Der Antisemitismus des Martin Luther

(hpd) Der Historiker Thomas Kaufmann, Professor für Kirchengeschichte in Göttingen, legt mit “Luthers Juden” eine differenzierte Abhandlung zum Antisemitismus bei dem Reformator vor. Er macht darin überzeugend deutlich, dass die Judenfeindschaft integraler Bestandteil seiner Theologie bereits in der Frühphase war und sich bei ihm protorassistische Positionen ausmachen lassen.

Antisemitische oder rassistische Einstellungen können als private Mentalitäten auch bei nicht wenigen heute noch angesehenen Persönlichkeiten der Kulturgeschichte ausgemacht werden. Mitunter artikulierten sich derartige Feindbilder und Ressentiments aber auch in öffentlichen Bekenntnissen, was einen Schatten auf das Bild von eben diesen Menschen wirft. Mitunter relativieren oder verdrängen deren Anhänger und Verehrer dann damit einhergehende Fakten. Dies gilt etwa für die ausgeprägte Judenfeindschaft von Martin Luther, dem angesichts der Reformation wohl weltgeschichtlich wirkungsmächtigsten Deutschen.

Dieser hat Thomas Kaufmann, Professor für Kirchengeschichte in Göttingen und Vorsitzender des Vereins für Reformationsgeschichte, eine systematische und quellengestützte Abhandlung mit dem schlichten Titel “Luthers Juden” gewidmet. Deren Ziel ist es in den Worten des Autors, “Luthers Wertung der Juden im Horizont seiner Zeit zu verstehen, d.h. auch im Lichte dessen zu betrachten, was damals üblich war” (S. 15).

Auch wenn dieser Ansatz wie eine Apologie klingt, ist das Buch alles andere als eine Verharmlosung. Bereits in der Einleitung heißt es: “Der Judenhass des Wittenberger Reformators schloss Motive ein, die sich nicht einfach als ‘theologische’ oder ‘religiöse’ bezeichnen lassen und die über den traditionellen christlichen Antijudaismus, der bereits im Neuen Testament einsetzt, hinausgehen. Luthers Hinweis auf die Qualität des jüdischen Blutes, sein Urteil über die erpresserische Wucherei, das Wissen um die Giftmordanschläge u.a.m. speiste sich aus allerlei trüben Rinnsalen eines spezifisch vormodernen Antisemitismus, d.h. einer Judenfeindschaft, die eine spezifische ‘Natur’ ’dieses Menschengeschlechts … kennen zu können meinte. Luther setzte den vormodernen Antisemitismus voraus, nahm ihn auf und trug zu seiner Verbreitung bei” (S. 10). Kaufmann neigt aber auch nicht zur Gleichsetzung von Luthers Antisemitismus mit dem des Nationalsozialismus, weist er doch auch auf die Unterschiede hin (vgl. S. 15).

Diese differenzierte Perspektive zieht sich durch das ganze Buch, das zunächst auf Luthers frühe persönliche und theologische Wahrnehmung der Juden eingeht und dann eine scheinbar pro-jüdische Phase behandelt. Diese liegt aber nach Kaufmann in einer bestimmten Absicht begründet, welche er mit dem “missionsstrategischen Argument” (S. 70) erklärt. Demnach ging es dem Reformator zeitweise darum, auch die Juden für seine Religionsinterpretation zu gewinnen.

Nach dem Scheitern dieser Bemühungen und Hoffnungen schwenkte Luther um und ließ in seinen Schriften seinen Judenhass bis in die letzten Tage vor seinem Tod in aller Vehemenz zum Ausdruck kommen. Er gipfelte in den Forderungen nach Verbrennung der Synagogen und Vertreibung der Juden. Kaufmann spricht gar von “protorassistischen Äußerungen” (S. 172), welche letztlich auch die instrumentalisierende Vereinnahmung seiner Judenfeindschaft durch die NS-Propaganda erklären. Gleichwohl gehöre der Antisemitismus zu Luther “als integralem Bestandteil seiner Person und seiner Theologie” (S. 174).

Kaufmanns Arbeit fällt durch ein hohes Maß an Differenzierungsvermögen und Sachkenntnis auf. Er reduziert Luthers Judenfeindschaft auch nicht auf die letzte Lebensphase, sondern macht theologische Kontinuitäten selbst zu angeblich früheren Phasen der Judenfreundlichkeit deutlich.

Seine Historisierung des Reformators klingt mitunter apologetisch relativierend, ist aber deutlich erkennbar so nicht gemeint. Man muss die Auffassungen des Reformators auch im Lichte einer judenfeindlich geprägten Gesellschaft sehen. Seine “verbale Gewalttätigkeit” gegenüber den Juden war “nicht analogielos” (S. 171). Und von einer systematischen Vernichtung sprach Luther im Unterschied zu den Nationalsozialisten tatsächlich nicht. Indessen fanden sich bei dem Reformator zahlreiche Ansätze, die später eine Entfaltung im als “modern” geltenden Antisemitismus erfuhren. An dieser Erkenntnis kann die Berufung auf die Autorität und Popularität Luthers nicht vorbei gehen. Treffend heißt es am Ende dieser beeindruckenden Arbeit: “Ein naiver Umgang mit Luther ist unstatthaft” (S. 176).

 


Thomas Kaufmann, Luthers Juden, Stuttgart 2014 (Reclam-Verlag), 203 S., ISBN: 978–3–15–010998–4, 22,95 Euro