BERLIN. (hpd) Nach David Berger setzt sich auch Horst Herrmann kritisch mit den Ergebnissen der zu Ende gegangenen vatikanischen Herbstsynode auseinander:
Mit Verlaub, ich muss einige an die Realität erinnern. Besonders gilt die Mahnung den Synodenvätern, die, aufgeregt wie ein Hühnerhaufen, Wesensmerkmale ihres Gottglaubens vergessen haben. Ich halte mich dabei an die übliche Diktion der Theologie als einer Rede über "Gott".
Auf einem bestimmten Gebiet toben sich Bischöfe aus. Nicht dass sie selbst ... Nein, sie erstellen und stabilisieren Sündenkataloge. Deren Inhalte verankern sie in ihren Gläubigen. Ein besonders eindrückliches Beispiel bietet das sechste Gebot. Das lautet ursprünglich "Du sollst nicht ehebrechen!" Mittlerweile ist diese Weisung auf alles ausgedehnt, was sich als so genannte Unkeuschheit darstellen lässt.
Zu diesen Themen hat sich die Bibel, als Gotteswort verstanden, gar nicht oder nicht eindeutig geäußert. Aber Gottes angebliche Stellvertreter wollten dies nicht hinnehmen. Sie reden - und leiten aus Gottes Schweigen ihr Rederecht ab.
Ich erinnere daher an eine Realität: Jesus schwieg zu einem Thema, das im Vatikan auffallend gern behandelt und von einer grundsätzlich desinteressierten Journaille immer wieder hochgespielt wird: Sexualität. Obwohl es schon zu seiner Zeit Abtreibung, Geburtenkontrolle, Masturbation, Homosexualität gab, hat Jesus nichts dazu gesagt. Ob eine lustfeindliche und homophobe Vatikanische Konfession daraus nicht lernen sollte?
"Gottes Wort" ist nun einmal so eindeutig nicht, wie Bischöfe es gerne hätten. Es schweigt sogar bei wichtigen Fragen ganz. So steht nichts in der Bibel zur Suche nach einem atomaren Endlager oder zum Problem embryonaler Auslese oder zur vorgeburtlichen Diagnostik. Und über vatikanische Lieblingsthemen wie Ehescheidung, Wiederverheiratung Geschiedener, Geburtenkontrolle und Homosexualität findet sich in den biblischen Texten auffallend wenig. Was da steht, reicht für ein begründetes ethisches Urteil nicht aus.
Umso hartnäckiger hält sich eine offizielle Schriftauslegung. Die Vatikanische Konfession kann sich nun einmal keine Lücke leisten. Herden verlangen unverzagt nach einem Wort der Hirten. So sind sie über Jahrhunderte hinweg erzogen worden.
Ein Lehrbeispiel: Die gerade zu Ende gegangene Herbstsynode 2014 zu Fragen von Familie, Ehe, Sexualität sprach zunächst gegenüber Homosexuellen von einem Willkommen, strich dieses aber wieder. Das ist praktische Arroganz: Kein Mensch kann gegenüber einem anderen, nicht weniger von Gott geliebten, ein Willkommen ankündigen oder verweigern. Homosexuelle sind "Geschöpfe Gottes". Sie stehen Gott nicht ferner als Bischöfe.
Und wenn neuerdings im Vatikan viel von "Barmherzigkeit" die Rede ist, muss festgehalten werden: Bischöfe benötigen mehr Barmherzigkeit von unserer Seite als Homosexuelle von Seiten der Vatikanischen Konfession.
Barmherzigkeit löst das Problem des Vatikans im Übrigen nicht. Sie mildert das frostige Klima. Doch sie beseitigt die Ursachen für diesen Frost nicht: die starr dogmatische Härte in der Auslegung biblischer Texte und in einer Tradition, von der es offenbar kein Zurück geben darf. Und warum lässt sich da nichts lockern? Weil angeblich Gottes Geist in Schrift und Tradition am Werk war. Doch bestimmte Synodale wollen in Wirklichkeit nichts von einem Geist Gottes wissen, der weht, wo er will - und nicht darauf wartet, ob er greisen Synodenvätern "willkommen" ist oder nicht. Lächerlich, dass so genannte Oberhirten auf selbstbestückten Synoden ihr Willkommen verteilen - und jene Menschen ausgrenzen, denen sich Gottes Liebe niemals verweigert hat.
Vatikanische Synoden? Da viele Oberhirten offensichtlich viel zu wenig Liebe erfahren haben, wollen sie diese anderen Menschen bestreiten: "Was wir nicht bekamen, sollen auch jene nicht bekommen". So denken und handeln emotional Arme. Gott handelt gerade nicht so. Er ist, so die offizielle Theologie, die Liebe und er schenkt sich bedingungslos und überraschend.
Von dieser Liebe ist viel zu selten die Rede. Stattdessen setzt der Vatikan auf Ängste. Er weiß warum. Ich nenne Beispiele für Sündenangst, mit denen ich als junger Priester konfrontiert wurde: Die Angst, wegen des Bisses in eine Frikadelle am Freitag, in der Hölle zu landen, die Angst vor einer so genannten Todsünde, die eine Frau nur in ihre Badewanne steigen ließ, wenn sie einen Badeanzug trug und Weihwasser in das Badewasser gegeben hatte. Und das Bekenntnis eines Mannes, diese Woche wieder einmal Unkeusches getan zu haben. Mit seinem schwulen Lebensgefährten. Als ich ihm in den sechziger Jahren sagte, er müsse, wenn überhaupt, beichten, dass er seinen Freund lieblos behandelt habe, statt zu bekennen, was heterosexuelle Eheleute nicht bekennen müssen, sagte er unter Tränen, noch kein Priester habe ihm das in den letzten zwanzig Jahren gesagt.
Ein kriminelles Geschäftsmodell der Kirche müsste freilich ausgedient haben. Es ist desavouiert. Doch noch immer findet sich keine Entschuldigung der Verantwortlichen. Kein Schuldbekenntnis einer Kirche, die Unzählige unter ihrem irrigen Verständnis von Sünde leiden ließ. Und heute - ebenso hirtentypisch - Krokodilstränen vergießt, weil ihr die meisten nicht mehr trauen. Sie würde besser über ihre eigene Schuld und ihre elitäre Herrenattitüde weinen. Doch gerade dazu ist sie nicht fähig und bereit. Mit einer solch reuelosen Kirche weiß Gott nichts anzufangen. Gut anzunehmen, dass er sie gar nicht erst gewollt hat.
Was wenig erleuchtete Hirten, die ihren Normenwahn auf Bischofskonferenzen, Synoden und Konzilen befriedigten, den Herden antaten? Es wird vermutlich ungesühnt bleiben wie eh und je. Wir helfen uns besser selbst. Ich hoffe, dass es immer mehr Menschen gelingen wird, sich von archaischen Ängsten und deren Göttern zu befreien und sich selbst als Hoffnung für andere und künftige Menschen zu verstehen und zu engagieren. Dann wird auch Geschichte nach menschlichem Maß gerechnet. Dann gelten die zweitausend Jahre Christentum im Vergleich zu den Millionen Jahren Menschheit ohne Christentum als eine bloße Episode, und als eine nicht sonderlich geglückte. Dann werden die geschichtlichen Tage einer Religion, die manchem Ängstlichen noch wichtig erscheinen, als das verstanden werden, was sie, aufs Ganze der Weltzeit gesehen, stets gewesen sind: Augenblicke, Durchgangsphasen.
4 Kommentare
Kommentare
Stefan am Permanenter Link
> Mit einer solch reuelosen Kirche weiß Gott nichts anzufangen. Gut anzunehmen, dass er sie gar nicht erst gewollt hat.
Bei solchen Aussagen frage ich mich, weshalb Gottes Macht nicht dazu ausreicht, das (in *seinem* Namen verursachte) Leid zu verhindern. Weshalb lässt er erst all das zu ... und tut absolut gar nichts, um die Position der Schwachen zu schützen oder gar zu stärken?
Wäre es nicht die Aufgabe des "Vaters", seine Kinder - in diesem Falle die Menschen, die (beruflich) in seinem Namen sprechen - erst einmal zu erziehen? Weshalb lässt er seine Kinder erst mit Steinen im Glashaus werfen? Und warum wollen die Aussenstehenden angeblich verstehen, dass der "Vater" schon alles richtig (bei der Erziehung) macht? Wieso soll ich "glauben", dass der Vater doch so sehr gegen solche Steinwürfe sein soll, wo ich doch das zerbrochene Glas, das verursachte Leid, selbst sehe? Weshalb soll ich glauben, ein Gott würde uns so sehr lieben, wärend seine engsten Mitarbeiter einen Keil zwischen der humanistischen Bewertung von homo- und heterosexuellen Menschen treiben? Oder, provokanter: weshalb tut Gott alles, um diese (von uns als falsch empfundene) Position *nicht* eigenhändig zu korrigieren? Weshalb müssen dies die sündenhaften Nichtgötter erledigen? Exakt die Menschen, denen man es *nicht* zutraut "wie Gott" bewerten zu können und zu dürfen? Weshalb erleben wir die Ohnmacht einer Gottheit, wollen aber ganz genau *wissen*, was Gott angeblich möchte und nicht möchte?
Hans Trutnau am Permanenter Link
Wieder einmal, Stefan, wird klarer, dass sich die ominöse Entität 'Gott' gemäß Ockhams Rasiermesser vollumfänglichst erübrigt - nur dass der Klerus davon noch nichts mitbekommen haben will.
Wolfgang am Permanenter Link
Sie fürchten weder Gott noch den Teufel, denn sie wissen, wie sie sich selbst ihren Glauben so zurecht biegen, wie er ihnen am besten in den eigenen Kram passt.
Eberhard am Permanenter Link
Kräht der Hahn auf dem Mist, bleibt alles, so wie es ist.