Bildung
Auch im deutschen Bildungssystem finden sich Benachteiligungen konfessionsfreier und nichtsreligiöser Menschen und von deren Kindern. Denn "während es katholischen, evangelischen oder islamischen Religionsunterricht generell ab der ersten Klassenstufe gibt, werden Eltern und SchülerInnen, die Interesse an Alternativfächern haben, in unterschiedlicher Weise benachteiligt."
Zum einen gibt es kaum Alternativen zum Religionsunterricht, und wenn, dann häufig erst in den höheren Klassenstufen. Die Zulassung eines bekenntnisgeprägten, nichtreligiösen Faches gelang bisher nur in Berlin ("Humanistische Lebenskunde" - mit derzeit rund 56.000 SchülerInnen). Das "Berliner Modell" weist zudem noch den gemeinverbindlichen, integrativen Etikunterricht auf. Die Einführung dieses Modells fordert der Bericht für alle Bundesländern.
Zudem werden SchülerInnen zu spät und nicht ausreichend genug mit der Evolutionstheorie bekannt gemacht. Vier Schuljahre Religionsunterricht gegen einige wenige Unterrichtsstunden.
Ein ähnlich trauriges Bild zeigt sich an den deutschen Hochschulen: es gibt an vielen Hochschulen und Universitäten zwar theologische Lehrstühle; aber an keiner einzigen einen, der "sich der Erforschung und der Ausarbeitung des Humanismus als bedeutender weltanschaulicher Traditionslinie neben den Religionen auf akademischer Augenhöhe widmen könnte…"
Gesundheitswesen
In diesem Teil des Berichts verweisen die Autoren nicht so sehr auf die (oben bereits abgehandelte) Diskriminierung der MitarbeiterInnen des Gesundheitswesens, sondern auf die der Patienten. Tatsächlich erhalten konfessionsfreie BürgerInnen nicht in allen Einrichtungen den gleichen Umfang an Leistungen. Erinnert sei an den Skandal, als Ende 2012 einer vergewaltigten Frau in Köln von zwei Klinken in kirchlicher Trägerschaft die "Pille danach" verwehrt wurde.
Auch gibt es keine nichtreligiöse "seelsorgerische" Betreuung in Krankenhäusern (und anderen öffentlichen Einrichtungen). "Gespräche über Sinnfragen und Bedürfnisse nach Halt und Orientierung, wie sie in Grenzsituationen aufkommen können, erfordern Vertrauen und Übereinstimmung. Dies können nur BeraterInnen mit einer weltanschaulich profilierten Qualifikation und einem entsprechendem persönlichen Hintergrund bieten."
Viele Kliniken haben eine Ethikkommission, in denen z.B. über Behandlungsabbrüche oder Ausdeutungen einer Patientenverfügung beraten wird. In diesen Gremien sitzen häufig auch Krankenhausseelsorger. "Für nichtreligiöse Menschen ist es nicht unbedingt wünschenswert, dass in solchen Situationen eine Pfarrerin über ihre Behandlung oder deren Abbruch mitentscheidet." Hier sollten unbedingt auch Menschen mit einer humanistischen Weltanschauung beteiligt werden, fordern die Autoren.
Rundfunkräte, Kirchensteuern, Bundeswehr
Schon die Überschrift des Absatzes macht deutlich, an wie vielen Stellen sich die Religionsgemeinschaften Privilegien gesichert haben, die für ein Drittel der Bevölkerung nicht einmal in Erwägung gezogen wird.
In den Rundfunkräten haben die Religionsgemeinschaften feste Plätze; kein einziger konfessionsfreier Vertreter ist in ihnen vertreten. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der von allen BürgerInnen finanziert wird, privilegiert unverhohlen christliche Verkündigungssendungen. "Insbesondere für nichtreligiöse, humanistisch eingestellte Hörerinnen und Zuseher ist es ein als Diskriminierung erfahrenes Ärgernis, für Kirchenwerbung zahlen zu müssen, eigene Anliegen aber in der journalistischen Praxis der Sender kaum repräsentiert zu sehen."
Die Kirchensteuer wird im Bericht als "Wurzel vielen Übels" bezeichnet. Nicht zu Unrecht, wie die aufgeführten Beispiele belegen. Abgesehen davon, dass sich die BürgerInnen dem Staat gegenüber via Steuerkarte als Angehöriger oder Nichtangehöriger einer Religionsgemeinschaft ausweisen müssen, können so auch Arbeitgeber und selbst die Banken in Erfahrung bringen, ob und welcher Glaubensrichtung "ihre Beschäftigten, Kunden und Klienten ggf. angehören."
Für die Bundeswehr gilt das für das Gesundheitswesen bereits Gesagte: Auch hier gibt es keine Alternativen zu den Militärseelsorgern.
Weiteres
Nur noch in Stichworten ein paar Felder, wo es eine Privilegierung der Religionsgemeinschaften gibt:
- Finanzielle Zuwendungen des Staates
- Kirchentage (Zuwendungen durch Steuermittel)
- Stille Feiertage und “Tanzverbote”
- der sog. “Blasphemie”-Paragraph
Für Leser des hpd sind all die angesprochenen Punkte nicht neu; Überraschungen dürften deshalb ausfallen. Doch lohnt es sich trotzdem, die Broschüre anzusehen: in so knapper und knackiger Form gab es das bislang selten.
Kursiv gesetzte Zitate entstammen dem Bericht.
Der Bericht kann seit heute auf der Seite “Gläserne Wände” als PDF heruntergeladen werden.
siehe auch: "Ja, ich will – gleiche Rechte!"
2 Kommentare
Kommentare
Wolfgang Graff am Permanenter Link
Die Zusammenstellung ist eine gute argumentative Hilfestellung. Insofern kann man ihr wünschen, dass sie von Vielen gelesen wird.
Warum aber diese Opfermentalität: "Wie schrecklich ist es doch, dass wir armen säkularen Humanisten so diskriminiert werden!"?
Wie wäre es denn, wenn sich die in ihrer Einzigartigkeit sonnenden kleinen humanistisch-säkularen Organisationen zusammenschlössen und eine professionelle Mitgliederwerbung betreiben würden?
Recht haben und Recht bekommen sind bekanntlich zwei paar Stiefel.
Ich bin überzeugt, wenn die 25 Millionen Konfessionsfreien überhaupt einmal wüssten, dass es eine humanistische Bewegung gibt, dann kämen auch die Mitglieder und damit die Schlagkraft, etwas durchzusetzen.
P.S.: Wie geht es übrigens dem KORSO?
Rainer Rosenzweig am Permanenter Link
Lieber Wolfgang Graff,
zum P.S.: Der KORSO hat ein internes Thesenpapier mit 80 als Fragen formulierten Positionen herausgebracht und den in ihm organisierten Verbänden zur Beantwortung zugesandt. Die Positionierung der einzelnen Verbände zu diesen Fragen ist in den Endzügen, aber noch nicht endgültig abgeschlossen. Sobald die endgültigen Positionen vorliegen, wird sie der KORSO auf seiner Homepage (die Ende des Jahres einen Relaunch plant) darstellen: http://www.korso-deutschland.de. Schauen Sie also doch ab und zu mal dort vorbei!
Der KORSO tut also zunächst mal das, was sein Name sagt: er *koordiniert* die in ihm zusammengeschlossenen unterschiedlichen säkularen Organisationen. Da er über keine hauptamtliche Geschäftsstelle und auch keine weiteren nennenswerten Ressourcen verfügt, tut der KORSO gut daran, sich im Rahmen seiner Möglichkeiten auf Dinge zu konzentrieren, die verlässlich machbar und seriös darstellbar sind. Wichtig ist derzeit, dass der KORSO sich den Verbänden gegenüber als zuverlässiger und vertrauenswürdiger Partner erweist. Hierfür ist ein fundiertes und nachhaltiges Auftreten nach innen erforderlich, das nichts verspricht, was nicht gehalten werden kann und genau das aktiv unternimmt, was im Interesse aller Verbände vertreten und inhaltlich durchgehalten werden kann.
Das mag nach außen hin etwas langweilig klingen, aber die Geschichte des KORSO rät davon ab, ihn permanent mit allerlei Aktivismus-Erwartungen zu überfrachten. Wenn man möchte, dass der KORSO (vielleicht später mal) über seine Koordinierungsfunktion hinaus Aufgaben übernimmt, dann müssen die Organisationen den KORSO entsprechend beauftragen und mit den notwendigen Ressourcen ausstatten, damit die für eine kontinuierliche Arbeit erforderlichen Strukturen aufgebaut werden können. Das ist derzeit nicht in Sicht. Die Verbände fühlen sich ja in ihren Bereichen stark und sind ja im eigenen Sinne auch präsent, wenngleich man immer auch wünschen kann, dass sie noch stärker werden und noch präsenter auftreten. Dazu muss man dann aber erst einmal die Verbände stark machen - zum Beispiel indem man einem Verband im säkularen Spektrum (oder mehreren) beitritt.
Um die P.S.-Frage also (als KORSO-Vorstandsmitglied) zu beantworten: Dem KORSO geht es seiner Rolle und den Umständen entsprechend gut.