Kirchliches Arbeitsrecht

Stimmen zum Karlsruher Urteil

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Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe
Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe

BERLIN. (hpd) Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum kirchlichen Arbeitsrecht vom vergangenen Donnerstag ist auch im hpd kontrovers diskutiert worden. Die Stimmen reichen hierbei von Kritik bis zum Verständnis für die Entscheidung des Gerichts. Wir haben noch ein paar Stimmen dazu gesammelt.

Der hpd-Autor Walter Otte ist einer der Bundessprecher der Säkularen Grünen und Mitglied der Kommission des Grünen-Bundesvorstands zu “Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat”. Er erklärte zu dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts:

"Das Bundesverfassungsgericht hat die Chance einer Korrektur seiner bisherigen Verfassungsinterpretation zu einem sogenannten Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nicht genutzt und bleibt bei seiner bisherigen kirchenfreundlichen Grundgesetzauslegung. Bestätigt wird ein besonderes Kirchliches Arbeitsrecht, das diskriminierend in die Rechte der Beschäftigten, und zwar aus rein ideologischen Gründen, eingreifen darf.  Betont wird seitens des Bundesverfassungsgerichts ein grundsätzlicher Vorrang eines angeblichen Selbstbestimmungsrechts der Kirchen (Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV) vor den Grundrechten der betroffenen ArbeitnehmerInnen. Damit dürfen kirchliche Arbeitgeber in einem  erheblichen Maße selbst weit in das Privatleben ihrer Beschäftigten beeinflussen. Dies darf kein anderer Arbeitgeber in Deutschland. Man muss sich fragen, ob das Festhalten der Kirchen an einem besonderen Arbeitsrecht, das Menschenrechte der Beschäftigten eklatant verletzt, nicht ein deutliches Zeichen dafür ist, dass die Kirchen immer noch nicht ganz in der Demokratie angekommen sind.  

Die vom Bundesverfassungsgericht vertretene Auffassung ergibt sich nicht aus dem Grundgesetz, in dem die individuellen Grundrechte höchste Bedeutung haben, sondern ist lediglich Verfassungsinterpretation und Fortsetzung einer die Kirchen seit Jahrzehnten privilegierenden Rechtsprechung des höchsten deutschen Gerichts.  

Der Fall ist an das Bundesarbeitsgericht zur erneuten Entscheidung unter Beachtung der Leitsätze des Bundesverfassungsgerichts zurückverwiesen worden. Das Bundesarbeitsgericht wird damit erneut vom Bundesverfassungsgericht angewiesen, seine Ansätze zu einer grundrechtsorientierten Rechtsprechung im Kirchlichen Arbeitsrecht zurückzunehmen und zugunsten der Kirchen zu korrigieren. 

Es geht grundsätzlich um die Tätigkeit kirchlicher Unternehmen im Sozialleistungssektor. Dort wird nicht 'Armenfürsorge' betrieben und es werden keine Almosen gewährt. Es handelt sich um einen gesellschaftlich bedeutsamen  Bereich, auf dessen Leistungen Rechtsansprüche der BürgerInnen bestehen und der von der Allgemeinheit (durch öffentliche Zuwendungen und aus den Sozialversicherungskassen, nicht etwa aus Kirchensteuermitteln) finanziert wird. Wenn man dies berücksichtigt, ist der ausufernde 'Herr-im-Haus'-Standpunkt der Kirchen vollends inakzeptabel.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ignoriert die überragende Bedeutung der individuellen Grundrechte und geht an der Realität eines wichtigen gesellschaftlichen Dienstleistungssektors mit über 1,3 Millionen Beschäftigten vorbei. So schafft man keine gesellschaftliche  Befriedung."

 

Prof. Uwe Lehnert kommentierte nicht nur ausführlich im hpd selbst das Urteil, sondern schrieb auf Facebook in einer Stellungnahme:

"Sind wir doch ein Kirchenstaat? Keine Partei, keine Institution greift so tief in die verfassungsmäßig garantierten Rechte anderer Menschen ein wie die Kirchen.

Die Kirche darf in den von Staat und Sozialkassen vollständig finanzierten (!) kirchlichen Einrichtungen Wiederverheirateten kündigen – so die neueste Rechtsprechung des höchsten deutschen Gerichts. Es gibt eben in Deutschland Menschen mit unterschiedlichen Grundrechten. Wer dieser katholischen Religionsgemeinschaft nicht angehört oder säkularer Humanist oder gar – noch schlimmer – blanker Atheist ist oder sich nicht der rückschrittlichen Sexualmoral einer zur Enthaltsamkeit verpflichteten Altherren-Riege fügt, muss sich damit abfinden, dass er bestimmte Grundrechte nicht in Anspruch nehmen darf. Welche Grundrechte werden höchstrichterlich durch Verfassungsinterpretation außer Kraft gesetzt, also verletzt?

Verletzt wird der Gleichheitsgrundsatz und damit das Verbot der Benachteiligung aufgrund des Glaubens (Artikel 3, Absatz 3 GG), verletzt wird die Religionsfreiheit (Art. 4 GG), wozu auch gehört, keiner Religion anzugehören. Verletzt wird auch das Recht auf die Selbstbestimmung des privaten Lebens. In seinem Wesenskern verwehrt wird das Streikrecht sowie das Recht auf gewerkschaftliche Organisation (Art. 9, Abs. 3 GG), wonach Abreden, die dieses Recht einschränken oder behindern, nichtig sind. Verletzt werden auch mehrere Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention (u.a. das Diskriminierungsverbot). Wir sind eben eine Halbdemokratie. Aber ist das alles so verwunderlich? Das Bundesverfassungsgericht war es, das schon vor Jahrzehnten den Kirchen nachträglich (!) Recht gab, als diese aus dem grundgesetzlich verbürgten Recht der Selbstverwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten selbstherrlich das stark kompetenzerweiternde Selbstbestimmungsrecht machten. Es ist eben wie in einer Diktatur – die wichtigen Entscheidungen fallen hinter den Kulissen, vorbei an den Vertretern des Volkes. Wobei auch diese vielfach schon durch Ämter und Vergünstigungen ‘eingebunden’ sind: zum Beispiel durch wahlwirksame Kirchentagspräsidentschaften oder Sitze im Zentralkomitee der Katholiken oder der Synode der evangelischen Kirche oder durch lukrative Posten in den Unternehmen der Caritas und Diakonie.

Die Kirche bildet insofern einen Staat im Staat, mit eigenen Gesetzen vorbei an wesentlichen Grundsätzen der eigentlich für alle Menschen und Institutionen gleichermaßen verbindlichen Verfassung. Wie religiös neutral kann eigentlich ein Gericht sein, das regelmäßig mit Kirchenvertretern im Arbeitskreis ‘Foyer Kirche und Recht’ wichtige Angelegenheiten von gegenseitigem Interesse unter Ausschluss der Öffentlichkeit bespricht?

Schon vor Jahren sah die Giordano-Bruno-Stiftung die richterliche Unabhängigkeit der Richter des Bundesverfassungsgerichts gefährdet, weil über besagten Arbeitskreis Arbeitsgespräche z. B. zwischen Bundesverfassungsgericht und den beiden Kirchen stattfinden."

Für die Laizistinnen und Laizisten in der SPD schreibt Nils Opitz-Leifheit (ebenfalls bei Facebook):

"Das Bundesverfassungsgericht hat sich unlängst mit der Kündigung eines Arztes in einem katholischen Krankenhaus wegen seiner Wiederverheiratung als Geschiedener befasst. Im hierzu am 22. Oktober in Karlsruhe ergangenen Beschluss wird das Urteil des Bundesarbeitsgerichts, welches dem Arzt in seiner Kündigungsschutzklage Recht gegeben hatte, aufgehoben. Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist ein rechtspolitischer Rückschritt und eine schwere Enttäuschung für die vielen Betroffenen und ihre Familien.

Besonders schwer wiegt bei der Entscheidung, dass die Richter die Chance zur Korrektur des sich angeblich aus dem Grundgesetz ergebenden Selbstbestimmungsrechts der Kirchen nicht genutzt haben. Diese verhängnisvolle Überinterpretation des Artikel 140 GG in Verbindung mit Artikel 137 Abs. 3 WRV ist erst Mitte der 80er Jahre begründungslos vom Verfassungsgericht selbst vorgenommen worden. Tatsächlich weist der Artikel 137 Abs. 3 WRV aber den Religionsgemeinschaften lediglich das Recht zu, ihre Angelegenheiten innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes selbst zu ordnen und zu verwalten. Ein Selbstbestimmungsrecht der Kirchen ist aus diesem Ordnungs- und Verwaltungsrecht aber nicht abzuleiten. Diese Fehlinterpretation wurde auch beim jüngsten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nicht korrigiert.

Kritikwürdig am jüngsten Beschluss ist auch die weite Auslegung des kirchlichen Bereichs. Das kirchliche Selbstordnungs- und Verwaltungsrecht soll sich danach nicht nur auf den verkündungsnahen Bereich der Kirchen erstrecken. Auch alle weiteren Einrichtungen seien unabhängig von ihrer Rechtsform davon erfasst. Lediglich bei ganz überwiegender Gewinnerzielung befinde sich eine Organisation der Kirchen außerhalb dieses Privilegs. Damit ignorieren die Verfassungsrichter, dass sich auch die sozialen Einrichtungen der Kirchen und ihrer Träger längst fast vollständig aus öffentlichen Geldern bzw. Geldern der Sozialversicherungen finanzieren. Hier den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den allgemeinen Rechtsschutz zu verwehren, ist deshalb falsch und unzeitgemäß.

Ein kleiner Lichtblick im Beschluss der Verfassungsrichter findet sich lediglich im Bereich der Güterabwägung, denn Karlsruhe macht ausdrücklich klar, dass das kirchliche Selbstordnungs- und Verwaltungsrecht nicht schrankenlos gilt. Es gilt nur in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Deshalb können im Einzelfall zum Beispiel der Schutz von Ehe und Familie (Artikel 6 Abs. 1 GG) oder der Vertrauensschutz (Artikel 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 3 GG) überwiegen und den Beschäftigten vor der beeinträchtigenden Entscheidung der Kirchen schützen. Es ist deshalb nicht unwahrscheinlich, dass der hier gekündigte Arzt im erneuten Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gegenüber der katholischen Kirche Rechtsschutz erhält.

Wir halten fest: Der jüngste Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hat die Benachteiligungen der Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen nicht beendet. Die Arbeit bei kirchlichen Arbeitgebern bleibt vorerst für den Einzelnen eine Beschäftigung mit weniger Rechten, schwächerem Rechtsschutz und der latenten Gefahr der Diskriminierung. Gerade deshalb ist auch unser Einsatz für eine rechtliche Gleichstellung aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiterhin erforderlich."

 


siehe zum Thema auch:
Ein skandalöses Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Wir werden dieses Urteil nicht klaglos hinnehmen!
Schäumen hilft nicht
Entscheidung kommt nicht überraschend