Urbane Legenden von lustig bis rechtslastig-esoterisch

Horror, Spuk und Bloody Mary

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Alexander und Alexa Waschkau
Alexander und Alexa Waschkau

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Alexander und Alexa Waschkau, stehend: Holm Hümmler
Alexander und Alexa Waschkau, stehend: Holm Hümmler

FRANKFURT/M. (hpd) Letzten Freitag lasen die "HoaXillasAlexa und Alexander Waschkau im Frankfurter "Club Voltaire". Zwei urbane Legenden aus ihrem Sammelband "The Hoax Files" stellten die beiden Skeptiker vor, dann gingen sie über zu den Verschwörungstheorien von Dr. Axel Stoll, dem letztes Jahr verstorbenen Gründer des "Neuschwabenlandforums".

Eingeladen hatten die Skeptiker von der GWUP und die KunstGesellschaft. Holm Hümmler, Sprecher der Regionalgruppe Rhein-Main der GWUP, moderierte den Abend vor gut besuchtem Haus.

Mit "Bloody Mary" assoziiert man gerne einen Cocktail (aus Wodka und Tomatensaft) – doch die Podcaster von hoaXilla.com referierten eine Schauergeschichte und ein Ritual v.a. präpuberärer amerikanischer Mädchen – um dann zu fragen, wer so was warum erzählt? Hat der Ritus einen Zweck? Zumal, wenn er von zwölf- bis fünfzehnjährigen Mädchen auf Pyjamapartys nachgespielt wird?

Sodann lasen die beiden Skeptiker ein Kapitel aus dem neuen, im November erscheinenden zweiten Band der "HoaX Files": eine Vampirgeschichte rund um den holländischen Arzt Gerald van Swieten, der für die österrische Kaiserin Maria Theresia Anfang des 18. Jh. arbeitete – und die Bevölkerung in Mähren vom Aberglauben befreien sollte. In den Dracula-Geschichten wurde dem Arzt ein Denkmal in Form des Vampirjägers van Helsing gesetzt.

Amüsant, welcher Aberglaube auch heute noch verbreitet ist – und sei’s als Kinderspiel. Doch im zweiten Teil wurde es ernst, bitterernst: die Waschkaus lasen aus "Muss man wissen! Ein Interview mit Dr. Axel Stoll" und zeigten Filmausschnitte aus dem Video. Gemeinsam mit Sebastian Bartoschek hatten sie den Neonazi und Verschwörungstheoretiker interviewt - um dann das, was der Nazi-Kopf an irren Behauptungen mit ungeheurer Selbstgewißheit verbreitete, mit der Wirklichkeit zu kontrastieren.

Das Interview wurde im September 2013 geführt. Da gab es noch keine Pegida, auch keine AfD. Warum ein Interview mit einem Rechtsesoteriker führen?, wurden die Autoren oft gefragt. Verschafft man ihm damit nicht eine Publizität, d.h. fördert ihn? Alexander Waschkau verneinte: denn es fanden sich schon Hunderte Videos von Stoll und seinem "Neuschwabenland-Forum" im Internet, manche mit reichlichen Klicks: bekannt war er. Das Erschreckende: manch wirrer Gedanke, den Stoll äußerte, findet sich heute im Umfeld von Pegida und AfD. Was 2013 noch Verschwörungstheorie von Neonazis war, ist weit in Richtung einer sich so fühlenden "schweigenden Mehrheit" vorgedrungen.

Hierzu zählt die Behauptung, dass der Kriegszustand noch andauere ("Reichsbürgerbewegung"). Tatsächlich endete der zweite Weltkrieg mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht am 8. / 9. Mai 1945 und spätestens mit dem zwei-plus-vier-Vertrag 1990 ist die deutsche Frage abschließend geklärt. Weiter behauptet Stoll, dass der Hitler-Vertraute Martin Bormann mit 50.000 SS-Leuten nach Argentinien ausgewandert sei. Tatsächlich beging der Hauptkriegsverbrecher auf seiner Flucht Suizid; seine Leiche wurde bei Bauarbeiten entdeckt und er eindeutig identifiziert.

Doch Fakten interessieren Stoll nicht. Stattdessen verbreitet er antisemitsche Vorurteile wie das Stereotyp, dass "die Juden" die Weltherrschaft anstrebten und ihnen die Banken schon gehören würden…

Skurril wird’s, wenn Stoll von der Erde als "Hohlwelt" faselt: ein Eingang befinde sich im antarktischen "Neuschwabenland" und werde von "Reichsflugscheiben" = Ufo’s bewacht. Darüber will er sich auch mit dem Ufo-Spezialisten Erich von Däniken ausgetauscht haben. Der glaubt zwar auch an Ufos -– aber von Außerirdischen, nicht von Nazis. Und von Däniken verwahrt sich gegen die Behauptung, mit Stoll Kontakt gehabt zu haben: er kennt ihn nicht.

Dabei wirke Stoll nicht wie ein Verrückter, sondern mache einen seriösen Eindruck – genau das mache ihn so gefährlich. Stoll schöpfe aus zahlreichen Quellen, um seine kruden Geschichten zu untermauern, darunter auch die Theosophin Helena Blavatsky. Die Geschichte ist schnell ausgeschmückt – doch sie sauber zu widerlegen, brauche manchmal sehr lange: Stoll mache die komplexe Welt durch Vereinfachungen scheinbar erklärbar. Manche Menschen fanden in seinem – auf YouTube präsenten – Neuschwabenland-Forum eine neue Heimat. Bei vielen jungen Leuten erreichte der Neonazi Kultstatus mit seinen geschichtsrevisionistischen Erzählungen.

In der lebhaften Diskussion wurde nachgefragt, wie so jemand Glaubwürdigkeit gewinnen, damit Einfluß erringen könne? Alexa Waschkau erzählte, dass sie vorab beim Verfassungsschutz nachgefragt hat, ob dem das "Neuschwabenland-Forum" bekannt sei? Der Verfassungsschutz sah "kein direktes Gefahrenpotential" – wohl aber die Gefahr von Unterstützungsdiensten: Terroristen wie z.B. der NSU fänden auf solchen "Inseln" Unterstützung.