BONN. (hpd) Der Philosoph Bernhard H. F. Taureck legt in seinem schmalen Band "Manifest des veganen Humanismus" ein Plädoyer für ein Ende der menschlichen Tiernutzung in all ihren Bezügen vor. Auch wenn er etwas fragemtarisch und unstrukturiert vorgeht, kann er gute theoretische Argumente für eine Erweiterung des anthropozentrischen hin zum veganen Humanismus vorlegen.
Der Humanismus stellt den Menschen in den Mittelpunkt seines Selbstverständnisses. Daraus ergeben sich nicht notwendigerweise besondere Auffassungen, die etwa gegenüber den Tieren eingenommen werden könnten. Bezogen auf diese kann man ebenso die Ausnutzung bis zur Tötung wie die Entnutzung als Veganertum einfordern. Der Philosoph Bernhard H. F. Taureck gehört zu den Anhängern der letztgenannten Position. Denn er plädiert für eine Abkehr von einem menschenzentrierten hin zu einem veganen Humanismus. Dies ist das Anliegen seines gerade mal knapp über hundert Seiten starken Bandes "Manifest des veganen Humanismus". Denn: "Mit dem Ende aller Tiernutzung soll eine Bedingung geschaffen werden, dass die Tiere ihre moralischen Qualitäten ohne Anleitung und Beeinflussung durch die Menschen unter sich zur Geltung bringen. Wir haben die Pflicht, sie zu einer eigenen Ausübung ihrer Lebensansprüche frei zu lassen. Das Recht der Tiere besteht nur in Einem: Im Recht zur Regulation ihrer Angelegenheiten durch niemanden als sie selbst" (S. 13).
Bereits zu Beginn nimmt der Autor indessen eine Distanzierung von und eine Kritik an der Auffassung mancher Tierschützer vor, welche von der Ähnlichkeit oder Gleichheit von Mensch und Tier ausgehen. Demgegenüber betont er zunächst die Besonderheiten der Menschen hinsichtlich ihrer Projekte und demgegenüber die Andersheit aufgrund deren Fehlens bei den Tieren. Bei all dem nehme indessen der Mensch eine Nutzensperspektive gegenüber den Tieren ein. Gleichzeitig ignoriere er dabei die Folgen seines Handelns, etwa in Gestalt des Fleischkonsums, wobei dieser durch scheinbare Argumentation oder stumme Vermeidung nicht hinterfragt werde. Indessen sei diese Auffassung eher das Ergebnis neuerer Entwicklungen in der Geschichte, insbesondere des entfesselten Anstiegs der Güterproduktion. In der Antike habe es ein anderes Bewusstsein gegeben. Es bestand damals - weder als alleinige noch als dominierende Auffassung – aber durchaus ein veganer Humanismus. Als heute noch bekannteste Protagonisten gelten Pythagoras und Ovid.
Dann springt Taureck historisch nach vorn in das Zeitalter der Aufklärung. Kant habe zwar ebenfalls in Tieren nur Instrumente oder Objekte gesehen. Gleichwohl könne man mit Kant über Kant hinausdenken, was in seinem "Imperativ der ausnahmslosen Entnutzung der Fauna" mündet: "Niemand darf Tiere zum Zweck irgend einer Nutzung durch den Menschen weder halten, noch züchten, noch töten, noch zum Verzehr bringen, noch verzehren, noch sie dessen berauben, was sie für ihren eigenen Bedarf hervorbringen" (S. 69). Im Kontext dieser Ausführungen nimmt der Autor eine kurze Kritik an den Begründungen für den Fleischkonsum vor (vgl. S. 81) und setzt sich kritisch mit einschlägigen Diskursbestandteilen wie der Beschwörung der Toleranz durch Fleischkonsumenten (vgl. S. 89–95) auseinander: "Ihr Toleranzverhalten ist als Maske ihrer Tötungsbejahung der Tiere enttarnt. Sie tun so, als äßen sie ihren Geschmack und nicht getötete Lebewesen" (S. 94). Taureck geht aber weit darüber hinaus und plädiert für eine vollständige Entnutzung der Tiere.
Der Band wirkt in seiner Argumentation ein wenig fragmentarisch und unstrukturiert. Gleichwohl kann er für die Auffassungen gute Gründe benennen: Indessen fragt man sich, ob grundsätzlich ein Abschied vom menschenzentrierten Humanismus genommen werden muss. Die von dem Autor kritisierten Formen des Humanismus bedürfen hier nur einer selbstkritischen Aufklärung, die indessen die Achtung anderer leidensfähiger Lebewesen mit einbezieht. Es wäre von daher kein Bruch und Dissens, sondern eine Ergänzung und Weiterentwicklung. Taureck macht dies selbst anhand seiner Ausführungen im Kontext von Kants Kategorischem Imperativ deutlich. Beachtenswert ist darüber hinaus, dass der Autor eben nicht von einer Gleichsetzung von Mensch und Tier ausgeht und auch nicht Rechte den Tieren zusprechen will. Er bemerkt etwa: "Wir Menschen haben Pflichten gegenüber Tieren, obwohl oder weil diese keine von uns zu verwaltenden Rechte haben" (S. 106). Insofern birgt der alte menschenzentrierte als Konsequenz den neuen veganen Humanismus in sich.
Bernhard H. F. Taureck, Manifest des veganen Humanismus, Paderborn 2015 (Wilhelm Fink-Verlag), 124 S., 14,90 Euro
18 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Der Humanismus stellt den Menschen in den Mittelpunkt seines Selbstverständnisses." Der sog. klassische Humanismus. Der evolutionäre Humanismus nicht.
Johannes Freundlich am Permanenter Link
Das nenn ich mal eine Weiterentwicklung!
Klingt äußerst vielversprechend.
DerTheoretiker am Permanenter Link
Mir scheinen einige praktische Fragen bei Diskussionen über Veganertum oft zu kurz zu kommen:
1) Ist eine vegane Ernährung wirklich für jeden problemfrei möglich? Gerade im Hinblick auf Kinder, aber auch Menschen mit speziellen Nähstoffanforderungen, ist mir keine fundierte wissenschaftliche Quelle bekannt, die eine vegane Ernährungsweise uneingeschränkt empfiehlt.
2) Ist eine ausgewogene vegane Ernährung unter Einsatz ausschließlich heimischer Nahrungsmittel überhaupt möglich? Viele Nussarten, z.B. Paranuss, Erdnuss, Sesam wachsen hier schlicht und einfach nicht.
Auch wenn die derzeitige durchschnittliche Ernährungsweise der Menschen nicht den beiden oben angeführten Kriterien entspricht, sollte doch eine als ethische Norm ausgerufene Ernährungsweise - zumindest theoretisch - in der Lage sein, beide Kriterien zu erfüllen.
Ina Müller am Permanenter Link
Der Artikel liest sich aus Sicht eines Vertreters der "entwickelten Welt" einleuchtend und nachvollziehbar, auch aufgrund problemloser Substitutionsmöglichkeit benötigter Nährstoffe Dank hervorragender Super
Ernst Voll am Permanenter Link
Berechtigte Frage. Es gibt dazu im Internet die widersprüchlichsten Aussagen. Ich persönlich würde davon abraten Kinder vegan zu ernähren. Eisen und Eiweiß ist für die Entwicklung von Kinder dringend notwendig.
Christian am Permanenter Link
Ich gebe Ihnen teilweise Recht. Diese Bedingungen einer gesunden Ernährung müssen für die Umsetzung erfüllt sein. Und das sind sie in den westlichen Industrienationen.
Ernährungsphysiologisch ist alles bekannt, was der Körper für Entwicklung und Überleben braucht. Im Gesundheitswesen ist die parenterale Ernährung bspw. für Palliativpatienten gut untersucht und an der Tagesordnung. Alles davon lässt sich in vitro herstellen, durch pflanzliche Pandants ersetzen und nach Bedarf kombinieren. Wenn man nun nicht von einer intravenösen Ernärhung abhängig ist, kann man muss der Genuss darunter auch nicht leiden ;)
Lediglich über die Quantität kann ich mir nicht vorstellen, dass man sich bzgl. der kindlichen Entwicklung und der Langzeitfolgen in allen Punkten sicher ist. Man ist es ja teils nicht einmal beim Erwachsenen... das fängt bei alltäglichen Dingen/empfohlenen Mindestdosen wie Vitamin D an. Da gibt es alljährlich neue Studienergebnisse und das muss nicht immer etwas mit 'Tier' zu tun haben.
Im Moment sehe ich die Sache so, dass Kinder -wie Tiere auch- nicht die Wahl haben und durch ihr natürliches Abhängigkeitsverhältnis zu den Eltern automatisch in einer natürlich-ölologischen Rolle stecken, die eine human-physiologische ausgewogene Ernährung (also inkl. Tierischem) erfordert, da nur sie für eine fehlerfreie Entwicklung garantieren kann (Sonderfälle wie Gendefekte, Allergien, Unverträglichkeiten und dergleichen mal ausgenommen).
Ob und inwiefern Säuglinge/Kinder zum 'Dummy' der Ideologie ihrer veganen Eltern gemacht werden sollten... nun, das ist ein heikles Thema, über das ich froh bin, mir momentan als Veganer keine Gedanken machen zu müssen. Ich hoffe, in Zukunft von der Entschlossenheit veganer Eltern profitieren zu können; auch wenn ich diese momentan noch kritisch sehe.
Die wissenschaftliche Grundlage hierfür sollte eine epdimiologische Untersuchungen der aktuellen Tier-frei lebenden Konsumenten in einigen Jahren vorliegen, wenn nicht schon geschehen. Theoretisch könnten immer noch unberücksichtigte Peptide oÄ. aus tierischen Erzeugnissen ein Zünglein an der Waage sein... aber das ließe sich wohl nie ausschließen. Hier gilt: wer behauptet, der muss auch liefern. Bislang ist mir nichts dergleichen bekannt und daher sind derartige Spekulationen auch nicht haltbar.
Hans Trutnau lässt es in seinem Kommentar durchblicken. Der evolutionäre Humanismus ist geprägt von der Eigenschaft sich zu evolvieren und der vegane Humanismus kann durchaus eine "Stufe" darstellen... ich betrachte diese beiden Formen daher bereits als ein und das selbe.
Kritisch wird es, wenn man die Frage nach Arten stellt, die nicht bewusst vom Menschen gehalten, gezüchtet und genutzt werden. Unsere Zivilisation schafft Habitate. Dürfen/sollten/können Veganer auf Ungeziefer (bspw. Ratten) reagieren, das die Ernte bedroht? Fordert der vegane Humanismus mit seinem Anspruch "im Recht zur Regulation ihrer Angelegenheiten durch niemanden als sie selbst", dass diese als "unnatürliche Art" in natürliche Habitate zurückgedrängt werden müssen, wo sie ohne anthroposophischen Einfluss sich selbst überlassen sein kann...? Von 'Freilassen' kann hier ja keine Rede sein. Wie man es dreht - es ist utopisch.
Oder ist ein Kampf gegen Schädlinge in ihrer "neuen, natürlichen Umgebung" erlaubt? Meiner Meinung nach besteht sogar ein -wenn auch menschengemachtes- ökologisches Verhältnis zwischen Mensch und Tier, das uns keine andere Wahl lässt, entsprechend zu unserem eigenen Nutzen zu handeln (sprich: Schädlingsbekämpfung), wie wir es nach heutigem Standpunkt vor 100 Jahren mit dem eignen Hausschwein auch tun durften/mussten: Es essen, weil es eine essentielle Nahrungsquelle darstellte.
Ich sehe jedoch noch einen Punkt kritisch:
Was ist mit Tierarten, die über Jahrtausende domestiziert wurden (und damit meine ich nicht die modernen Hochleistungskühe). Was spricht dagegen überschüssige Milch nach Abstillen eine Kalbes oder die unbefruchteten Eier eines Huhnes zu nutzen, wenn kein Tierleid damit verbunden sind. Die (kulturelle) Co-Evolution von Mensch und Haus-/Nutztier ist eine Tatsache. Natürlich könnte man Zuchtformen nun "auslaufen" lassen... wie auch immer das aussehen mag. Aber der gesundheitliche Benefit allein vom Zusammenleben mit Tieren ist in vielerlei Hinsicht belegt; Stichwort: Allergien.
Hans am Permanenter Link
Zu Punkt 1) "Für jeden möglich" ist sicher gegeben. Die Nahrungsmittelindustrie hält jeden lebensnotwendigen Stoff notfalls in Pillenform bereit.
Zu Punkt 2) Ich sehe die Sinnhaftigkeit nicht hinter der Behauptung, dass wir uns ausschließlich von der eigenen Ackerscholle zu ernähren hätten. Ich halte internationalen Handel für friedensfördernd und deshalb auch ethisch sinnvoll. Aber wenn man nun Ihre merkantilistische oder sonst wie verquere Denkweise als gegebene Ethik hinnehmen wollte: Ja, es ist im Prinzip möglich sich rein lokal vegan und gesund zu ernähren.
Brigitta Blume am Permanenter Link
Und woher stammen dieRohstoffe für die "Pillen" ?
Zu kurz gedacht.
Hans am Permanenter Link
Frau Blume, über 90% des produzierten Vitamin B12 landet in der Tiermast. Woher stammen denn die Rohstoffe für diese mehr als 90% des Vitamin B12?
Thorsten am Permanenter Link
Ich bin zwar selbst Vegetarier, halte eine allgemeine Forderung nach Vegetarismus oder Veganismus für falsch.
Aus der Perspektive der Ernährungssicherheit steht fest: Wir haben große Flächen, die sich nur für die Tierhaltung eignen. Hier seien nur die vielen Weidewiesen oder die Hänge in bergigen Regionen genannt. Hier kann aus Gras, dass vom Menschen nicht verwertet werden kann, hochwertiges tierisches Protein erzeugt werden. Bei gutem Management steigert man sogar die Biodiversität. Gleichzeitig entstehen in unserer Ernährungsindustrie zahlreiche Nebenprodukte (z.B. im Bäckerhandwerk oder der Milcherzeugung) die man entweder entsorgen kann oder an Tiere (wie Schweine und Hühner) verfüttert. Ein nachhaltige Landwirtschaft braucht Tierhaltung! Dennoch sollte der Anbau von Tierfutter nicht in Konkurrenz mit dem Anbau von direkt vom Menschen verwertbarer Nahrung treten. Das hat vermutlich zur Folge, dass man seinen Fleischkonsum erheblich einschränken muss.
Um das maximale für Tierwohl, Klima- und Umweltschutz herauszuholen, benötigt man vermutlich das beste aus beiden Welten: Konventioneller und ökologischer Landwirtschaft. Mir gefällt zum Beispiel in der Schweiz, dass die "konventionelle" Landwirtschaft dort einen ökologischen Leistungsnachweis erbringen muss, der offenbar dazu führt, dass die Bodenqualität nicht abnimmt. Zumindest war in Studien kein Unterschied nachweisbar.
Gabriele Votava am Permanenter Link
Die Frage, ob Menschenernährung auf rein pflanzlicher Basis möglich ist, wird in der Regel von jenen gestellt, die dies von vorn herein nicht glauben(wollen).
Ernst Voll am Permanenter Link
Weder ein anthropozentrischer noch ein veganer Humanismus wird in einer kapitalistischen Welt funktionieren. Längst steht doch nicht mehr der Mensch im Mittelpunkt, sondern das Kapital.
Dennoch ist das Buch sehr lesenswert, weil es durchdachte Argumente bringt und vor allem die Verweigerung der Selbstreflektion der Ausbeuter, im Buch die Fleischesser und Fleischproduzenten, verdeutlicht.
Allerdings ist dies nicht nur ein Verhalten bei den Fleischkonsumenten, sondern bei allen aktiven Protagonisten in einer kapitalistischen Gesellschaft.
Frank Linnhoff am Permanenter Link
"Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann. Es begab sich aber nach etlicher Zeit, dass Kain dem Herrn Opfer brachte von den Früchten des Feldes.
Dieser Ausschnitt aus dem Buch Genesis zeigt uns, wie sehr das Volk der Hebräer fettes Fleisch den Früchten des Ackerbaus vorzog. Es kam dann sogar noch schlimmer, als der Ackermann Kain seinen Bruder Abel erschlug.
Ist nicht wahrer Humanismus, wenn Schäfer und Ackermann als gleichwertige Menschen angesehen werden, sich keine Feindschaft aufbaut? Ich, für meinen Teil, halte nicht viel vom "Manifest des veganen Humanismus". Wahrer Humanismus trennt nicht, sondern verbindet.
Naiver Skeptiker am Permanenter Link
Der HPD scheint sich immer mehr zum Sprachrohr der Verkünder der veganen Heilslehre zu entwickeln.
Ich halte diese Entwicklung für außerordentlich bedauerlich, zumal Veganismus eine zutiefst inhumane Ideologie bzw. Glaubenslehre darstellt, deren Vetreter - wie sollte es auch anders sein - sachlichen Argumenten kaum mehr zugänglich sind.
Im Übrigen halte ich es für bedenklich, wie die Vetreter des Veganismus bzw. Tierrechtler den Begriff Humanismus vereinnahmen.
Und zum Essen:
Die menschliche Ernährung im Sinne des Veganismus zu moralisieren, ist ein Irrweg, der die Biologie missachtet, der umerziehen soll und die Freiheit mit Füßen tritt.
Möge die Menschheit ein solches vegan-tierrechtslerisches Experiment überleben!
Von mir weiß ich: ich würde es nicht (die weiter oben beschriebenen Nahrungsmittelunverträglichkeiten).
Naiver Skeptiker am Permanenter Link
Vertreter natürlich ...
Antonietta am Permanenter Link
Eine vegane Ernährung ist deutlich umweltfreundlicher als die übliche, fleisch- und käsebetonte Durchschnittskost: Sie verbraucht weniger Energie, Rohstoffe und Wasser, belegt weniger Landfläche und erzeugt deutlich w
Brigitta Blume am Permanenter Link
"Belegt weniger Landfläche" ist richtig.
Brigitta Blume am Permanenter Link
Schon wieder ein Pol/Soz , der an der Praxis vorbei denkt. Schöner Traum, für einige wenige Reiche auf Kosten der Anderen, aber auf der Ebene der (Ur-)Produktion nun mal absolut nicht umzusetzen.