die sich nicht in die Betroffenen hineinversetzen und ihre Qualen und Ängste nachvollziehen können. Es sind die Leidensschützer, die kraft eines religiösen Dogmas kein “Mitleid” aufbringen. Es sind die Leidensschützer, die den Menschen die letzte Hilfe verweigern.
Die Aussagen von Torsten Krauel sind schlicht empörend. Auf der Facebook-Seite zur Kampagne “Für das Recht auf letzte Hilfe” wurde der WELT-Artikel gepostet. Ein Kommentator hat den Text von Torsten Krauel abgewandelt und damit treffend seine Kritik an dem obigen Statement zum Ausdruck gebracht: “Wer sein Leben dem guten Gott widmet, verliert, vielleicht ohne es zu merken, die Kraft zur Nächstenliebe und ethischem Handeln. Er kann zu einem Mensch werden, der andere bedenkenlos verurteilt, ausgrenzt und in die Hölle schickt.”