Eine menschenrechtliche Bewertung

Kirchliches Selbstbestimmungsrecht und individuelles Arbeitsrecht

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BERLIN. (hpd) Die eigene Religion, die sexuelle Orientierung oder der Wunsch, nach einer gescheiterten Ehe wieder zu heiraten, können eine Anstellung bei einem kirchlichen Träger ausschließen oder eine Kündigung nach sich ziehen. Kam es deswegen in der Vergangenheit zu einem Streit, räumten die Gerichte dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen in der Regel den Vorrang ein.

Das Bundesverfassungsgericht unterstrich mit einem umstrittenen Urteil Ende 2014 erneut die Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften (auch wenn das Grundgesetz, Art. 137 nur von einem "Selbstverwaltungsrecht" spricht). Damit könnte der Eindruck entstehen, das Verhältnis der Religionsfreiheit der beiden großen Kirchen in Deutschland zu den individuellen Grund- und Menschenrechten ihrer Mitarbeitenden sei abschließend zugunsten der kirchlichen Position geklärt.

"Das ist jedoch nicht der Fall. Das Gericht hob ebenso die Notwendigkeit hervor, die widerstreitenden Rechtspositionen ergebnisoffen abzuwägen" heißt es in der Einleitung zu einem aktuellen Paper des Deutschen Institutes für Menschenrechte.

Das Policy Paper "Kirchliches Selbstbestimmungsrecht und individuelles Arbeitsrecht - eine menschenrechtliche Bewertung" von Sebastian Müller fordert dazu auf, in Deutschland das Verhältnis zwischen dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht und den individuellen Menschenrechten der Beschäftigten und der Bewerberinnen und Bewerber neu auszutarieren.

In der Zusammenfassung des Artikel heißt es: "Die beiden großen Kirchen können vor dem Hintergrund ihres Ethos und ihrer religiösen Überzeugungen den Zugang zu einem Beschäftigungsverhältnis sowie die Loyalitätspflichten während eines Anstellungsverhältnisses selbst bestimmen. Das ist Teil der korporativen Dimension der Religionsfreiheit und als Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaft grund- und menschenrechtlich verankert."

Für den Autoren des Papers zeigen Entwicklungen innerhalb der kirchlichen Träger und die Debatten um die Grundordnungen, "dass die Kirchen daran arbeiten, Loyalitätspflichten und die Lebenswirklichkeit sowie die individuellen Menschenrechte mehr und mehr in Einklang zu bringen." Das löst allerdings noch längst nicht das bestehende "Spannungsverhältnis zwischen dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht und den individuellen Menschenrechten" auf.

"Die eigene Religion und Weltanschauung, die sexuelle Orientierung oder der Wunsch, nach einer gescheiterten Ehe wieder zu heiraten, können eine Anstellung damit ausschließen oder – je nach Fallgestaltung - eine Kündigung nach sich ziehen. Hierbei stehen dem menschenrechtlich fundierten Selbstbestimmungsrecht der beiden großen Kirchen die individuellen Menschenrechte gegenüber."

Es wird deshalb empfohlen: "In Deutschland sollte das Verhältnis zwischen dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht als Ausdruck der korporativen Dimension der Religionsfreiheit und den individuellen Menschenrechten der Beschäftigten und Bewerberinnen und Bewerber neu austariert werden. Die Stärkung des Abwägungserfordernisses in der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bieten dazu zusätzlich Anlass. Eine Abwägung von Rechtspositionen durch die nationalen Gerichte erfordert, dass alle Bewertungsmaßstäbe in den Prozess einfließen und tatsächlich miteinander abgewogen werden. Wenn jedoch ein Bewertungsmaßstab durch das Selbstverständnis eines Rechtsträgers mit der Folge bestimmt wird, dass er regelmäßig den Ausschlag in der Entscheidung gibt, findet keine eigene Abwägung mehr statt. Das gilt für den Zugang zu Beschäftigungsverhältnissen wie auch bei Kündigungsverfahren."

Auch an die Politik ergeht eine Aufforderung: "Der Gesetzgeber sollte die Ausnahme im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz für die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften orientiert am Wortlaut der EU-Gleichbehandlungsrichtlinie enger fassen, um so den individuellen Menschenrechten mehr Geltung zu verschaffen."

Ob diese Haltung grundsätzlich gerechtfertig ist, muss jedoch stark bezweifelt werden. Denn keinesfalls dürfen Menschenrechte aufgerechnet werden. Und schon gar nicht mit dem diskriminierenden kirchlichen Arbeitsrecht. 

Es genügt deshalb keinesfalls, das kirchliche Arbeitsrecht nur zu reformieren; es gehört grundsätzlich abgeschafft. Hier irrt der Verfasser des Papers; auch wenn es zu begrüßen ist, dass sich das Institut für Menschenrechte mit dem Thema befasst hat.